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PEG-Sonde und Sterbehilfe
Der Aufsatz beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Urteils des Bundesgerichtshofes in Strafsachen, den Beschlüssen des Oberlandesgerichtes Frankfurt am Main und des Landgerichtes München I zur Sterbehilfe, sowie mit einem Beschluß des Amtsgerichtes Ingolstadt vom 24.9.1998 zur Legung einer PEG-Sonde. Wir alle kennen die Situation: Bis dato herrschte in Rechtsprechung und Lehre Konsens dahingehend, daß es sich bei dem Anlegen einer PEG-Sonde
nicht um eine Maßnahme handelt, die der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 BGB bedarf. Die bis
dato vorgenommene Auslegung des § 1904 BGB ging dahin, daß es sich bei dem Legen einer Magensonde eben nicht um
einen Heileingriff handelt, der generell geeignet ist, bei einem Betreuten den Tod bzw. "einen schweren oder
längerdauernden gesundheitlichen Schaden" hervorzurufen, wie es der Gesetzeswortlaut von § 1904 BGB fordert. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Betroffene befand sich, nachdem er einen vierten Schlaganfall erlitten hatte, unansprechbar und intravenös ernährt auf der Intensivstation eines Klinikums. Ärztlicherseits war beabsichtigt, ihm zur Sicherstellung der Ernährung eine Magensonde zu legen. Die Tochter des Betroffenen, die zur Betreuerin für ihn mit dem Aufgabenkreis "Gesundheitssorge, Zuführung zur ärztlichen Behandlung" bestellt wurde, beabsichtigte, dem Anlegen einer PEG-Sonde nicht zuzustimmen. Als Grund führte sie an, daß ihr Vater in der Vergangenheit stets den Wunsch geäußert habe, daß man sein Leben nicht durch jahrelanges künstliches Ernähren verlängere. Nachdem das Gericht sich von dem Betroffenen einen unmittelbaren Eindruck verschafft und diverse Beteiligte angehört hatte, genehmigte es vormundschaftsgerichtlich nach § 1904 BGB analog die Weigerung der Betreuerin zur Anlegung einer PEG-Sonde. Im konkreten Fall hatte also das Amtsgericht Ingolstadt zu klären, ob § 1904 BGB auch dann entsprechend anwendbar ist, wenn die beabsichtigte Maßnahme, hier also das Nichterfolgen der Ernährung durch eine Magensonde, für den Patienten das Risiko mit sich bringt, daß er in einem medizinisch nicht genau festlegbaren Zeitraum infolge unzureichender Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr in einen körperlichen Zustand gerät, der das Risiko des Todes in sich birgt. Das Gericht genehmigte also vormundschaftsgerichtlich die Absicht der Betreuerin, der Legung einer Magensonde nicht zuzustimmen und berief sich hierbei im Rahmen der Beschlußbegründung auf die vorliegenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen2 und diesem folgend des OLG Frankfurt am Main.3. Beide Gerichte hatten es im Falle von betreuten Personen, die bereits seit Jahren mittels einer PEG-Sonde ernährt wurden, für zulässig erachtet, daß die Durchführung der künstlichen Ernährung eingestellt wird nach entsprechender vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung analog § 1904 BGB - sofern dies dem mutmaßlichen oder geäußerten Willen des Patienten entspricht. Der Bundesgerichtshof hatte mit Urteil vom 13.9.1994 u.a. statuiert: "Nach ihrem Sinn und Zweck muß sie (gemeint ist die Vorschrift des § 1904 BGB) in Fällen der Sterbehilfe jedenfalls dann - erst recht - entsprechend anzuwenden sein, wenn die ärztliche Maßnahme in der Beendigung einer bisher durchgeführten lebenserhaltenden Behandlung besteht und der Sterbevorgang noch nicht unmittelbar eingesetzt hat. Wenn schon bestimmte Heilangriffe wegen ihrer Gefährlichkeit der allgemeinen Entscheidungsbefugnis des Betreuers entzogen sind, dann muß dies um so mehr für Maßnahmen gelten, die eine ärztliche Behandlung beenden sollen und mit Sicherheit binnen kurzem zum Tod des Kranken führen." Aus strafrechtlicher Sicht hielt der Bundesgerichtshof unter folgenden Voraussetzungen einen Behandlungsabbruch für zulässig:
An anderer Stelle im Urteil führt der Bundesgerichtshof aus, daß der Arzt in Grenzfällen einen gewissen Beurteilungs- und Ermessensspielraum bei der Entscheidung über Beendigung oder Fortsetzung einer Behandlung habe. Sofern jedoch wesentliche Lebensfunktionen eines Kranken, wie Atmung, Herzaktion und Kreislauf noch erhalten sind, ist nur dann ein zulässiger Behandlungsabbruch in Betracht zu ziehen, sofern er dem mutmaßlichen Willen des entscheidungsunfähigen Patienten entspricht. Bei der Entscheidung des Bundesgerichtshofes handelt es sich um eine solche in einer Strafsache. Den beiden
dortigen Angeklagten, einem Arzt und einem Betreuer, wurde zur Last gelegt, daß sie Einvernehmen dahingehend erzielt
hatten, bei der komatösen und irreversibel cerebral geschädigten Betroffenen, der Mutter des Betreuers, keine
Sondenernährung mehr durchzuführen. Wie bereits ausgeführt, hat sich das Oberlandesgericht Frankfurt in einem betreuungsrechtlichen Verfahren der Sichtweise des Bundesgerichtshofes angeschlossen und erkannt, daß der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen durch das Vormundschaftsgericht genehmigt werden kann, wenn dies dem zuvor geäußerten oder dem mutmaßlichen Willen eines im Koma liegenden Patienten entspricht und ein bewußtes und selbstbewußtes Leben nicht mehr zu erwarten ist. Zusammenfassend Das Amtsgericht Ingolstadt geht in diesem Sinne einen Schritt weiter, indem es die Erfordernis einer
vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung statuiert für den Fall, daß ein Betreuer sich weigert, seine Zustimmung zum
Legen einer Magensonde zu erteilen. Gerichte sollten also in geeigneten Fällen, d. h. wenn ein geäußerter oder mutmaßlicher entsprechender Wille eines Betroffenen eruierbar ist, zukünftig bereits an dieser Stelle mit der Kontrolle einsetzen. Im Rahmen der Entscheidungsbegründung argumentiert das Amtsgericht Ingolstadt damit, daß der Sinn des § 1904 BGB u.a. auch darin liege, zum einen den Betreuten vor voreiligen oder objektiv falschen Entscheidungen des Betreuers zu schützen und zum anderen, den Betreuer bei riskanten, das Leben bedrohenden Eingriffen dadurch in seiner Verantwortung zu unterstützen, daß die Entscheidung auf zwei Schultern, nämlich kumulativ Betreuer und Gericht, gelegt wird. Die Entscheidung befindet sich damit, wie oben bereits ausgeführt, auf einer Linie mit der des Bundesgerichtshofes in Strafsachen und derjenigen des Oberlandesgerichtes Frankfurt, die ebenso bei Maßnahmen eines Betreuers/Arztes, die auf eine Lebensverkürzung abzielen, das Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung analog § 1904 BGB statuieren. In eine ganz andere Richtung geht eine neuere Entscheidung des Landgerichtes München I4 vom 18. Februar 1999 zu Aktenzeichen 13 T 478/99. Dort beantragte der Betreuer, der Sohn des Betroffenen, der an einem schweren hirnorganischen Psychosyndrom erkrankt ist, ihm zu gestatten, die Ernährung seines Vaters mittels einer PEG-Sonde einzustellen und die Flüssigkeitszufuhr auf ein Mindestmaß zu beschränken. Das Landgericht München I lehnte es ab, eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung von lebensbeendenden Maßnahmen auszusprechen mit der Begründung, daß § 1904 BGB nicht analog für derartige Fallkonstellationen herangezogen werden könne. Das Gericht stützte seine Auffassung auf folgende Argumente:
Aus alledem, so das Landgericht München I, folge, daß Ärzte und Angehörige über lebensbeendende Maßnahmen in eigener Verantwortung zu entscheiden hätten. Aus dem oben erwähnten Urteil des Bundesgerichtshofes in Strafsachen folge, daß sie mit strafrechtlichen Sanktionen nicht zu rechnen hätten, sofern sie Maßnahmen ergreifen, die im Einklang stehen mit dem mutmaßlichen Willen des Kranken. Teilweise war ohnehin die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Frankfurt als ein Versuch dargestellt worden, Ärzte überflüssigerweise zu kontrollieren und eine Entscheidung, die an sich in ihre alleinige Zuständigkeit fiele, auf die Kompetenz der Vormundschaftsgerichte zu verlagern.5 Das zuletzt bezeichnete Urteil des Landgerichtes München I steht in Einklang mit den "Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung", die im September 1998 beschlossen wurden und in denen es heißt: "Patientenverfügungen sind verbindlich, sofern sie sich auf eine konkrete Behandlungssituation beziehen und keine Umstände erkennbar sind, daß der Patient sie nicht mehr gelten lassen würde.. "6 In Anlehnung an diese Grundsätze hat die Ärztekammer Berlin bundesweit als erste in ihrer Berufsordnung unter § 16 das nachfolgende niedergelegt: ".. Eine Patientenverfügung (Patiententestament mit Selbstbestimmung im Vorfeld des Todes, die der Patient im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte verfaßt hat, ist für den Arzt verbindlich, es sei denn, es sind konkrete Anzeichen erkennbar, daß der Wille des Patienten sich geändert haben könnte. Soweit möglich, soll der Arzt Erklärungen von Bezugspersonen berücksichtigen." Die Vorsitzende der Ethikkommission der Ärztekammer Berlin, Frau Professor Dr. Ruth Mattheis, kündigte an, daß seitens der Ärztekammer zukünftig Beschwerden über die Nichtbeachtung einer Patientenverfügung nachgegangen wird.7 Das Dilemma bei der jetzigen Rechtssituation besteht darin, daß die beiden oben genannten Entscheidungen des
Bundesgerichtshofes in Strafsachen sowie der Beschluß des Oberlandesgerichtes zwar rechtskräftig sind, diese
Rechtskraft sich jedoch nur auf den konkreten Einzelfall erstreckt. Es hat sich, wie man dem Beschluß des
Landgerichts München I entnehmen kann, bis dato noch keine allgemeine Rechtsauffassung herausgebildet, wie im Falle
eines beabsichtigten Behandlungsabbruches zu verfahren ist. Für einen Betreuer ist es im einzelnen schwierig zu entscheiden, wie er sich am besten verhalten soll. Es wird von daher diesseits empfohlen, in haftungsrechtlicher Sicht den sichersten Weg zu gehen und einen Antrag auf Genehmigung einer lebensverkürzenden Maßnahme analog § 1904 BGB an das Vormundschaftsgericht auszubringen. Hierbei könnte in etwa das folgende Muster dienlich sein: |
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In dem vorliegenden Muster wurde der schwierigere Fall gewählt, daß nämlich die betreute Person es unterlassen hat, rechtzeitig eine Patientenverfügung schriftlich niederzulegen. Allerdings unterliegt das Abfassen eines Patiententestaments keinen Formvorschriften.8. Der Bundesgerichtshof hat es im Gegenteil für vollkommen ausreichend gehalten, wenn sich ein mutmaßlicher Wille auch aufgrund von früheren mündlichen Aussagen feststellen ließe. Lediglich zu Beweiszwecken wird es vielerorts empfohlen, die Patientenverfügung zumindest handschriftlich zu verfassen sowie in Gegenwart von Zeugen zu unterschreiben. Die Unterschrift von Zeugen ist zwar ebenso nicht vorgeschrieben, jedoch anzuraten im Hinblick auf das spätere Führen eines Nachweises, daß der Unterzeichnende bei Abfassung der Patientenverfügung im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war. Das Vormundschaftsgericht hat im folgenden drei Reaktionsmöglichkeiten: 1. Das Vormundschaftsgericht kann die analoge Anwendung des § 1904 BGB ablehnen. Damit wird die Entscheidung, ob die Sondenernährung stattfindet oder nicht, in die Kompetenz des Betreuers sowie der behandelnden Ärzte alleine gelegt. Diese Lösungsvariante entspricht der Entscheidung des Landgerichtes München I. 2. Das Vormundschaftsgericht genehmigt die beantragte Weigerung zur Anlegung einer PEG-Sonde analog § 1904 BGB und legt damit die Verantwortung für die Entscheidung auf die Schultern des Gerichts und des Betreuers. 3. Das Vormundschaftsgericht stellt sich mit der herrschenden Meinung auf den Standpunkt, das Anlegen einer Magensonde stelle grundsätzlich keine genehmigungspflichtige Maßnahme nach § 1904 BGB dar. In jedem Falle ist der Betreuer aufgerufen, in irgendeiner Form zu reagieren. Liegen dem Betreuer also Erkenntnisse darüber vor, daß der Betreute bestimmte medizinische Maßnahmen nicht an sich hätte dulden wollen, so ist er dazu verpflichtet, diesem Willen des Betreuten Geltung zu verschaffen. An dieser Stelle gilt es in Erinnerung zu rufen, daß der Betreuer alles ins Werk zu setzen hat, um den Wünschen des Betreuten zu entsprechen, § 1901 BGB. Nach dieser Vorschrift ist das Wohl des Betreuten entscheidender Maßstab für das Verhalten des Betreuers.9 Aus diesseitiger Sicht ist das Vorpreschen der Ärztekammer Berlin kritisierenswürdig. Es kann nicht angehen,
daß Ärzte und Betreuer oder aber Angehörige in jedem Falle allein über Leben und Sterben eines Betroffenen
entscheiden können. Dies würde der Gefahr von Mißbräuchen Tür und Tor öffnen. Es ist bekannt, daß gerade
große Vermögen bei vorgeblich treu sorgenden Anverwandten eine enorme Dynamik auszulösen vermögen: So kann es
nicht ausgeschlossen werden, daß Ärzten gefälschte Patientenverfügungen vorgelegt werden, die auf einen
Behandlungsabbruch abzielen. Bevor also die medizinethische Frage nach einer ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung diskutiert werden kann, ist
die Fähigkeit jedes Betroffenen zu einer selbstbestimmten Entscheidung vorab zu eruieren. Empirisch ist jedenfalls
ein Zusammenhang von depressiver Symptomatik und dem Wunsch nach ärztlicher Beihilfe zum Suizid bei Patienten mit
körperlichen Erkrankungen im Endstadium nachgewiesen.12 Ergebnis: |
Fußnoten:
1 | Amtsgericht Ingolstadt in bt-info, Beschluß vom 24.9.1998 - XVII 538/98, S. 44 |
2 | BGHSt, Urteil vom 13.9.1994 - 1 StR 357/94 in NJW 1995, S. 204 f. |
3 | OLG Frankfurt a. M., Beschluß vom 15.7.1998 - 20 W 224/98, in NJW 1998, S. 2747 f. |
4 | LG München I, Beschluß vom 18.2.1999 - 13 T 478/99 in BtPrax 1999 S. 115 f. |
5 | Judith Knieper in BtPrax 1998, S. 160 |
6 | Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung in Deutsches Ärzteblatt 95, Heft 39, 25.9.1998 A-2367 |
7 | Prof. Dr. Ruth Mattheis in Berliner Ärzte, S. 23/24 |
8 | Prof. Dr. Ruth Mattheis a.a.0. |
9 | BT-Drucksache 11-4528, S. 133 |
10 | Bernhard Knupp, Wolfgang Stille, Sterbebegleitende MedizinGrundlagen und Perspektiven in Medizinische Klinik 1997, S. 106. |
11 | J. Vollmann, Ärztliche Lebensbeendigung und Patientenselbstbestimmung in Deutsche Medizinische Wochenschrift 123, 1998, S. 93/95. |
12 | Vollmann, a.a.0. |
13 | Prof. Dr. Heinz Pichlmaier, Palliativmedizin - ein ganzheitliches Konzept in Deutsches Ärzteblatt 94, Heft 7, 14.2.1997. A - 380. |
14 | Dirk Stalinski, Gerichtliche genehmigte Sterbehilfe, Teil 2, in BtPrax 1999, S. 86/88 |
15 | Judith Knieper, Inhalt und Auswirkungen der Sterbehilfeentscheidung in BtPrax 1998, S. 160/162 |
16 | VGT in BtPRax 1998, S. 161 |
17 | Prof. Dr. Dr. Wolfram Müller-Freienfels, Anmerkung zum Urteil des OLG Frankfurt/M. in JZ 22/1998, S. 1123/1125 |