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Umgehen mit Verhaltensstörungen Demenz-Kranker

© Dr. Dr. Herbert Mück, Köln

von Dr. med. Eckart Kinzler, Chefarzt der gerontopsychiatrischen Klinik Flurstraße, Düsseldorf

Verhaltensstörungen von Demenz-Patienten sind nicht immer nur eine Folge der Demenz. Sie können auch Ausdruck einer begleitenden psychiatrischen Erkrankung sein (Depression, Psychose), mit einem internistischen Leiden zusammenhängen (Sepsis, Organversagen, Medikamenten-Intoxikation), auf körperliches Unwohlsein hinweisen (Schmerzen, Verstopfung, Luftnot, Harndrang) oder auf das Konto von Sinnesbeeinträchtigungen gehen (Sehschwäche, Schwerhörigkeit). Es ist wichtig sich dies zu verdeutlichen, da man in solchen Situationen oft wirkungsvoll, nämlich kausal helfen kann. Besonders beim erstmaligen oder bei einem überraschenden Auftreten von Verhaltensstörungen lohnt sich die genaue Ursachensuche. So zeigte eine retrospektive Studie, daß aggressive Verhaltensweisen oft in engem zeitlichem Zusammenhang mit einer internistischen Erkrankung standen.

Sollte eine kausale Behandlung nicht möglich sein, fragt sich als nächstes, ob eine Intervention unumgänglich ist (wie etwa im Falle einer Selbstgefährdung). Möglicherweise ist die Verhaltensstörung ja auch tolerierbar. So kann man beispielsweise einen schreienden Patienten in eine Umgebung bringen, wo sein Lärm niemanden stört. Jedenfalls läuft man Gefahr, störendes Verhalten zu verstärken, wenn man darauf zu sehr eingeht. Oft ist es besser, Schreien zu ignorieren und statt dessen auf Ruhe positiv zu reagieren. Eine leise beruhigende Hintergrundmusik wirkt nicht nur auf den Patienten, sondern mitunter auch auf die Betreuer beruhigend und hilft letzteren, monotone Verhaltensweisen der Kranken zu ertragen.

Wenn man den Kranken nicht in eine problemfreiere Umgebung bringen kann, ist zu überlegen, ob man das momentane Umfeld nicht dem Kranken anpassen kann. So ist es oft möglich Gefahrenquellen zu entschärfen. Beispiele:

* Einbau von Kindersicherungen in Steckdosen oder in Schubladen, die gefährliche Gegenstände enthalten,

* Ausstattung elektrischer Geräte mit zusätzlichen "Aus"-Schaltern (im Sinne einer "Hauptsicherung"),

* Einschalten von Licht mit Hilfe von Bewegungsmeldern,

* Gewährleistung der Rutschfestigkeit von Teppichen, um gefahrfreies Umherwandern zu ermöglichen.

Machen dem Kranken Gegenstände Angst (z.B. wenn ein Kleiderständer mit Hut und Mantel als "Mann im Raum" wahrgenommen wird), besteht die einfachste Lösung oft darin, das betreffende Objekt wegzustellen. Bevor man übereilt auf Wahnvorstellungen oder Halluzinationen des Kranken reagiert, sollte man sich fragen, ob man diese dem Patienten nicht sogar belassen kann. Auch wenn solche Vorstellungen wirklichkeitsfremd sind, können sie dem Kranken doch wohltun (ohne letztlich die Umwelt zu beeinträchtigen). Meist ist es hilfreicher, den Patienten nicht direkt mit seinen Defiziten zu konfrontieren. Statt ihn bewußt zu korrigieren, ist es hilfreicher die richtige Information (z.B. Tageszeit und Datum) gleichsam beiläufig ins Gespräch einfließen zu lassen. Ein solches Vorgehen kränkt den Patienten weitaus weniger.

Bewährt haben sich auch Maßnahmen wie die Schaffung eines strukturierten beruhigenden Lebensraumes (Vermeidung von Überstimulation), Versorgung mit persönlichen Gegenständen (Fotografien, Bettdecke), Verzicht auf belebende Genußmittel am Abend (Nikotin, Koffein), genügend körperliche Bewegung im Lauf des Tages und ein warmes aromatisches Bad am Abend.

Oft lohnt es sich, nach Interaktions-bedingten Auslösern störenden Verhaltens zu fahnden. So kann es vorkommen, daß ein Demenz-kranker Mann nur dann aggressiv reagiert, wenn ihm eine Frau beim Auskleiden hilft. Die Einschaltung einer männlichen Pflegeperson kann in so einem Fall die Verhaltensstörung beseitigen. Einen verängstigt und verwirrt wirkenden Patient muß man nicht in die Duschwanne stellen und von oben bis unten abbrausen. Man kann auch einen Hocker im Duschbecken plazieren und damit beginnen, erst einen Teil des Körpers zu waschen.

Viele Patienten werden unruhig, weil sie darunter leiden, daß sie die Situation nicht mehr kontrollieren können und sie sich in der betreffend Umwelt völlig fremd fühlen. Hier kann es helfen, die Lebensverhältnisse erneut vertraut zu gestalten und den Kranken in Entscheidungsfindungsprozesse einzubeziehen.

Inkontinenz gehört zu den häufigstens Verhaltensstörungen bei Demenz. Ihr kann man entgegenwirken, indem man den Kranken in regelmäßigen Abständen prophylaktisch zur Toilette begleitet und ihm genügend Flüssigkeit anbietet (Eine gute Flüssigkeitsausscheidung beugt Harnwegsinfektionen vor, die ihrerseits eine Inkontinenz fördern).

Es hat sich als sehr hilfreich erwiesen, Verhaltensstörungen und die sie begleitenden Umstände möglichst genau zu dokumentieren. Wenig nützlich sind Vermerke wie "19 Uhr 30: Der Patient war aggressiv". Erkenntnisfördernder sind Notizen wie "19 Uhr 30: Der Kranke schrie und zerrte an Schwester S., als diese ihn baden wollte. Er wurde ruhiger, als...." Eine exakte Verhaltensbeschreibung ist insbesondere dann erforderlich, wenn man auf Verhaltensstörungen medikamentös reagiert. Dies verhindert, daß Arzneimittel primär im Interesse Dritter oder zur Bestrafung des Patienten verabreicht werden. Auch erleichtert eine sorgfältige Dokumentation die Wirksamkeitsbeurteilung der Medikation. Bleibt die Therapie ohne Effekt, muß sie beendet werden. Bislang gibt es keine ideale Medikation zur Behandlung von Verhaltensstörungen Demenz-Kranker. Zumindest läßt sich jedoch sagen, daß einige Symptome besser als andere auf spezifische Arzneimittel ansprechen. So sprechen in aller Regel Angst, Erregung, emotionale Labilität, Halluzinationen, Feindseligkeit und mangelnde Kooperationsbereitschaft eher auf Neuroleptika an als nicht-aggressive (lediglich "nervende") Verhaltensweisen. Benzodiazepine nutzen vor allem bei Schlaflosigkeit, Angst, Furcht, innerer Spannung und Erregung. Bei körperlichen Angriffen und Feindseligkeit kann man auch die Anwendung von Betablockern und Carbamazepin erwägen. Prägen affektive Komponenten (Weinen, depressive Stimmung) das Verhalten deitunter Antidepressiva am besten. Eine Analyse der Verhaltensstörungen erleichert somit die Auswahl des geeigneten Pharmakons und optimiert zugleich die Erfolgsaussichten der Therapie.

Literatur: C. Peisah/H. Brodaty: Practical Guidelines for the treatment of behavioural complications of dementia. Med. J. Aust. 161 (1994) 558-563; B. F. Yeager/L. E. Farnett, S. A. Ruzicka: Management of behavioral manifestations of dementia. Arch. Intern. 155 (1995) 250-260; V. Marcello/F. Boczko/M. Shelkey: Progressive dementia: Strategies to manage new problem behaviors. Geriatrics 50 (1995 Heft 3) 40-43


Wir danken

für die Bereitstellung des Textes aus dem ZNS- bzw. DEMENZ-SPEKTRUM

 

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