[Zurück zur Homepage => Info-Pool => Nahrungsaufnahme]

Logo: AlzheimerForum
Logo: Alzheimer Angehoerigen Initiative e.V.

Künstliche Ernährung am Lebensende

Patienten im Endstadium eines Hirnabbauprozesses

Die zweite Gruppe sind Patienten im Endstadium eines Hirnabbauprozesses, also vor allem Demenzpatienten. Diese Patienten leiden zwar an einer fortschreitenden und unheilbaren Krankheit, sind aber nicht zwangsläufig Sterbende im engeren Sinne. Die Grenze des Sterbebeginns lässt sich nicht eindeutig ziehen. Stellen sich bei diesen Patienten Schluckstörungen ein, reduziert sich die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Das kann zu Gewichtsverlust, Infektanfälligkeit und Verwirrtheitszuständen führen. Als ärztliches Therapieziel ist sowohl eine Prognoseverbesserung wie auch die Steigerung der Lebensqualität denkbar.

In der Ulmer PEG-Studie[4] wurden 35 Demenzkranke beobachtet, nur 57% lebten nach 6 Monaten noch. Lediglich bei 14% war eine Zustandsverbesserung durch die künstliche Ernährung zu verzeichnen, dabei handelte es sich vornehmlich um Patienten in frühen Stadien. Die Hoffnung auf Prognoseverbesserung scheint sich also nicht zu bestätigen. Nur 25% der über 80jährigen, die im Krankenhaus eine künstliche Ernährungssonde angelegt bekamen, überlebten diesen stationären Aufenthalt.[5] Eine Meta-Analyse von Studien der Jahre 1966 - 1999 zur Effektivität natürlicher bzw. künstlicher Ernährung bei Demenzpatienten zeigte, das durch künstliche Ernährung weder eine Risikosenkung in Bezug auf Häufigkeit von Lungenentzündung bzw. allgemeinen Infektionen noch eine Verlängerung der Überlebensdauer erreichbar war.[6] Durch die Einleitung einer Ernährung unter Umgehung des Schluckvorganges lässt sich bei diesen Patienten im Vergleich zu natürlicher Nahrungszufuhr statistisch keine Prognosebesserung nachweisen.

Die auf den ersten Blick plausibel erscheinende und zu erwartende Lebensverlängerung tritt also nicht ein. Man kann daher vermuten, dass Demenzkranke, wenn sie die natürliche Ernährung einstellen, bereits so krank sind, dass auch künstliche Ernährung den weiteren Verlauf nicht entscheidend ändert. Wenn ein schwerkranker Patient dass Füttern nicht mehr toleriert, ist es ein Signal für die Familie und die Pflegenden, dass der Tod naht - diese Erfahrung bei Patienten im Endstadium einer Tumorerkrankung scheint auch auf fortgeschrittene Phasen von Demenzerkrankungen übertragbar zu sein.

Eine schwerwiegende Belastung der Patienten mit künstlicher Ernährung darf nicht unerwähnt bleiben: Ein hoher Anteil muss fixiert werden, damit sie die Ernährungssonde überhaupt tolerieren, in einer Untersuchung bis 53%[7], in einer anderen sogar 90%[8]. Die Abwägung zwischen möglicher Lebensverlängerung und Freiheitseinschränkung erscheint problematisch und kann nur im Einzellfall gelingen.

Aus den vorliegenden Daten lässt sich keine allgemeine Indikation zur Einleitung künstlicher Ernährung bei Patienten mit fortschreitenden Hirnabbau ableiten. Nutzen und Risiko müssen durchaus abgewogen werden Im Endstadium der Krankheit erscheint sowohl der Abbruch wie auch die Nicht(mehr)einleitung der transvenösen Ernährung und der Sondenernährung möglich. Das Vorenthalten natürlicher Ernährung bei diesen Patienten lässt sich hingegen nicht rechtfertigen. Allerdings ist für die Gewährleistung dieser natürlichen Ernährung ausreichend Personal nötig.

Der Druck auf das Pflegepersonal und die Pflegeeinrichtungen ist sehr hoch. Gerade vor dem Hintergrund von Ökonomisierungstendenzen in der Behandlung und der Pflege erscheint die Einleitung einer künstlichen Ernährung aus personellen bzw. finanziellen Gründen oder gar die Forderung einer PEG als zwingende Bedingung für die Heimaufnahme als Verstoß gegen die Menschenwürde dieser Patienten. Nicht die Möglichkeit der künstlichen Ernährung dieser Patienten muss die Hauptforderung sein sondern die Sicherstellung der natürlichen Nahrungszufuhr.

[4] Scheppach B, Moehrer C, Can et al; Enterale Ernährung von Demenzpatienten über PEG; Inzidenz und Patientencharakteristiken im Raum Ulm, Euro J Ger 1999; 1; 34 (Abstract)

[5] Sheiman SL; Tube feeding the demented nursing home resident. JAGS 1996, 46:1268-1270

[6] Finucane TM, Christmas C, Travis K; Tube feeding in patients with advances dementia; JAMA 1999, 282; 1365-1370

[7] Quill TE: Utilisation of nasogastric feeding tubes in a group of chronically ill, elderly patients in a community hospital. Arch Intern Med 1989, 149; 1937-1941.

[8] Peck A, Cohen CE, Mulvihill MN; Long term enteral feeding of aged demented nursing home patients, J Am Geriatr Soc 1990, 38, 1195-1198.

Quelle: Oehmichen F; Berliner Medizinethische Schriften - Künstliche Ernährung am Lebensende; Heft 45, Humanitas Verlag, Dortmund, 2001, S. 11-13


Zurück zum Anfang des Dokuments


Diese Seite wird gepflegt von unserem Mitglied Christian Kolb (Buchautor und Gestalter der Web-Seite
Nahrungsverweigerung)