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Grundlagenwissen zur Alzheimer-Demenz: In 5 Minuten sind Sie auf dem Laufenden

© Dr. Dr. Herbert Mück, Köln

von Prof. Dr. Konrad Beyreuther, Heidelberg

Zusammenfassung eines Vortrags auf dem VI. Bonner Symposion des Arbeitskreises Gesundheit und Alter im Juni 1994:

1. Die Alzheimer-Demenz ist die erste und bis heute einzige Geisteskrankheit, die mit molekular erkennbaren Veränderungen einhergeht. Es handelt sich um sog. Amyloidablagerungen im Gehirn, die zugleich der früheste und eindeutigste biologische Marker sind. Amyloid findet sich an drei Stellen:
a) innerhalb von Nervenzellen (als Neurofibrillenbündel, dessen Haupteiweiß "tau" genannt wird);
b) zwischen den Nervenzellen (als Amyloid-ßA4-Plaques),
c) in den Wänden zerebraler Blutgefäße (als vaskuläres Amyloid-ßA4).
Amyloid-ßA4-Protein besteht aus maximal 43 Aminosäurebausteinen und läßt sich heute schon rein chemisch herstellen. Wissenschaftlich ist noch umstritten, ob es sich bei den Eiweißablagerungen im Gehirn von Alzheimer-Kranken um ein relativ unwichtiges pathologisches Nebenprodukt handelt oder aber um ein Phänomen von fundamentaler Bedeutung. Neueste Forschungsergebnisse sprechen für letzteres.

2. Bei den ßA4-Ablagerungen handelt es sich um verklumpte Endprodukte größerer Eiweißstoffe (sog. Amyloid Vorläuferproteine). Letztere werden besonders von Nervenzellen produziert, bei denen sie normalerweise in die Zellmembran eingelagert sind und aus denen sie im Verletzungsfall freigesetzt werden. Sie sollen vermutlich Nervenzellverbindungen und die Gedächtnisfunktion aufrechterhalten. Aufgrund noch nicht eindeutig geklärter Vorgänge entgleist der übliche Reparaturprozeß: Unter Einwirkung von Proteasen zerfallen die einmal freigesetzten großen Eiweiße in Bruchstücke, von denen ein Typ "ßA4-Eiweiß" heißt. Normalerweise ist das Gehirn in der Lage, solche Bruchstücke zu "entsorgen". Gelingt dies nicht, lagern sich zu Amyloid verklumpte unlösliche ßA4-Eiweiß-Moleküle zwischen Nervenzell-Kontaktstellen ab und beeinträchtigen so deren Funktion.

3. Dieser Prozeß dauert fast drei Jahrzehnte, bevor sich erste klinische Zeichen einer Demenz ankündigen. Die anschließende Krankheitsphase kann sich über 15 Jahre erstrecken (im Mittel 7 Jahre). Interessanterweise dauert es am Lebensbeginn ebenfalls rund 30 Jahre, bis Gehirnnervenzellen alle Kontakte untereinander hergestellt haben (pro Nervenzelle bis zu 50.000 Verschaltungen in Form von Synapsen). Entsteht ein Amyloid Plaque, so unterbricht es bis zu einer Million Nervenzellkontakte.

4. Bei 50- bis 60jährigen weist eine von fünf Personen, bei den 80- bis 90jährigen dagegen bereits vier von fünf Personen die beschriebenen Amyloidablagerungen auf. Dies paßt zu der Erkenntnis, daß es vom Auftreten der Amyloidablagerungen bis zur klinischen Manifestation der Demenz rund 30 Jahre dauert. Bei den 20 Prozent klinisch manifest Dementen der Gruppe der 80- bis 90jährigen scheint es sich somit um diejenigen Personen zu handeln, bei denen bereits im Alter zwischen 50 und 60 Jahren erste Amyloidablagerungen auftraten. Auch klinisch noch gesunde Hochbetagte, bei denen erst jetzt Amyloidspuren erkennbar sind, werden eines Tages an einer Demenz erkranken. Die Wahrscheinlichkeit ist allerdings groß, daß sie vorher an einem anderen Leiden versterben.

5. Rechnerisch gesehen wachsen vorhandene Amyloidverklumpungen pro Sekunde um ein weiteres ßA4-Eiweißbruchstück, so daß sich nach 30 Jahren jeder einzelne Amyloidklumpen aus bis zu einer Milliarde ßA4-Eiweißbausteinen zusammensetzt. Ließe sich dieser Zusammenballungsprozeß verlangsamen, würde die Zahl der Demenz-Kranken abnehmen. Im Reagenzglas ist eine Hemmung der Amyloidbildung bereits möglich!

6. Die Alzheimer-Demenz gehört zu den chronischen Erkrankungen, die bekanntlich weitgehend therapieresistent sind. Fortschritte sind am ehesten durch eine Verlangsamung des Krankheitsprozesses zu erreichen. Man weiß, daß vor allem Risikofaktoren (mit rund 70 Prozent) das Voranschreiten chronischer Erkrankungen beeinflussen. Für die Alzheimer-Demenz bedeutet dies: Ließen sich alle Risikofaktoren ausschalten, könnte man den Eintritt der Erkrankung um 14 bis 21 Jahre hinauszögern.

Zwei Gruppen von Risikofaktoren verdienen besondere Aufmerksamkeit: einerseits körpereigene und in der Nahrung enthaltene Bestandteile, die die Stabilität und Menge des Eiweißstoffes kontrollieren, aus dem im weiteren Verlauf das ßA4-Bruchstück entsteht; andererseits Störungen des "Wundheilungsprozesses" von Nervenzellen.

Zu dem letztgenannten Vorgang muß man wissen, daß bei Nervenverletzungen in größerer Menge das Eiweißmolekül entsteht, das potentiell ßA4-Bruchstücke liefert. Jede Nervenverletzung setzt massiv Radikale frei, die ihrerseits dann unter anderem die Verklumpung von ßA4-Amyloid-Eiweiß anstoßen und so zur Unterbrechung von Nervenzellkontakten beitragen. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, nach Methoden zu suchen, die aggressive Sauerstoffradikale neutralisieren (Antioxidantien), so die Membranen von Nervenzellen schützen, damit die Freisetzung von Amyloid-Voräuferprotein vehindern und die spätere Verklumpung zu ßA4-Amyloid verzögern.

7. Offenbar sind mehrere Erbfaktoren an der Auslösung einer Alzheimer-Demenz beteiligt. Sie wurden auf den Chromosomen 21, 14 und 19 gefunden.

a) Die Erbinformation für die Bildung der Amyloid-Vorläuferproteine liegt auf dem Chromosom 21 und ist als solche bei allen Menschen anzutreffen. Personen, bei denen diese Information dreifach angelegt ist (Trisomie 21, Down Syndrom), haben ein höheres Risiko, an einer Alzheimer-Demenz zu erkranken. Im Vergleich zur Normalbevölkerung kann bei ihnen die Amyloidbildung schon 50 Jahre früher beginnen. Auch neueste Untersuchungen zur familiären Form der Alzheimerschen Krankheit zeigen, daß "Krankheits-Gen" und "Amyloid-Gen" identisch sind.

b) Der Erbdefekt des Chromosoms 14 ist noch nicht genau bekannt. Er ist offenbar die Hauptursache für den frühzeitigen Krankheitsausbruch (präsenile Form).

c) Der auf dem Chromosom 19 lokalisierte Erbfaktor scheint mit einem aus der Atheroskleroseforschung bekannten Erbfaktor in Zusammenhang zu stehen. Er heißt "Apolipoprotein E Gen (ApoE Gen) und wird in der Normalbevölkerung in drei verschiedenen Versionen ("Allelen") gefunden. Von diesen wird das ApoE e4 Allel bei Alzheimer-Patienten vier- bis sechsmal häufiger angetroffen als bei gleichaltrigen gesunden Menschen. Im Gegensatz zum Amyloid-Gen bei der familiären Alzheimer-Krankheit ist das ApoE e4-Gen jedoch kein Krankheits-Gen (alle Träger erkranken), sondern ein sog. Suszeptibilitäts-Gen. Es ist als Risikofaktor zu verstehen, der lediglich die Erkrankungswahrscheinlichkeit erhöht (nicht alle Träger erkranken). Da sich das ApoE e4-Allel relativ leicht nachweisen läßt, könnte man schon heute bei allen Menschen einen wichtigen Risikofaktor für die Alzheimer-Krankheit überprüfen. Dem stehen jedoch bislang ethische Gründe entgegen (Fehlen "heilender" Behandlungsmethoden).

Hier noch ein aktuelles Interview mit Herrn Porf. Beyreuther:
Medikamente bremsen Gentherapie im Test - Künftig Impfschutz vor Demenz? Volksstimme 09.06.05

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Wir danken

für die Bereitstellung des Textes aus dem ZNS- bzw. DEMENZ-SPEKTRUM