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Verhaltenstherapie

Dr. Gernot Lämmler, Berlin

Verhaltenstherapie (VT)

Besonders in frühen Stadien der Demenz leiden die Kranken häufig unter Ängsten und Depressionen. Psychotherapie, bei anderen schwerwiegenden Erkrankungen als probate Methode angesehen, gilt bei der Demenz häufig als wenig erfolgversprechend: Schließlich treten schon im Frühstadium erhebliche Gedächtnisstörungen auf, und auch intellektuelle Funktionen wie logisches Denken oder Urteilsvermögen können schon früh betroffen sein. Der Psychotherapeut ist damit gefordert, dem Verlust der inneren Struktur beim Patienten (z.B. wiederholtem Erzählen eines Sachverhaltes in einer Sitzung) einfühlsam und gleichzeitig direktiv zu begegnen, um so eine äußere Hilfsstruktur zu geben. Diese Voraussetzungen machen die Verhaltenstherapie (VT) zur idealen Therapieform gerade in frühen Stadien der Demenz: Die VT ist eine sehr strukturierte Therapiemethode, die alltagsorientiert aktuelle Probleme bearbeitet und sehr individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt werden kann.
Die Wirksamkeit der VT insbesondere bei depressiven Störungen Demenzkranker ist mittlerweile gut belegt. Steht zu Beginn des Krankheitsprozesses der Demenzkranke im Zentrum der Therapie, verschiebt sich der Schwerpunkt in späteren Stadien auf Interventionen mit Hilfe der Angehörigen (z.B. Förderung selbstständigen Verhaltens bei der Nahrungsaufnahme oder bei der Körperpflege). Allerdings muss der Therapeut schon im Frühstadium der Demenz das übliche Vorgehen so abwandeln, dass der Patient nicht überfordert wird. Zu achten ist u.a. auf:

  • Vereinfachung durch kleine Teilschritte und einfache Sprache

  • Strukturierende Gesprächführung

  • Wiederholung von Informationen, Aufgreifen von Hausaufgaben

  • Alltagsbezogene Ziele, konkrete Beispiele

  • übersichtliches Therapiematerial (schriftliche Aufzeichnungen)


Speziell für die Psychotherapie von Alzheimer-Kranken im Frühstadium haben Thorsten Ehrhardt und Anita Plattner 1999 das „Verhaltenstherapeutische Kompetenztraining“ entwickelt. Dieses umfasst mehrere Bausteine, von denen beispielhaft zwei vorgestellt werden sollen: der „Aktivitätenaufbau“ und die „Veränderung schädlicher Gedanken“.

Aktivitätenaufbau

Im Frühstadium der Demenz registriert der Kranke seine Einbußen meist sehr gut und versucht, diese vor der Umwelt zu verbergen. Um allen Eventualitäten vorzubeugen, werden oft auch Aktivitäten aufgegeben, die noch ohne Weiteres beherrschbar wären. Die Konsequenzen sind fatal: Zum einen geht alles, was nicht regelmäßig getan wird, schneller verloren, zum anderen fallen durch Passivität und sozialen Rückzug immer mehr Erfolgserlebnisse – sog. positive Verstärker - weg. Kompetenzverlust, depressive Gedanken und Vermeidungsverhalten bilden so eine Abwärtsspirale, die das Fortschreiten der Erkrankung beschleunigt.
Beim Aktivitätenaufbau kommt es zunächst darauf an, dem Patienten den Zusammenhang von Aktivitätsniveau und Stimmung zu erklären. Gemeinsam erstellen Therapeut und Patient eine Liste angenehmer Aktivitäten. Diese müssen gut zu bewältigen sein und den Bedürfnissen des Patienten entsprechen. Schließlich wird schriftlich vereinbart, welche Aktivitäten bis zur nächsten Therapiesitzung ausgeführt werden sollen. Die Durchführung dieser „Hausaufgabe“ wird auf einer Checkliste abgehakt und in der nächsten Sitzung besprochen. Der Schwierigkeitsgrad wird flexibel dem Stand des Patienten angepasst; dabei sind Überforderungssituationen unbedingt zu vermeiden.
Der Aktivitätenaufbau trägt dazu bei, dass der Kranke nicht mehr einseitig seine Defizite sieht, sondern auch die vielen Dinge, die er in diesem Stadium der Erkrankung noch bewältigt. Durch den häufigen Gebrauch bleiben die Kompetenzen länger erhalten, der Kranke erfährt mehr Selbstbestätigung und gewinnt an Selbstvertrauen.

Veränderung schädlicher Gedanken

Hinter der Aufgabe von Aktivitäten stehen häufig selbstabwertende Gedanken wie „Ich kann überhaupt nichts mehr“. Werden solche Gedanken nicht gleichzeitig bearbeitet, wird der Aktivitätenaufbau nicht unbedingt erfolgreich verlaufen. Eine zentrale Annahme der Verhaltenstherapie ist dabei das sog. „ABC-Modell“: A (Auslösendes Ereignis) führt zu einer bestimmten Bewertung (B) und diese erst zu einer bestimmten emotionalen Konsequenz (C). Es sind also nicht die Ereignisse selbst, die eine Depression „machen“, sondern unsere Bewertungen. Wenn sich diese Bewertungen dauerhaft verändern, ändern sich schließlich auch die Emotionen. Der Psychotherapeut wird dem Kranken zwar vermitteln, dass seine Gedanken eine verständliche Reaktion auf eine äußerst belastende Erfahrung darstellen. Gleichzeitig wird er aber gemeinsam mit dem Patienten behutsam realistischere Bewertungsalternativen entwickeln (so könnte etwa aus dem Gedanken „Ich verlaufe mich nur noch“ möglicherweise der realistischere Gedanke erarbeitet werden „In einer neuen Umgebung finde ich mich zwar nur schwer zurecht, in meinem Viertel kenne ich mich aber gut aus!“). Die Veränderung schädlicher Gedanken, die sog. kognitive Umstrukturierung, hat nichts mit positivem Denken zu tun! Beim positiven Denken werden beunruhigende Gedanken nur verdrängt. Die notwendige Auseinandersetzung mit den eigenen Gedanken und Gefühlen, die jeder wirklichen Veränderung vorausgehen muss, unterbleibt somit.

Geeignete Verhaltenstherapeuten

Verhaltenstherapie wird von Psychologen und Ärzten durchgeführt und von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt. Leider ist die große Mehrheit der Verhaltenstherapeuten mit den Besonderheiten der Therapie von Demenzkranken kaum vertraut. Dies dürfte oft auf geringes Interesse zurückzuführen sein, da sich in der Therapie mit Demenzkranken letztlich immer nur zeitlich begrenzte Erfolge erzielen lassen. Dennoch gibt es Kollegen, die sich mit hoher Kompetenz und großem Engagement dieser Personengruppe widmen. Geeignete Praxen können am ehesten die regionalen Alzheimer-Gesellschaften empfehlen.

zur Person:

Dr. phil. Dipl.-Psych. Gernot Lämmler ist seit 1999 Leitender Neuropsychologe im Evangelischen Geriatriezentrum Berlin (EGZB),
Reinickendorfer Str. 61, 13347 Berlin-Wedding und zugleich Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Geriatrie an der Charité, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Mitglied der Gesellschaft für Klinische Neuropsychologie und auch Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der "Zeitschrift für Neuropsychologie".

Nach Abschuss des Psychologiestudiums an der Technischen Universität Berlin 1989 zunächst als Neuropsychologe im Max-Bürger-Zentrum, Berlin-Charlottenburg tätig. 1994 Wechsel in das EGZB. Dort Zertifizierung als "Klinischer Neuropsychologe GNP" durch die Gesellschaft für Neuropsychologie e.V. und Promotion zum Thema: "Leben mit dem Schlaganfall: Belastungserleben und Bewältigungsverhalten der Frauen älterer Schlaganfallpatienten". 1999 Approbation als Psychologischer Psychotherapeut.

Schwerpunkte sind die Neuropsychologische Diagnostik, insbesondere die Frühdiagnostik der Demenz im Rahmen der Gedächtnissprechstunde, die neuropsychologische Therapie sowie die Angehörigenberatung.

Wissenschaftliche Interessen: Vor allem Untersuchungen zur Demenz, zum Schlaganfall, zur Angehörigenarbeit und die Weiterentwicklung der postgraduierten Ausbildung zum Klinischen Neuropsychologen GNP.


 

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