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Berufspraktikum Beratung und Betreuung

vom 1. 3. - 30. 8. 1993 in der Psychogeriatrischen Tagesstätte des Förderervereins Heerstraße Nord e.V., Rosemarie Drenhaus-Wagner

1. Beschreibung der Einrichtung

1.1 Träger
1.2 Räumlichkeiten unter Beachtung von Therapie und Arbeit
1.3 exemplarischer Tagesablauf
2. Personal
2.1 Zusammensetzung des Personals
2.2 Betriebsorganisation
2.3 Umgang der verschieden Betriebsgruppen miteinander
2.4 Rolle der Altenpflege im Haus
2.5 Personalprobleme
3. Beschreibung meiner Tätigkeiten als Berufspraktikant
3.1 Meine Aufgabenbereiche
3.1.1 Gemeinsames Singen mit den Besuchern
3.1.2 Gemeinsames Töpfern und Basteln
3.1.3 Besucher an ein Gesprächsthema heranführen
3.1.4 Gemeinsames Konzentrations- und Gedächtnistraining
3.1.5 Konzentrations- und Gedächtnistraining mit einzelnen Besuchern
3.1.6 Vorlesen
3.1.7 Wahrnehmungsreize schaffen
3.1.8 Mit den Besuchern den Raum gestalten
3.1.9 Aktivitäten des Alltags
3.1.10 Ausflüge gemeinsam planen, vorbereiten und durchführen
3.1.11 Einzelbetreuung der Besucher außerhalb der Tagesstätte
3.1.12 Angehörigenarbeit
3.1.13 Soziale Kontakte herstellen
3.1.14 Kontakte zu Behörden
3.1.15 Anamnesen
3.1.16 Informationsaustausch mit der Hauspflege und Seniorenwohnhaus
3.1.17 Besucherdokumentation führen
3.2 Verhältnis zur Parktikumsanleitung
3.3 Fallbeschreibung
3.3.1 Zur Person von Fr. H.
3.3.2 Krankheitsverlauf
3.3.3 Befund bei der Aufnahme
3.3.4 Die Betreuung aufgrund meiner Beobachtungen an der Besucherin
3.3.5 Resümee
3.4 Problembereiche und Lösungsansätze
3.4.1 Problembereiche mit meiner Rolle als Berufspraktikant
3.4.2 Problembereiche mit der Rolle als Privatperson 20
3.4.3 Lösungsversuche der Probleme - Änderungsvorschläge
4. Zusammenfassende Bemerkungen
4.1 Verhältnis Schule - Praxis
4.2 Persönliche Entwicklung während der gesamten Praktikumszeit

1. Beschreibung der Einrichtung

1.1 Träger

Zweck des gemeinnützigen Förderervereins Heerstraße Nord e.V. ist "die Förderung der Fürsorge für Behinderte und Senioren und die Betreuung pflegebedürftiger Menschen". "Engagierte Personen" eines Ärztehauses gründeten 1975 den Verein im Dachverband des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Anfangs förderte er Seniorenklubs und Behindertengruppen ehrenamtlich. Am 1. 1. 1981 nahm der Verein die erste Sozialstation Berlins in Betrieb, deren Einzugsbereich sich auf die Neubausiedlung Heerstraße Nord - mit 3.200 Menschen über 60 Jahren sowie ca. 160 rollstuhlgebundene Behinderten - beschränkt. Zu den Aufgaben des Förderervereins zählen heute:

  1. Hauskrankenpflege
  2. Hauswirtschaftliche Versorgung und Hauspflege
  3. Familienpflege
  4. Krankenwohnung
  5. offene Behinderten und Seniorensozialarbeit
  6. Sozialarbeit
  7. Abhol- und Begleitdienste
  8. Psyschogeriatrische Betreuung

Letztere findet in der Psychogeriatrischen Tagesstätte im Blwasewitzer Ring 28 statt. Dort werden montags bis freitags von 9.00 bis 13.30 alte Menschen "mit psychischen und psychiatrischen Problemen sowie altersbedingten Abbauerscheinungen durch unterschiedliche Methoden der Einzelfall- und Gruppenarbeit, sowie durch Beratung und Vermittlungshilfen" betreut.

Die ca. 16 Besucher der Psychogeriatrischen Tagesstätte werden in zwei Gruppen gleicher Größe in getrennten Räumen betreut.

1.2 Räumlichkeiten unter Beachtung von Therapie und Arbeit

Die Wohnungsbaugesellschaft GEWOBAG hat den die Bewohnern des Blwasewitzer Rings 28 zwei möblierte Mehrzweckräume mit Toiletten und Küchen für Geminschaftsaktivitäten (z.B. Feierlichkeiten) zur Verfügung gestellt. Da diese Räumlichkeiten in der Vergangenheit von den Hausbewohnern kaum genutzt wurden, hat die GEWOBAG sie für weitere soziale Aktivitäten gemeinnützigen Einrichtungen und Gruppen kostenlos zur Verfügung gestellt. Diese teilen sich die Räume stundenweise über den Tag verteilt. Der Sozialstation stehen die Räume nur von 8:00 - 16:00 Uhr zur Verfügung.

Entsprechend der Mehrfachnutzung müssen sämtliche Gegenstände der Tagesstätte zu Dienstschluß in den bereitgestellten Einbauschränken verschlossen werden, was entsprechende zeitraubende Aktivitäten des Personals zu Dienstbeginn und Diestende erfordert. Außerdem sind Wanddekorationen nur sehr eingeschränkt erlaubt. Zugelassen sind lediglich mit Tesafilm an die Wände geklebte Bilder, die von den Besuchern selbst gemalt wurden. Die Atmosphäre läßt sich unter diesen Umständen nur noch mit Hilfe handlicher Tischdekorationen wohnlicher gestalten. Insgesamt wirken die Räume äußerst nüchtern und reizarm.

Die Tagesstätte besteht aus zwei jeweils ca. 60 m2 großen Räumen, in getrennten Gebäudeteilen. An den Tagesraum für die dementen Besucher schließt sich ein ca. 8 m2 großer Durchgangsraum an, der zu der sehr kleinen Toilette (ca. 1,5 m2) mit einem ebenso kleinem Waschraum führt und zu einer Teeküche (ca. 2 X 1,5 m2). Er wird als Aufenthaltsraum für das Personal genutzt.

An den Raum für die schwerstdementen Besucher mit verwinkeltem Grundriß schließen sich zwei Toiletten mit je einem Waschraum an (Größe wie gehabt). Eine ca. 20 m2 großen Küche, in der für beide Gruppen die Mahlzeiten zubereitet werden, ist durch einen kleinen Flur vom Gruppenraum getrennt, der als Garderobe genutzt wird.

Diese Räumlichkeiten, die von bis zu 16 Besucher genutzt werden, genügen nicht einmal den Anhaltswerten, die Großjohann für eine Tagespflegeeinrichtung mit 12 Plätzen empfiehlt. Bei den dort vorgesehenen 18,7 m2/Platz hätte der vorhandene Raum nicht einmal für zehn Besucher ausstreicht. Bei meiner Arbeit mit schwerst dementiell Erkrankten habe ich oft eine Rückzuggsmöglichkeit vermißt, und zwar aus drei Gründen:

  1. Während des Konzentrationstrainigs störten die unruhigen Aktivitäten der anderen Besucher die Arbeit erheblich.
  2. Die teilweise sehr (laut-)starke Unruhe einzelner Besucher erforderte eine zeitweise Einzelbetreuung, so daß der andere Betreuer die Restgruppe hätte unbehelligt allein führen können. Da dies nicht gegeben war, übertrug sich die Unruhe auf die gesamte Gruppe und führte zu erhöhter Aggressivität besonders gegen den Hauptunruhestifter.
  3. Die intensive Zuwendung, welche die Betreuung stark verwirrter Besucher erfordert, kann auf Dauer nur geleistet werden, wenn auch für den Betreuer eine Rückzugsmöglichkeit besteht. Der im anderen Gebäudeteil gelegene kleine mit Klappstühlen möblierte Druchgangsraum bot keine ausreichende Möglichkeit zum Entspannen und geistigem Abschalten, was zur Folge hatte, daß praktisch keine Pausen genommen wurden.

Die Enge der Toiletten macht es uns schwer, den Besuchern beim Toilettengang behilflich zu sein.

Wegen der bestehenden Unzulänglichkeiten plant der Fördererverein Heerstraße Nord e.V. eine Tagesstätte in der Obstallee 27/29 einzurichten, in der alles besser werden soll. Vorgesehen sind dort je ein Aufenthaltsraum, Speiseraum, großer und kleiner Therapieraum, Küche, Personalraum, Ruheraum und zwei behindertengerechte Toiletten.

1.3 exemplarischer Tagesablauf

Für den Tagesablauf gilt folgender Zeitplan:

8:30 Dienstbeginn (Decken des Frühstückstisches, Herrichten des Raums)
9:00 - 10:00 Eintreffen der Besucher und gemeinsames Frühstück am abwechslungsreich dekorierten Tisch
10:00 - 11:30

unterschiedliche Aktivitäten, z.B.:

  • Alltagstraining (z.B. Abwasch)
  • Orientierungsübung (z.B. Welchen Wochentag haben wir heute?)
  • Konzentrationsübung (z.B. Lottino)
  • Maltherapie (donnerstags 11:00 - 12:00 und 12:30 - 13:30 mit jeweils einer der beiden Gruppen)
  • Musiktherapie (freitags 10:30 - 11:30 zusammen mit beiden Gruppen, die danach für den Rest der Zeit zusammen bleiben)
  • Spaziergang
11:30 - 12:00 Toilettengänge und Tisch decken
12:00 - 12:30 Mittagessen
12:30 - 13:30

unterschiedliche Aktivitäten, z.B.:

  • Gesprächsrunde (z.B. eine Reise in die Vergangenheit)
  • Singen (z.B. Volkslieder und Gassenhauer)
  • Werken oder Basteln (z.B. mit Tonersatzstoff)
  • Ballspiele im Sitzen (z.B. Ball zuwerfen mit Ankündigung)
13:30 Fahrdienst bringt die Besucher nach Hause
13:00 - 14:00 Wegräumen aller Gegenstände in die Schränke
14:00 - Ende Nachbereitung des Tages, ggf.: Einzel- oder Angehörigenbetreuung (ggf. mit Hausbesuch), Dienstbesprechung, Dokumentationen aktualisieren, Teamsitzung (mittwochs)

Je nach Art der Nachbereitung ist Dienstschluß zwischen 15:00 und 16:00 Uhr.

2. Personal

2.1 Zusammensetzung des Personals

"Die Vereinsarbeit wird fast ausschließlich durch qualifizierte hauptamtliche MitarbeiterInnen geleistet, die sich aus folgenden Berufen zusammensetzen:

  • SozialarbeiterInnen
  • Krankenschwestern und Krankenpfleger
  • AltenpflegerInnen
  • Fachkräfte für Psychogriatrie
  • Haus- und FamilienpfegerInnen
  • Verwaltungsfachkräfte und -Helferinnen".

Die hoch qualifizierte Ausbildung der Mitarbeiter ist auch typisch für die Tagesstätte.

2.2 Betriebsorganisation

Geschäftsführer des Förderervereins Heerstraße Nord e.V. ist Herr Ottschofski, der für alle in Kap. 1.1 genannten Aktivitäten des Vereins verantwortlich führt. Für die Psyschogeriatrische Betreuung - insbesondere für das Personal der Psyschogeriatrischen Tagesstätte - ist Frau Bottner zuständig. Sie ist die disziplinarische Vorgesetzte :

  • der beiden Gruppenleiter (Hr. Goepel, Fr. Tietze),
  • der beiden Berufspraktikanten (angehende Altenpfleger),
  • dem Berufspraktikanten (angehender Gerontotherapeut)
  • des Fahrdienstes (4 Zivildienstleistende und eine fest angestellte Mitarbeiterin),
  • der Köchin.

Jeder Gruppenleiter leitet selbständig eine Gruppe von Besuchern. Er wird von einem Berufspraktikanten des anderen Geschlechts unterstützt, der ihm fest zugeordnet ist. Die Gruppenleiter vertreten sich bei kurzfristigem bzw. unvorhergesehenem Arbeitsausfall gegenseitig, so daß er u.U. die zusammengelegten Gruppen gemeinsam mit den Berufspraktikanten betreut. Bei längerfristigen vorhersehbaren Abwesenheiten eines Gruppenleiters wird dessen Funktion auch an einen Berufspraktikanten delegiert.

Der angehende Gerontotherapeut arbeitet nur freitags in der Tagesstätte und zwar für die Gruppe schwerstdementer Besucher.

2.3 Umgang der verschieden Betriebsgruppen miteinander

Der Umgang miteinander hat zweierlei Aspekte:

  1. Umgangsformen miteinander und
  2. Beziehung zueinander.

Die flache hierarchische Struktur der Betriebsorganisation und die klare vertikale Arbeitsteilung räumen jedem Mitarbeiter ein mehr oder minder weites Feld ein, in dem er sich ganz nach seinen Fähigkeiten und Vorstellungen einbringen kann. Das führt zu einer gleichberechtigten Form des Umgang miteinander, in der offen alle Gesichtspunkte der Arbeit (Arbeitsteilung, Vorschläge zur Arbeitsgestaltung, Terminabsprachen bzw. Pausen etc.) miteinander besprochen werden. Das gilt innerhalb der Betriebsgruppen wie auch zwischen ihnen. Im Ergebnis herrscht ein kameradschaftliches Betriebsklima, das keinerlei Intrigen zuläßt.

Beziehung der Betriebsgruppen zueinander ist durch die vertikale Arbeitsteilung (unterschiedliche Aufgaben der Betriebsguppen) aber auch durch nahezu horizontale Arbeitsteilung (ähnliche Aufgaben der Betriebsguppen) bestimmt.

Letzteres gilt für die beiden Betreuerpaare (Gruppenleiter und des ihm zugeordneten Berufspraktikanten) zueinander. Sie arbeiten weitgehend unabhängig voneinander, so daß sich jede Gruppe nach ihrem Vermögen optimal entfaltet. Regelmäßig werden einmal pro Woche beide Gruppen zusammengelegt und gemeinsam betreut. Dies gilt außerdem für die Musiktherapie und gelegentlich auch für gemeinsame Ausflüge und Spaziergänge.

Der Umgang der beiden Betreuerpaare mit dem Dienstpersonal (Fahrdienst und Köchin) ist durch den festen Tagesablauf klar geregelt. Er läßt jederzeit Absprachen über besondere Aktivitäten zu, wie Ausflüge mit den Bussen oder Dampferfahrten (Zusatzeinsätze des Fahrdienstes, Freizeitausgleich für die Köchin für angefallene Überstunden).

Dies gilt auch für den Umgang der Gruppenleiter mit den HauspflererInnen. Die HauspflererInnen sorgen für das leibliche Wohl einige der Besucher, bevor diese in die Tagesstätte kommen. Auch hier sind rechtzeitige Absprachen problemlos möglich um besondere Aktivitäten zu unternehmen.

2.4 Rolle der Altenpflege im Haus

"Der Fördererverein hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen im Alter mit körperlichen Behinderungen oder im Krankheitszustand Hilfestellung zu geben". Er trägt damit entscheidend zur aktivierenden Altenpflege in der Stadtrandsiedlung bei. Insbesondere erhebt er ganzheitlichen Anspruch der humanen Altenpflege, indem er hilft Isolation durch Gruppenbildung zu vermeiden und Kreativität, Mobilität und persönliche Wertschätzung durch fachliche Betreuung zu (re-)aktivieren .

2.5 Personalprobleme

Da sowohl der Personalschlüssel als auch die Kooperation des Personals untereinander stimmen, habe ich keine Probleme im Personalbereich beobachten können.

3. Beschreibung meiner Tätigkeiten als Berufspraktikant

3.1 Meine Aufgabenbereiche

Meine Tätigkeiten richteten sich direkt und indirekt auf die Besucher der Tagesstätte.

In direkter Weise habe ich die Besucher betreut, in dem ich folgendes getan habe:

1. gemeinsam mit ihnen gesungen,

2. gemeinsam mit ihnen getöpfert und gebastelt,

3. sie an ein Gesprächsthema herangeführt,

4. gemeinsames Konzentrations- und Gedächtnisübungen durchgeführt,

5. Konzentrations- und Gedächtnisübungen mit Einzelnen durchgeführt,

6. Märchen oder Zeitungsartikel vorgelesen,

7. Speisen mit ihnen gemeinsam vor- und zubereitet,

8. Wahrnehmungsreize geschaffen,

9. gemeinsam mit ihnen den Raum gestaltet,

10. Aktivitäten des Alltags durchgeführt,

11. Veranstaltungen gemeinsam geplant, vorbereitet und durchgeführt,

12. Besucher einzeln außerhalb der Tagesstätte betreut.

In indirekter Weise habe ich die Besucher betreut, in dem ich folgendes getan habe:

13. Angehörige betreut,

14. soziale Kontakte hergestellt,

15. zu Behörden Kontakte aufgenommen,

16. an Anamnesen teilgenommen,

17. mit der Abteilung Hauspflege und Seniorenwohnhaus zusammengearbeitet,

18. Besucherdokumentation geführt.

3.1.1 Gemeinsames Singen mit den Besuchern

Der Vorschlag, gemeinsam zu singen wird immer wieder gerne angenommen. Oftmals singen wir auch spontan. Einige Besucher singen viele Lieder auswendig und staunen jedesmal aufs neue über ihr noch vorhandenes Wissen. Für die anderen haben wir ein Liederbuch kopiert. Damit alle - auch die sehbehinderten Besucher - die Texte lesen können, haben wir die Seiten stark vergrößert.

Einige getragene Lieder aus unserem Liederbuch singen wir kaum noch, da ich beobachtet habe, daß diese Lieder die Besucher melancholisch machen. Darum singen wir bevorzugt Volkslieder, manchmal auch Kinderlider. Am beliebtesten sind Wanderlieder, aber auch Gassenhauer - je nach Situation. Schmissige Lieder wirken befreiend und wecken bei den Besuchern schöne Erinnerungen, so daß ihre Augen leuchten und sich ihre Wangen röten. Wie oft höre ich den Satz: "Ach, was haben wir das als Kinder viel gesungen!"

3.1.2 Gemeinsames Töpfern und Basteln

Mit den Besuchern habe ich verschiedene Sachen gebastelt, zum Beispiel eine Blütenkollage aus selbst gemalten Blüten oder einen Biedermeierstrauß aus Serviettenpapier. Im folgenden will ich schildern, wie wir gemeinsam Kerzenständer für den Frühstückstisch aus Tonersatzstoff getöpfert haben.

Da ich selber gerne töpfere, wollte ich gerne auch die Besucher der Tagesstätte mit dem Material Ton vertraut machen. Ton ist sehr weich, läßt sich leicht formen und gibt auch dem leichtesten Druck nach. Er ist deshalb das ideale Arbeitsmaterial für Menschen, die nicht mehr allzuviel Kraft in ihren Händen haben. Da wir in der Tagesstätte jedoch keine Möglichkeit zum Brennen des Tons haben, bin ich auf einen Tonersatzstoff mit gleichen Verarbeitungseigenschaften ausgewichen.

Ich habe die Besucher langsam an das Material herangeführt, indem ich jedem ein Bällchen des noch kalten Materials in die Hände gab. Die meisten empfanden das zunächst eher als unangenehm und fremd. Bald jedoch wurde der Ton in ihren Händen, warm, weich und vertrauter. Damit wuchs auch die Bereitschaft mit dem Material etwas zu formen.

Ich formte ein kleines Schälchen vor, und erklärte mit einfachen Worten Zweck des Gegenstandes und Nutzen der Arbeit, was für die Motivation wichtig ist: Es solle ein Kerzenständer werden, der dazu beitragen solle, die Atmosphäre am Frühstückstisch noch schöner zu machen.

Dann bin ich reihum zu jedem hingegangen und habe ihm mehr oder weniger bei der Arbeit geholfen. Einigen habe ich mit Worten Anleitung gegeben, anderen die Finger geführt. Diese Aufnahme des Körperkontaktes habe ich durch Streicheln des Rückens verstärkt und durch gutes Zureden mit ruhiger gedämpfter Stimme zum Fortsetzen der Arbeit ermutigt.

Eine richtige Beurteilung der motorischen und kognitiven Fähigkeiten bzw. Behinderungen (schlechte Augen) ist wichtig, um die notwendige Hilfestellung für den Einzelnen einzuschätzen zu können. Beispielsweise kann Fr. W. keiner Linie mit der Schere folgen, sie formte aber ein schönes dünnwandiges Schälchen für ein Teelicht. Dieser Erfolg hat sie voll Stolz erfüllt.

Fr. H. verlangte, nachdem sie ihr erstes Stück fertig hatte, ein zweites Stück Ton und formte daraus einen hohen Kerzenständer nach, den ich mitgebracht hatte und nun vor ihr stand. Das war schon deutlich schwieriger, aber Fr. H. schaffte es bis auf den Griff - den ich hinzufügte - alleine.

Zwei Tage später ließ ich die getrockneten Gegenstände nach eigenen Farbvorstellungen mit Plakafarben anmalen und anschließend lackieren.

Seitdem stelle ich jedem Besuche den selbst gemachten Kerzenständer vor den Frühstücksteller. Hin und wieder erinnere ich einzelne Besucher daran, daß dieses Stück ihr eigenes Werk ist. Dann kommt oftmals die erstaunte Frage: "Das habe ich gemacht?!" Dies bestätigt mir, daß es sehr wichtig ist, die gefertigten Dinge im täglichen Einsatz zu belassen, denn das hebt deutlich das Selbstwertgefühl.

3.1.3 Besucher an ein Gesprächsthema heranführen

"Alte Menschen wissen viel über die Vergangenheit zu erzählen, gerade weil die Gegenwart für sie oft nicht mehr nachvollziehbar ist." Da die meisten Besucher der Tagesstätte alleine leben, fehlt ihnen die Gelegenheit, ihre Erinnerungen auszusprechen und damit auch aufzufrischen.

Gelegentlich ergibt sich bei der Einzelbetreuung, aber auch in der Gruppe, die Gelegenheit, über einzelne Schicksale - oftmals aus Kriegszeiten - zu reden. Diese Themen werden jedoch ungern angesprochen und belasten. Dennoch sind auch solche Gespräche nützlich, denn sie zeigen den Betroffenen, daß ihre Einzelschicksale zu denen der anderen Besucher Parallelen aufweisen.

Gerne wird dagegen über die Kinder und Jugendzeit gesprochen. Um diese angenehmen und für die Besucher wertvollen Erinnerungen zu nutzen, um ihr Befinden heute und jetzt positiv zu beeinflussen, habe ich die Gesprächsrunde zu einem festen Bestandteil der Tagesbetreuung werden lassen.

Ich leite die Gesprächsrunde meist damit ein, daß ich meine Gesprächsteilnehmer zu einer "Reise in die Vergangenheit" einlade, an der alle - egal ob geistig rüstig oder verwirrt - teilnehmen können. Beliebte Ziele der Reisen waren "Lebensgewohnheiten und Alltag früher", z.B.:

  • Wohnen und Haushalten,
  • Lebensmittel und Broterwerb,
  • Kochen und Backen,
  • Nähen und Stricken / Bekleidung

In der Tat führt die se Reise stets zurück bis in die meist als glückliche Zeit erinnerte Kindheit und Jugendzeit. Einige Besucher kommen darüber so ins schwärmen, daß ihr Redefluß kaum zu bremsen ist.

Wegen der Konzentrationsschwäche der andren lasse ich die Teilnehmer nach ca. 30 - 40 Min. langsam die Rückreise antreten, indem ich verspreche, daß wir später wieder miteinander "verreisen". Wieder in der Gegenwart angekommen, kam von einer Besucherin, der begeisterte Kommentar: "Das war schön - ich war wieder in Ostpreußen!"

Einmal habe ich eine solche Gesprächsrunde an einem Dienstag durchgeführt. An diesem Wochentag sind beide Gruppen der Tagesbetreuung zusammengelegt. Die große Gruppe zerfiel jedoch schnell in Untergruppen war die schwer zu führen waren. Bei Gruppen von fünf bis sechs Personen hatte ich diese Schwierigkeiten nicht.

3.1.4 Gemeinsames Konzentrations- und Gedächtnistraining

Zu unserem regelmäßigen Wochenprogramm gehört das gemeinsame Konzentrations- und Gedächtnistraining. Alle Übungen erfordern viel Ruhe und Zeit. Zum Standardprogramm gehörten bereits:

  • Sprichwörter vervollständigen
    Hierbei ist oftmals direkte Ansprache der Besucher erforderlich.
    Sogar ein Alzheimer-Erkrankter leistet oftmals mehr als die anderen!
  • Fragen aus dem Bereich der Märchen
    Hierbei kommen die Antworten unterschiedlich schnell. Ich bitte deshalb oft um Verständnis für die Langsameren und leiste Hilfestellung.

Angeregt durch das Buch "Etwas tun!" habe ich folgende praktischen Übungen eingeführt:

  • Gegenstände ordnen (Kosmetik-, Schreib-, Nähutensilien) und benennen
    Oftmals konnten die mitgebrachten Sachen nicht benannt werden, aber die Besucher behalfen sich in diesem Fall damit, daß sie die Funktion z.B. durch typische Handbewegungen andeuteten.
  • Ertasten von Gegenständen im Stoffbeutel und benennen
    Auch hier werden die Dinge meist nur umschrieben. Besucher, die bei dieser Übung Schwierigkeiten haben ermutige ich dann durch Zuspruch und Streicheln des Rückens.
    Merke ich, daß die richtige Lösung zwar gefunden wurde, jedoch nicht oder nur unvollständig ausgesprochen werden kann, helfe ich.
  • Nahrungsmittel mit allen Sinnen (kosten, riechen, fühlen) erraten lassen
    Diese Übung war von den dreien die leichteste.
  • Rosenblätter, Kräuter aus dem Garten (Lavendel, Melasse, Pfefferminze, Liebstöckel, Petersilie) fühlen und riechen lassen
    Die vertrauten Gerüche, wecken auch Erinnerungen.

3.1.5 Konzentrations- und Gedächtnistraining mit einzelnen Besuchern

Einige Besucher gehen jedoch in der Gruppe häufig unter und erfordern intensiveres Eingehen. Rückenstreicheln und ruhiges ermutigendes Zureden, helfen beim Lösen folgender Übungen:

- Lottino (Karten in die Nähe legen),
erleichtern durch Legen der Kärtchen in die Nähe der Lösung

- eigenen Namen aus den Plastikbuchstaben zusammensetzen,
erleichtern durch Verwendung ausschließlich der erforderlichen Buchstaben

- dito Geburtsdatum aus Zahlen
erleichtern durch Verwendung ausschließlich der erforderlichen Zahlen

Fr. W. die anfangs große Schwierigkeiten bei diesen Übungen hatte, ist inzwischen etwas sicherer geworden und freut sich jedesmal riesig über ihren Erfolg, der ihr Selbstwertgefühl hebt: "Na, ich kann ja doch noch was!"

Eine Gruppenübung, nämlich das morgendliche Verteilen der Namenskarten habe ich inzwischen zu einer Einzelübung mit Gruppenbeteiligung umgestaltet. Und das kam so:

Bislang verteilte ich die Namenskarten, indem ich in die Runde oder einzelne Besucher direkt fragte: "Können Sie mir sagen, wo Fr. X sitzt?" oder: "Wer in der Gruppe ist Fr. Y.?" Vor Beginn einer solchen Übung wurde ich einmal in die Küche gerufen und ließ die Namenskarten auf dem Tisch liegen. Als ich ein paar Minuten später zurückkam, war Fr. H. damit beschäftigt, die Namenskarten zu verteilen. Von dieser Situation war ich angenehm überrascht und ließ Fr. H. weiter gewähren. Das ging zwar etwas schleppend, aber ich habe mich über die Eigeninitiative von Fr. H. außerordentlich gefreut. Aber auch Fr. H. strahlte über ihr ganzes Gesicht!

Ich faßte den Entschluß die Namenskarten künftig immer von den Besuchern, die sich freiwillig dazu bereit erklären, selbst verteilen zu lassen. An den folgenden Tagen fragte ich jedoch zunächst noch weiterhin Fr. H., ob sie wieder die Karten verteilen wolle. "Das mach ich doch gerne!" war ihre klare Antwort. Erst nach ein paar Tagen, faßten auch die anderen Mut und seither werden die Namenskarten reihum von den Besuchern selbst verteilt. Eine große Hilfe dabei ist die feste Sitzordnung bei Tisch. Das Verteilen macht allen viel Spat und es wird viel gelacht. Das verbindet und die Besucher kommen sich einander näher.

3.1.6 Vorlesen

Zur festen Einrichtung der Tagesstätte gehört das montägliche Vorlesen aus dem Lokalteil der Zeitung. Lokalnachrichten sind besonders für Sehbehinderte wichtig. Wir wecken Interesse indem wir nachfragen. Manchmal sind auch besondere Erklärungen erforderlich. Nachrichten über Reduzierung von Grünflächen und Krankenhausbetten rufen Empörung hervor und regen zum Gespräch miteinander an.

An anderen Tagen (mindestens einmal wöchentlich) lese ich aus meinem alten Märchenbuch der Gebrüder Grimm vor, das ich mit in die Tagesstätte gebracht habe. Diese vertrauten Märchen führen die Besucher in die eigene Kindheit zurück. Alle lauschen dann aufmerksam sitzen ganz ruhig. Selbst in der großen (zusammengelegten) Gruppe ist es so still, daß man eine Stecknadel fallen hören kann.

Ich sicherere die Aufmerksamkeit der Zuhörer durch stark modulierte Betonung und baue Spannung auf indem ich manchmal mitten im Satz innehalte und frage, was jetzt passiert. Gelegentlich kommt sogar die richtige Antwort.

3.1.7 Wahrnehmungsreize schaffen

In der Zeit meines Schulpraktikums habe ich erlebt, wie dankbar ein hübsch dekorierter Tisch von den Besuchern aufgenommen wird. Deshalb habe ich gleich zu Beginn meiner Tätigkeit als Berufspraktikant versucht, dem Raum durch eine hübsche Tischdekoration eine wohnlichere Atmosphäre zu geben. Hierzu verwende ich pastellfarbene Servietten, farbige Kerzen, frische Blumen, helle einfarbige Tischdecken aus Stoff.

Gelegentlich wechsele ich die kleinen von mir mitgebrachten Dekorationsstücke (z.B. Holzenten). Das läßt die Besucher den Tisch aufmerksamer betrachten. Fr. K. u. A. freuen sich dann und rufen aus: "Ah, wir haben wieder etwas Neues entdeckt!" Fr. K. begrüßt jeden Morgen das Entenpaar (das inzwischen gejungt hat) mit den Worten: "Guten Morgen ihr Kleinen, nun sind wir wieder zusammen!"

3.1.8 Mit den Besuchern den Raum gestalten

Die Bilder, die die Besucher in der regelmäßig donnerstags stattfindnenden Maltherapie schaffen, kleben wir gemeinsam an die Wände. Hierbei bitte ich einzelne Besucher um Hilfe (z.B. beim Anreichen der Bilder, oder Kleben des Tesafilms).

Dabei weise ich immer wieder den Maler des Bildes darauf hin: "Das haben Sie gemacht!" - "Stimmt nicht" - "Da steht aber Ihr Name!" Das überzeugt und wird angenommen. Aus der anfänglichen Ungläubigkeit wird Erstaunen und dann Stolz auf das eigene "Kunstwerk".

Es bestehen z.Zt. keine anderen Möglichkeiten der Raumgestaltung

3.1.9 Aktivitäten des Alltags

Viele Besucher der Tagesstätte alleine. Aufgrund ihrer Krankheit, Behinderung bzw. Demenz werden sie durch Angehörige oder der Hauspflege versorgt. Damit besteht für viele Aktivitäten des Alltags kaum die Notwendigkeit sie auszuüben.

So bereitet sich beispielsweise keiner der Besucher zu Hause ein warmes Essen zu, und kauft folglich auch keine Lebensmittel ein. Die meist am Wochenende vom "fahrbaren Mittagsstisch" vorbeigebrachten Speisen, werden ohne Gesellschaft am ungedeckten Tisch gegessen. Infolgedessen entfallen auch alle Damit verbundenen Tätigkeiten, wie Abwaschen, Wegräumen Tisch abwischen etc.

Um diese mehr oder weniger noch vorhandenen Fähigkeiten zu diesen Aktivitäten zu erhalten, werden sie in der Tagesstätte gemeinsam praktiziert. Außerdem schafft das Gemeinsamkeit, die zu Hause fehlt und fördert die soziale Integration des Einzelnen in die Gruppe.

Deshalb achte ich täglich darauf, daß ich

  • früh ankommende Besucher bitte, beim Decken des Frühstückstisches zu helfen,
  • die Besucher bitte, sich gegenseitige Hilfe zu leisten,
    z.B. beim Frühstücken dem Nachbarn das Brot durchzuschneiden oder den Kaffee einzugießen,
    bzw. beim Mittagessen untereinander Geschirr und Schüsseln zuzureichen oder Saft einzugießen
  • bei notwendigen Hilfeleistungen, z.B. beim Broteschmieren, nur den ersten Schritt tue, den Besucher die folgenden Schritte sage und sie ihm dann alleine ausführen lasse,
  • jeweils zwei Besucher nach dem Frühstück um Mithilfe beim Abräumen bitte,
  • jeweils zwei Besucher bitte alleine abzuwaschen und abzutrocknen,
  • die Besucher vor dem Mittagessen um Mithilfe beim Decken des Tisches, Falten und Verteilen der Servietten bitte.

Meinen Bitten kommen die Besucher sehr gerne nach, ja sie tun oftmals sogar mehr als das. Beispielsweise putzen die meisten nach dem Abwaschen auch noch von sich aus die Spüle blank.

Zur Ergänzung dieser regelmäßigen Aktivitäten überlege ich mir, wie wir gemeinsam verschiedenste Aktivitäten im Zusammenhang praktizieren Können. So habe ich z.B. an einem Dienstag vorgeschlagen, daß wir uns am nächsten Montag das Essen für beide Gruppen selber zubereiten wollen. Diesen Vorschlag habe ich am Donnerstag und Freitag wiederholt. Als ehemalige Köchin war Fr. H. sofort von dem Vorschlag begeistert, andere brauchten die behutsame Heranführung an dieses Vorhaben, um ihre anfänglichen Vorbehalte zu überwinden.

Ich habe ein Gericht - zum Hauptgericht Wirsingeintopf mit Fleischklößchen, als Nachspeise Erdbeerquark - vorgeschlagen, an dessen Vorbereitung die meisten Besucher sich beteiligen konnten. Dann habe ich die Gruppe gefragt, welche Zutaten wir hierzu bräuchten. Fr. H. bat ich den Einkaufszettel zu schreiben, was sie gerne tat. Wegen der benötigten Mengen haben wir die Köchin der Tagesstätte um Rat gebeten. Außerdem haben wir uns von ihr das Geld für den Einkauf geben lassen.

Am Montag bin ich mit einer körperlich rüstigen Besucherin, Fr. K., in den nahegelegenen Supermarkt gegangen. Mit viel Freude hat sie den Einkaufswagen durch die Gänge geschoben und dabei die Fülle des Warenangebotes bewundert.

Als wir zurückkamen, war der Eßtisch bereits von den Dagebliebenen unter Anleitung des Gruppenleiters für die nun folgenden Arbeiten vorbereitet worden. Dann schälten fast alle Gruppenmitglieder entweder Kartoffeln oder putzten Gemüse. Dabei ging es lebhaft zu und alle waren mit Begeisterung dabei. Viele betonten, daß sie das schon ewig nicht mehr gemacht hätten.

Während ich mit der ehemaligen Köchin, Fr. H., den Eintopf kochte und die Quarkspeise vorbereitete, schnitt Fr. W. im Nebenraum die Erdbeeren klein. Auch wenn die verflixten Kartoffeln partout nicht weich werden wollten, war doch alles in allem ein voller Erfolg!

3.1.10 Ausflüge gemeinsam planen, vorbereiten und durchführen

Besondere Höhepunkte im Programm der Tagesstätte sind unsere gemeinsamen Ausflüge, die sowohl mit einzelnen Gruppen, als auch mit beiden gemeinsam (Dampferfahrt, Spandauer Forst) unternommen werden. Ausflüge erweitern den durch Hochhäuser eng begrenzten Horizont der Besucher. Mit den Ausflügen machen wir ihnen Felder und Wälder, schöne Alleen und Dörfer wieder greifbar.

Ausflüge kündigen wir den Besuchern rechtzeitig an und sammeln Wünsche. Planung und Organisation obliegt dann dem Gruppenleiter und mir arbeitsteilig. In Vorbereitung zu einem Ausflug habe ich beim Fahrdienst zwei Tage den Bus (ohne Fahrer) angefordert. Bei Fahrtantritt sorge ich dafür, daß wir ausreichend Getränke und Kekse dabei haben. Sicherheitshalber packen wir auch einen Rollstuhl mit ein. Bei einer Tour, in deren Verlauf wir auch mittags einkehren, vergesse ich auch nicht die Medikamente. Bei Ausflügen mit der großen Gruppe, stehen viel Personal und ein Bus mit Fahrer für den Notfall bereit.

Unsere Ausflugsziele mit der kleinen Gruppe waren:

  • Falkensee
    "Wir überschreiten die ehemalige Grenze"
  • Bauernmarkt auf dem ehemaligen Kontrollpunkt Staaken
    "Wir erkunden das vielseitige Obst- und Gemüseangebot"
  • Naturschutzgebiet Hahneberg
    "Wir vergessen die Hochhäuser"

Bei jedem Ausflug weise ich die Besucher auf Riechens-, Hörens- und Sehenswertes hin. Zum Beispiel beim Ausflug ins nahegelegene Naturschutzgebiet auf den Geruch von einem Tier (Wildschwein?), den Ruf des Kuckucks, das Quaken der Frösche, die hoppelnden Karnickel, Vögel, Schmetterlinge, die Blumenpracht etc. Gelegentlich mache ich auch Fotos, die wir uns ein paar Tage später gemeinsam ansehen, um dann noch einmal über die schöne Zeit zu reden.

3.1.11 Einzelbetreuung der Besucher außerhalb der Tagesstätte

Zu Beginn meiner Praktikantentätigkeit wurde mir die Einzelbetreuung zweier allein lebender Besucherinnen der Tagesstätte, Fr. A. und Fr. H., aufgetragen, die i. a. keine Hauspflege erhalten. Während Fr. H. aus meiner Gruppe kommt, gehört Fr. A. zur Nachbargruppe. Im weiteren Verlauf habe ich auch noch die Einzelbetreuung von Fr. K. aus meiner Gruppe übernommen.

Jeden Montag fahre ich zusammen mit Fr. A. zu ihr nach Hause. Fr. H. dagegen bringe ich sporadisch - mindestens einmal in der Woche - nach Hause. Die Einzelbetreuung findet sowohl im innerhäusigen als auch im außerhäusigen Bereich statt.

Außerhäusig leiste ich u.a. Orientierungshilfe, indem ich mit ihnen

  • den Weg zur Tagesstätte, zum Arzt und zur Kirche übe,
  • durch ihren Kiez oder die nahegelegenen Kleingärten spazieren gehe,
  • durch den inzwischen verwilderten Garten gehe und dabei auf jahreszeitlich bedingte Veränderungen aufmerksam mache, und mir von Fr. A. die Pflanzen erklären lasse, die Fr. A. noch immer präzise mit Namen benennt. Sie bedauert jedoch ihre Unfähigkeit, den Garten wie in früheren Zeiten pflegen zu können.

Innerhäusig helfe ich dabei, die Fähigkeiten zur Ausübung der Aktivitäten des Täglichen Lebens zu reaktivieren, beispielsweise:

  • Körperpflege
  • verlegte Dinge (Schlüsselbund!) suchen
  • Knöpfe annähen
  • Wäsche falten und in den Schrank legen
  • Gemeinsam Balkonpflanzen einsetzen

Zur Betreuung gehört auch, daß ich die Lebensmittel kontrolliere, was verfallen bzw. verdorben ist.

Die meiste Zeit jedoch verwende ich für das aktive Zuhören. Das wird herzlich gedankt und wirkt sehr wohltuend.

3.1.12 Angehörigenarbeit

In ihrer schwierigen Situation suchen viele Angehörige das Gespräch mit den Betreuern. Angehörigenarbeit wird auf zwei Arten geleistet: telefonisch und in Form von Hausbesuchen.

Bei der Telefongesprächen, hatte ich Gelegenheit die aufopfernde Pflege, die bis an die Grenze der Belastbarkeit des Angehörigen geht, anzuerkennen. Durch mein anteilnehmendes Reden habe ich dem Angehörigen das Gefühl vermittelt, nicht mit der schweren Aufgabe verlassen zu sein. Darüber hinaus fand ein wichtiger Informationsaustausch über das Verhalten des Besuchers zu Hause und in der Tagesstätte statt. Dieser hilft sowohl dem Angehörigen als auch mir, besser auf den Besucher eingehen zu können.

An verschiedenen Hausbesuchen habe ich zusammen mit dem Gruppenleiter teilgenommen. Dabei habe ich erlebt, wie wichtig es ist, die Angehörigen über die Krankheit aufzuklären, um ihnen zu helfen, ihre Lebenssituation richtig einzuschätzen und Orientierungshilfe zu geben, z.B. Selbstaufgabe zu vermeiden.

3.1.13 Soziale Kontakte herstellen

Die Besucher der beiden Gruppen hatten außerhalb der Tagesstätte bislang kaum Umgang miteinander. Durch meine Beziehungen zu beiden Gruppen sehe ich für mich Möglichkeiten, gegenseitige Besuche von allein lebenden Mitgliedern der unterschiedlichen Gruppen in die Wege zu leiten. Dazu will ich meine Funktion als Einzelbetreuerin von Besuchern beider Gruppen nutzen und bei den ersten Besuchen selbst dabei sein.

Komplizierter sind gemeinsame Spaziergänge zu ermöglichen: Zwei Besucherinnen Fr. K. und Fr. H. sind noch sehr gut zu Fuß und haben auch beide große Freude am Spaziergängen. Es liegt daher nahe, daß sie ihre jeweilige Isolation überwinden, indem sie sich den gemeinsamen Wunsches nach Laufen und Plauschen über die Betreuungszeit in der Tagesstätte hinaus erfüllen. Ihre dementielle Entwicklung ist jedoch schon soweit fortgeschritten, daß sie nicht mehr in der Lage sind, Verabredungen zu treffen und einzuhalten.

Rosi bemüht sich, die Kontakte herzustellen, indem sie sich an die Leiterin des Seniorenwohnhauses wendet, in der eine der beiden Besucherinnen wohnt. Die Leiterin wendet sich an die für das Senionrenwohnhaus zuständige Sozialarbeiterin, um zwei "Juniorpartner" der "Generationsbrücke" zu vermitteln. Rosi wird dann das Weitere arrangieren, damit die beiden Jugendlichen behutsam an die alten Menschen herangeführt werden.

3.1.14 Kontakte zu Behörden

Wegen der Generationenbrücke habe ich mich mit der zuständigen Sozialarbeiterin des Bezirksamtes Spandau zu einem Gesprächstermin verabredet. Daraufhin kam sie zu uns in die Tagesstätte um die beiden Besucherinnen kennen zu lernen. Die Sozialarbeiterin wird sich wieder mit mir in Verbindung setzen, sobald sie mit den von ihr ins Auge gefaßten Jugendlichen gesprochen hat. Wir verabredeten, daß es dann meine Aufgabe sei, die jungen Frauen behutsam an die Besucherinnen heranzuführen.

3.1.15 Anamnesen

3.1.16 Informationsaustausch mit der Abteilung Hauspflege und Seniorenwohnhaus

Um in der Tagesstätte angemessen auf demente Menschen eingehen zu können, muß ich ihr soziales Umfeld (z.B. wie häufig werden sie von den Kindern besucht?) und ihr Verhalten im häuslichen Bereich kennen. Aus diesem Grund verabredete ich ein Gespräch mit der Leiterin des Seniorenwohnhauses, in dem zwei Besucherinnen der Tagesstätte wohnen.

Auf diese Weise erfuhr ich, daß Fr. K., die sich häufig über die extrem kurze morgendliche Betreuung durch ihre Hauspfleger erregt, oftmals wegen ihrer Gedächtnisstörung gerade dann ihre Wohnung verläßt, wenn sie den Besuch der Hauspfleger erwartet. Wenn sich Fr. K. jetzt wieder über ihre Hauspfleger erregt, versuche ich ihr klar zu machen, daß sie zu Hause bleiben muß, bis sie zur Tagesstätte abgeholt wird.

3.1.17 Besucherdokumentation führen

In den ersten Tagen - der Phase des Kennenlernens - studierte ich gründlich die Besucherdokumentation, die bis dahin fast ausschließlich mein Gruppenleiter geführt hatte. Auf diese Weise lernte ich die Besucher besser einzuschätzen und konnte verständnisvoller auf sie eingehen.

konkretes Beispiel (Info => Verhalten => Nutzen f. Besucher)

Nachweis für Krankenkasse und Sozialamt

Darüber hinaus sind die Besucherdokumentation neben der wöchentlichen Dienstbesprechung das wichtigste Mittel zum Informationsaustausch zu den Stellvertretern, den Angehörigen, den Ärzten und den nach mir kommenden Praktikanten.

Aus diesem Grund tragen mein Gruppenleiter und ich sporadisch unsere Beobachtungen in die Dokumentationen aller Besucher ein. Ich führe vorzugsweise die Dokumentation von vier Besucherinnen. Dies tue ich stets in Ruhe, die mir eine intensive innere Auseinandersetzung mit der jeweiligen Besucherin erlaubt. Auf diese Weise entsteht ein immer schärferes Bild von der Besucherin nicht nur in der Akte, sondern auch in meinem Kopf. Vor allem mache ich mir hierdurch auch scheinbar unwichtige Details neu bewußt und kann positive oder negative Entwicklungsprozesse nachvollziehen.

3.2 Verhältnis zur Parktikumsanleitung

Zu meinem Gruppenleiter, Herrn Goepel, habe ich ein kollegiales Verhältnis. Obwohl er einen erheblichen berufliche Erfahrungsvorsprung besitzt und fest angestellt ist, läßt er sehr bewußt keinerlei hierarchische Unterschiede erkennen. Das äußert sich beispielsweise darin, daß er mir zugesteht, eigene Vorstellungen zu entwickeln und zu realisieren, auf die er sich dann einstellt. Auf diese Weise konnte ich folgendes eigeninitiativ einbringen:

  • regelmäßige Gesprächsrunde
  • regelmäßige Wahrnehmungsübungen
  • regelmäßige Lesestunde (Volksmärchen)
  • gemeinsames Einkaufen und Kochen
  • Töpfern
  • Blütenkollage aus selbst gemalten Blüten und Biedermeierstrauß aus Serviettenpapier basteln

Sein Vertrauen zu mir geht soweit, daß er mir nach einem Monat die Gruppe für mehrere Tage allein anvertraut hat. In der Einzelbetreuung läßt mir mein Praktikumsanleiter völlig freie Hand.

Die Ausstrahlung, mit der Herr Goepel seinen Beruf ausübt, setzt für mich Maßstäbe. Durch seine fachliche Kompetenz erhält er von mir die volle Anerkennung, die die von ihm abgelehnte Hierarchie völlig überflüssig macht. Ich würde gerne mit ihm zusammen neue Eisen anpacken.

3.3 Fallbeschreibung

In folgender Fallbeschreibung soll im wesentlichen meine Arbeit am Beispiel der Besucherin, Fr. H., über einen Beobachtungszeitraum von ca. vier Monaten veranschaulicht werden. Ich werde über die Anstrengungen berichten, die notwendig waren, um Fr. H. aus ihrer Isolation zu befreien und zum Besuch unserer Tagesstätte zu bewegen, wo sie sich schließlich gut in die bestehende Gruppe eingefügt hat.

3.3.1 Zur Person von Fr. H.

Fr. H. besucht seit Februar 1993 die Tagesbetreuung. Sie ist z.Zt. 81 Jahre alt und in guter körperlicher Verfassung - wenn auch extrem schlank. Fr. H., eine ehemalige Köchin, ist seit sieben Jahren verwitwet. Sie bewohnt eine stets aufgeräumte Zweizimmerwohnung in der 7. Etage eines Hochhauses, das acht Gehminuten von der Tagesstätte entfernt liegt.

Die einzige Tochter ist noch berufstätig und wohnt im gleichen Bezirk. Sie erkundigt sich regelmäßig nach dem Befinden ihrer Mutter und besucht sie mindestens jeden Sonntag. Die Tochter veranlaßte auch die Anmeldung von Fr. H. in der Tagesbetreuung.

3.3.2 Krankheitsverlauf

Da Fr. H. alleine wohnt und ihre Tochter keine konkreten Einzelheiten bezüglich des zeitlichen Verlaufs der psychischen Auffälligkeiten machen konnte, fehlen Angaben zum bisherigen Krankheitsverlauf.

3.3.3 Befund bei der Aufnahme

Das Aufnahmegespräch ergab folgende psychische Befindlichkeit: Fr. H., sei zeitlich und örtlich desorientiert. Fr. H. schlösse sich oft aus ihrer Wohnung aus. Sie klingele häufig nachts bei den Nachbarn und vergäße auch das Essen und Trinken.

Fr. H. sollte zunächst täglich vom Fahrdienst in die Tagesstätte abgeholt werden. Wenn der Fahrdienst morgens an ihre Wohnungstür kam, öffnete Fr. H. die Tür nicht und verleugnete ihre Anwesenheit, indem sie sich ganz still verhielt. Oftmals verließ der Fahrdienst Fr. H. unverrichteter Dinge, so daß Fr. H. die Tagesstätte nur sporadisch besuchte. Nachträgliche Anrufe bei ihr blieben ergebnislos, da sie nicht ans Telefon ging.

3.3.4 Die Betreuung aufgrund meiner Beobachtungen an der Besucherin

Da alle Besucher der Tagesstätte pünktlich abgeholt werden müssen, mußte eine vom Fahrdienst unabhängige Lösung gefunden werden, um Fr. H. abzuholen. Deshalb beschlossen mein Praktikumsleiter und ich, Fr. H. wechselweise zu Fuß abzuholen. Wechselweise wollten wir Fr. H. abholen, damit sie sich an uns beide gewöhnt und wir uns gegenseitig vertreten können. Zu Fuß wollten wir den Weg machen, damit Fr. H. lernt, sich innerhalb ihres Wohngebietes zu orientieren.

Als ich Fr. H. das erstemal von Zuhause abholte, hatte sie mich bereits einige Male in der Tagesstätte erlebt. Ich klingelte und wartete eine Weile. Als ich leise Schritte hörte, klopfte ich an der Wohnungstür und rief ihren Namen. Statt still zu sein antwortete sie diesmal: "Wer ist denn da?" Ich stellte mich durch die geschlossene Tür hindurch vor, woraufhin sie die Tür soweit öffnete, wie es die eingerastete Kette zuließ. Ich sagte ihr, daß ich mit ihr gemeinsam in die Gruppe gehen wolle. Daraufhin nahm sie die Kette weg und ließ mich in ihre Wohnung eintreten.

Fr. H. bedauerte, nicht mitkommen zu können, da sie noch Fester putzen und Essen für ihre Kinder (!) zubereiten müsse, da sie für den Nachmittag erwarte. Statt mit Argumenten ihre andere Lebenswelt zu in Frage zu stellen, begab ich mich auf ihre gedankliche Ebene und ging auf ihr scheinbares Problem ein: "Ihre Kinder sind doch groß genug. Sie müssen doch nicht immer für sie da sein und können auch mal das Haus verlassen. Was halten Sie davon, wenn wir ihnen die Zutaten schon einmal zurechtlegen und einen Zettel schreiben, daß sie mit der Zubereitung beginnen, wenn sie vor Ihnen kommen?" Darauf ließ sie sich ein - und genauso haben wir es auch gemacht.

Seither wird Fr. H. überwiegend von mir abgeholt. Stets stelle ich mich mit den selben Worten in der gleichen Tonlage durch die geschlossene Tür hindurch vor, so daß sich bei Fr. H. eine Vertrautheit eingestellt hat, die es mir erlaubt immer schneller in ihre Wohnung zu gelangen.

Häufig finde ich Fr. H. in unterschiedlichen desorientierten Situationen vor, die sie sehr stark beunruhigen, so daß sie völlig verzweifelt ist. Dabei wiederholen sich vor allem folgende drei Situationen:

  1. Einbrecher waren in der Wohnung und haben Gegenstände, die sie braucht, mitgenommen,
  2. Fr. H. hatte eine nächtliche Auseinandersetzung mit ihrem (verstorbenen!) Mann, den sie wie in den Ehejahren auch jetzt noch als bedrohend empfindet
  3. "jemand" hat ihr nachts die Wohnungsschlüssel weggenommen

Auf jede der Situationen gehe ich in ähnlicher Weise wie oben geschildert ein. Das erfordert von mir sehr viel Ruhe, beruhigendes Zureden und vor allem Geduld. Allein das Suchen der Wohnungsschlüssel dauert oftmals 30 - 45 Minuten. Meist finde ich sie mit irgendwelchen Gegenständen (z.B. Staubtuch plus Gummiband) umwickelt an unterschiedlichsten Orten (z.B. im Backofen) wieder.

Sind sie endlich gefunden, ist für Fr. H. die Welt wieder in Ordnung und sie kommt bereitwillig mit "in den Dienst". In ihrer Vorstellungswelt arbeitet sie noch immer in ihrem ehemaligen Beruf in der alten Dienststelle. Konsequenterweise ärgert sie sich darüber, daß sie "dort" jetzt kein Geld mehr bekommt, sondern nur noch Frühstück und Mittagessen. So nimmt sie manchmal zum Wechseln zwei Paar Schuhe mit, was ich ihr auch nicht ausrede.

In der Tagesstätte freut sich Fr. H. immer wieder über den hübsch gedeckten Tisch und über den herzlichen Empfang durch die anderen Gruppenmitglieder. Aufgrund der festen Sitzordnung findet sie mehr und mehr Kontakt zu ihrer Nachbarin. Sie beginnt sich allmählich wohl zu fühlen.

Meiner Bitte um Mithilfe beim Abräumen und Abwaschen des Geschirrs kommt sie gerne nach. Ich stelle fest, daß Fr. H. gerne töpfert, malt und selbst knifflige Dinge bastelt.

Beim Singen braucht sie meist kein Textblatt.

Sie ißt mit gutem Appetit und beteuert immer wieder, wie gut es ihr in Gesellschaft schmeckt.

Fr. H. beginnt sich zu öffnen, erzählt viel von ihrer Heimat Uckermark, den Eltern und Geschwistern, die aber alle schon verstorben sind. Dennoch leben in der Vorstellungswelt von Fr. H. ihre Brüder noch immer, kommen zum Mittagessen und betteln um Geld. Nun verstehe ich auch, warum Fr. H. ihre Geldbörse so gut versteckt, daß selbst ich große Mühe habe, sie wiederzufinden. Bevorzugte Verstecke sind der Backofen, der (Tief-)Kühlschrank und die Waschmaschine.

Zu ihrem Geburtstag habe ich mit den anderen Gruppenmitgliedern ein Ständchen eingeübt. Darüber war Fr. H. zu Tränen gerührt und erzählte noch lange danach davon.

Vier Wochen nachdem ich Fr. H. das erstemal abgeholt hatte, begrüßte sie mich bereits in Hut und Mantel in ihrer Wohnung. Nach weiteren vier Wochen stand sie völlig unerwartet morgens pünktlich um neun Uhr vor unserer Tür. Sie hat den Weg zu uns allein gefunden! Von uns bekam sie dafür ein dickes Lob und große Anerkennung.

Nun kündige ich mein morgendliches Kommen per Telefonat an. Dabei begrüße ich sie wie an ihrer Wohnungstür immer mit den selben Worten und der gleichen Tonlage. Meine Stimme weiß sie sofort einzuordnen und reagiert prompt darauf. Hin und wieder meldet sie sich jedoch nicht. Dann suche ich Fr. H. in der Umgebung. Meist passiert das am Wochenanfang, weil sie den Montag mit dem Sonntag verwechselt. Wenn ich sie dann gefunden habe, ist sie sehr erleichtert und freut sich darüber, daß sie in die Tagesstätte kommen kann.

Das Konzentrationstrainig bewältigt Fr. H. gut und schnell und erhält von den anderen Lob und Anerkennung. Auf meine Fragen nach ihrer früheren Tätigkeit gibt sie klare und genaue Antworten und gibt ihr Erfahrungswissen weiter.

In der Kochgruppe macht sie natürlich mit großer Begeisterung mit. Fr. H. geht gerne spazieren und ist ein guter Beobachter in der Natur.

Im Rahmen meiner Einzelbetreuung mache ich mit Fr. H. Orientierungsspaziergänge durch ihren Kiez und helfe ihr dabei, ihre Fähigkeiten zu Aktivitäten im häuslichen Bereich (z.B. Balkonblumen einpflanzen) zu erhalten bzw. zu reaktivieren.

Das wichtigste aber ist das aktives Zuhören. Dabei erfahre ich - wenn auch immer nur in Bruchstücken - vieles aus ihrem Leben, ihrer Ehe, die für sie nicht leicht war, aus ihrer Berufstätigkeit und von ihrer Tochter. Mir fällt auf, daß sie mir dinge anvertraut, die sie in der Tagesstätte nicht erwähnt. Sie hat also Vertrauen zu mir!

Nach dem Wochenende hat sie häufig starke emotionale Einbrüche. Fr. H wird jedoch schnell wieder von der Gruppe aufgefangen, so daß sich ihr Zustand schnell wieder stabilisiert und sie die Gemeinsamkeit in der Gruppe und auch meine zärtliche Zuwendung voll genießen kann.

Nach fast vier Monaten kommt Fr. H. fast jeden Morgen allein und steht bereits vor mir vor der Tür der Tagesstätte. Dann hilft sie uns beim Decken des Tisches und empfängt die später eintreffenden anderen Besucher.

Anruf - Reaktion phantastisch

Besonders gefreut hat mich folgende Begebenheit: Nach der Einzelbetreuung bei Fr. H. Zuhause, bestand sie darauf, mich zum Bus zu begleiten und beim Abfahren mir nachzuwinken, was sie dann auch tatsächlich getan hat.

3.3.5 Resümee

Dieser Fallbericht macht deutlich, wieviel Unterstützung und Zuwendung Kranke u.U. brauchen, um überhaupt von dem Angebot des Förderervereins zu profitieren. Ebenso deutlich wird aber auch, wie - wenn auch nur mit kleinen Schritten - eine Verbesserung der Lebensqualität des kranken Menschen - von periodischen Rückfällen abgesehen - herbeigeführt werden kann.

3.4 Problembereiche und Lösungsansätze

3.4.1 Problembereiche mit meiner Rolle als Berufspraktikant

Während meiner Anwesenheit in der Tagesstätte, werde ich fast pausenlos von den Besuchern in irgendeiner Weise in Anspruch genommen. Eine Pause im eigentlichen Sinn - in der ich von jeglicher Ansprache frei bin und entspannen kann - läßt sich wegen der bereits angesprochenen fehlenden Rückzugsmöglichkeit kaum nehmen. Dies führt bei mir zu einer Dauerbelastung, die ich für einen gewissen Zeitraum ertragen kann, die mich aber auf lange Zeit auszehren würde.

In dem halben Jahr meiner engagierten Tätigkeit, habe ich einiges in die Wege geleitet (z.B. die gemeinsamen Spaziergänge zweier Besucherinnen außerhalb der Tagesbetreuung mit Hilfe der "Generationenbrücke"), dessen weitere Entwicklung ich nach Ablauf der Praktikantenzeit nicht mehr miterleben kann. Ich bin gezwungen, die Weiterführung meiner Ideen anderen zu überlassen ohne die Möglichkeit der eigenen Einflußnahme. Es belastet mich, zu den Besuchern ein Vertrauensverhältnis aufgebaut zu haben, und mich ihnen mit Ende meiner Tätigkeit plötzlich zu entziehen.

3.4.2 Problembereiche mit der Rolle als Privatperson

Das intensive pausenlose Dasein für andere, führt dazu, daß ich nach Dienstschluß für ca. eine Stunde nicht mehr ansprechbar bin. Habe ich auch dann Zuhause keine Rückzugsmöglichkeit, entstehen leicht Spannungen, welche die Situation noch verschlimmern.

3.4.3 Lösungsversuche der Probleme - Änderungsvorschläge

Mit dem geplanten Umzug in die Obstallee wird sich die räumliche Situation erheblich verbessern. Dann wird es nicht nur Rückzugsmöglichkeiten für das Personal während der Pausen geben, sondern auch für besonders unruhige Besucher - zusammen mit einem Betreuer.

4. Zusammenfassende Bemerkungen

4.1 Verhältnis Schule - Praxis

Während meiner Schulzeit wurde ich zwar sehr gut in dem Fach "Alten- und Krankenpflege" vor allem mit den Symptomen dementiellen Erkrankungen vertraut gemacht. Wie man die angebotenen Verhaltensmuster im Umgang mit den Kranken in lebendiges Tun umsetzt, habe ich mir erst während meines Berufspraktikums erarbeitet. Ich sehe deshalb das Berufspraktikum als eine wertvolle Ergänzung zu meiner Schulzeit, die ich nicht missen möchte.

4.2 Persönliche Entwicklung während der gesamten Praktikumszeit

mehr Gelassenheit

Die Erfahrung, daß durch meine Arbeit ein schier unerträgliches Dasein dementer Menschen für einen Tag - oder gar nur ein paar Stunden - nicht nur erträglich, sondern auch zufrieden gemacht wird, erzeugt in mir ein hohes Maß an Sinnhaftigkeit meines eigenen Lebens.

klarere berufliche Ziele: Rückgewinnen verlorengegangener Lebensqualität Zunehmende Ausrichtung meiner künftigen Arbeit auf die Betreuung der dementiell Erkrankten,

Bestätigung in meiner Berufswahl

Während der Zeit meines Berufspraktikums habe ich mir eine gehörige Portion Gelassenheit zugelegt.

Insbesondere kann ich mich auch über kleine "Erfolge" freuen, besonders wenn ich es wieder einmal geschafft habe - und sei es nur in winzigen Schritten - verlorengegangene Lebensqualität bei Menschen zurückzugewinnen, bei denen viele glauben, nichts mehr bewirken zu können.

Diese Fähigkeit möchte ich gerne weiter ausbauen und deshalb meine künftige Arbeit zunehmend auf die Betreuung dementiell Erkrankter ausrichten.

Da ich während meiner Praktikumszeit erfahren habe, daß mir mein Beruf als Altenpfleger ein Arbeitsfeld bietet, in dem ich mich nach meinen eigenen Vorstellungen einbringen kann, fühle ich mich in meiner Berufswahl bestätigt. Die Erfahrung, daß durch meine Arbeit ein schier unerträgliches Dasein dementer Menschen für einen Tag - oder gar nur ein paar Stunden - nicht nur erträglich, sondern auch zufrieden gemacht wird, erzeugt in mir ein hohes Maß an Sinnhaftigkeit meines eigenen Lebens.

© Alzheimer Angehörigen-Initiative e.V.