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Wie wird in Alzheimer-Studien

mit ethischen Fragen umgegangen?

Die Forschung an dementen Patienten stellt die Forscher vor besondere ethische Probleme, da es sich hierbei um Personen mit eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit handelt. Die vorliegende Meta-Studie von Stocking et al. untersuchte anhand von wissenschaftlichen Artikeln, inwiefern Forscher diesen Aspekt berücksichtigen. Es wurden 125 Artikel analysiert, welche zwischen 1992 und 1998 in US-amerikanischen Fachzeitschriften zum Thema „Demenz“ erschienen waren und die über Studien berichteten, in denen demente Patienten als Versuchspersonen teilgenommen hatten.

Die Autoren stellten bei ihrer Analyse fest, dass über ethische Fragen nur sehr unzureichend und uneinheitlich berichtet wurde: In fast einem Drittel der Artikel (30,4%) wurde keine informierte Einwilligung der Versuchspersonen oder derer Angehöriger angegeben. Bei den anderen Artikeln wurde aus mehr als der Hälfte (55,2%) nicht deutlich, in welcher Form die Zustimmung zum Versuch (schriftlich, mündlich o. beides) gegeben wurde. Bei von Pharmafirmen unterstützten Studien wurde hingegen fast immer über das Vorliegen einer informierten Einwilligung berichtet (95,5%).

In den meisten Studien wurde die kognitive Leistungsfähigkeit (und damit auch die Entscheidungsfähigkeit) zu irgendeinem Zeitpunkt bewertet, doch anscheinend meistens (das wurde in den Artikeln oft nicht eindeutig dargestellt) erst, während die Studie schon lief. Nur in zehn Artikeln wurde explizit berichtet, dass die Entscheidungsfähigkeit vor Einholung der Zustimmung überprüft wurde. Auch wurde aus vielen Artikeln nicht deutlich, inwiefern die Patienten eine Blanko-Zustimmung für alle möglichen Studien bei Aufnahme in eine bestimmte Institution (z.B. Klinik) gegeben hatten. Nur zwanzig Studien erwähnten explizit, dass speziell für die publizierte Studie eine Einwilligung gegeben wurde.

Von den 85 Studien, in welchen eine Einwilligung erwähnt wurde, gab bei 12,6 % ein Angehöriger des Patienten alleine seine Zustimmung, in 35 % Angehöriger und Patient. Dabei wurde oft nicht ausreichend spezifiziert, nach welchen Kriterien entscheidungsbefugte Angehörige bestimmt wurden.

Es wurde schon in einigen Publikationen zum Thema darauf hingewiesen, dass auch Personen mit beschränkter Entscheidungsfähigkeit in irgendeiner Form die Möglichkeit haben müssen, sich der Teilnahme an einem Versuch zu verweigern. Als Hinweise für eine Berücksichtigung des Willens des Patienten wurden neben seiner Zustimmung (unabhängig vom Angehörigen) auch gewertet, wenn im Artikel erwähnt wurde, dass potentielle Versuchspersonen die Teilnahme ablehnten oder sich im Verlauf verweigerten. In fast der Hälfte der analysierten Artikel (48,8 %) fand sich kein Hinweis darauf, dass der Wille der Patienten berücksichtigt wurde.

Auf der anderen Seite setzten 64 % der Studien ihre Teilnehmer einem mehr als nur minimalen Risiko aus (hierunter fallen auch alle Studien mit Bildgebung, da sie für demente Patienten extrem angstauslösend sein können). 38 Studien setzten ihre Teilnehmer einem solchen Risiko aus, ohne gleichzeitig einen direkten medizinischen Nutzen für die Patienten in Aussicht zu stellen, von diesen gaben 13 keine ausreichenden Informationen über eine Berücksichtigung des Willens der Versuchspersonen an.

Wie könnte ein einheitlicher Standard zum Umgang mit der Forschung an dementen Personen aussehen? Stocking et al. geben sechs Fragen an, auf welche jede Studie Antwort geben sollte:

  1. War es unbedingt nötig, demente Personen als Versuchspersonen zu nehmen?
  2. Wurde der Wille der Versuchspersonen ausreichend berücksichtigt (Möglichkeit abzulehnen)?
  3. Birgt die Untersuchung ein mehr als nur minimales Risiko (nach Einschätzung einer Ethikkomission)?
  4. Wann, wie und von wem wurde die Entscheidungsfähigkeit potentieller Versuchspersonen erfasst und wer gab letztlich seine Zustimmung zu diesem speziellen Versuch?
  5. Birgt die Studie die Möglichkeit einer direkten medizinischen Verbesserung für den jeweiligen Patienten? Wie werden Patienten geschützt, für die keine Verbesserung in Aussicht gestellt wird, und die ein mehr als nur minimales Risiko eingehen?
  6. Wie wurden Angehörige ausgewählt und handelte es sich um im juristischen Sinn entscheidungsbefugte Personen?

Damit die Artikel in Fachzeitschriften dann nicht zu lang (und unleserlich) werden, schlagen Stocking et al. vor, dass die Gutachter einer Zeitschrift, einen separaten Bericht mit ausführlicher Beantwortung dieser Fragen erhalten und nur geprüfte Artikel veröffentlicht werden (dieser zusätzliche Bericht könnte dann noch im Internet allgemein zugänglich gemacht werden).

Stocking, C.B., Hougham, M.A., Baron, A. & Sachs, G.: Ethics reporting in publications about research with Alzheimer’s disease patients. J Am Geriatr Soc. 2004 Feb; 52(2) 305-10


© Dipl.Psych. Andrea Mihail
Forschungsgruppe Geriatrie am Evangelischen Geriatriezentrum Berlin
Charité, Universitätsmedizin Berlin
Reinickendorfer Str. 61
13347 Berlin

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