[AlzheimerForum => Übersicht => Angehörige berichten]

Logo: AlzheimerForum
Logo: Alzheimer Angehoerigen Initiative e.V.

„... Komm Herr Jesu, sei unser Gast

und segne, was du uns bescheret hast...“


Wer kennt diesen Satz nicht? Wir halten einen Platz an unserem Tisch für Jesus frei, damit er bei uns ist. Das ist natürlich nicht wörtlich zu verstehen – denn Jesus hat seinen Platz in unseren Herzen.

Bei uns Zuhause sitzt aber neben Jesus noch ein weiterer Gast mit am Tisch, ein ungebetener Gast namens Alzheimer! Wir haben ihn nicht eingeladen und trotzdem macht er sich breit und bestimmt unser aller Leben.

Jeder hat schon mal etwas über Alzheimer gehört. Aber weiß man wirklich, was da mit dem Kranken passiert?

Bei Wikipedia kann man lesen: Die Alzheimer-Krankheit (Morbus Alzheimer) ist eine fortschreitende Demenz-Erkrankung (von lat. demens, "verwirrt") des Gehirns, die vorwiegend im Alter auftritt und mit einer Abnahme der Gehirn- und Gedächtnisleistung einhergeht. Die Krankheit beginnt mit scheinbar zufälliger Vergesslichkeit und endet im Verlust des Verstandes. 1906 wurde sie durch den Arzt Alois Alzheimer diagnostiziert. Es kommt zur Degeneration von bestimmten Neuronen und dadurch zu Störungen der normalen zerebralen Funktionen, was bei Patienten zu Störungen bei Sprache, des Denkvermögens und des Gedächtnisses führt. Die Hirnmasse nimmt im Verlauf der Krankheit ab. Des weiteren werden wichtige Neurotransmitter nicht mehr produziert, was zu einer allgemeinen Leistungsschwächung des Gehirns führt.

Und wie sieht das in der Realität aus?

Es ist unsere Oma, die von Alzheimer geknechtet wird. Gerade mal 68 Jahre alt. Als wir klein waren, haben wir oft bei ihr übernachtet, sie hat mit uns Ausflüge gemacht, mit uns gemalt und gebastelt, Lieblingsessen gekocht, vorgelesen und vieles mehr. Eben alles, was eine liebe Oma so macht. Für uns damals wunderschön, aber auch irgendwie selbstverständlich. Und heute?

Oma wohnt seit gut einem halben Jahr bei uns im Haus. Sie hat keinerlei Orientierung mehr, das heißt, sie verläuft sich immer und überall – sogar in ihrer eigenen Wohnung! Sie kann sich noch sehr gut an ihre Kindheit in der Nachkriegszeit erinnern, weiß aber nicht mehr, was wir vor 5 Minuten gegessen haben. Sie zieht verrückte Klamotten an, weil sie nicht mehr erkennt, dass „man“ das so nicht trägt. Sie hat ständig Hunger, weil sie nicht mehr weiß, wann sie das letzte Mal gegessen hat. Sie räumt ständig um. So liegt zum Beispiel der Käse in der Bonbon-Dose, das Joghurt steht im Bad und der Eistee unter dem Bett. Wenn sie in die Badewanne soll, schimpft sie wie ein Rohrspatz! Und ständig fragt sie: „Wo soll ich denn hin? Was soll ich machen?“ Ihr Blick ist der eines gehetzten Tieres!

Seit wir aus dem Urlaub zurück sind, kann Oma nun auch tagsüber nicht mehr alleine bleiben. Sie besucht jetzt die Tagespflege, sozusagen einen Kindergarten für Senioren. Sie wird morgens um 8.00 Uhr abgeholt und mittags um 16.00 Uhr wieder nach Hause gebracht. Sie geht dort sehr gerne hin, dort wird gespielt, gesungen, getanzt und gelacht. Wenn sie nach Hause gebracht wird, muss immer einer von uns da sein, da sie keine Minute mehr alleine bleiben kann. Eigentlich ist sie ziemlich anspruchslos. So ist sie schon zufrieden, wenn sie einfach nur dabei sitzen darf. Andererseits ist es sehr anstrengend, denn sie fragt und erzählt immer wieder die gleichen Sachen. Es ist schwierig, dann auch immer wieder das Gleiche zu antworten. Man muss sich eben ständig vor Augen halten, dass sie uns nicht absichtlich ärgern möchte, sondern einfach krank ist und gar nicht anders kann.

Seit einigen Wochen müssen wir sie über Nacht einschließen, weil sie sonst weg läuft. Das kann jetzt nicht mehr passieren. Dafür ruft sie aber nachts zwischen 3 und 20 mal an und fragt, was sie machen soll. Unsere Mutter – die die Hauptlast trägt – geht zurzeit ziemlich auf dem Zahnfleisch. Für uns nicht immer einfach, weil Mama dadurch manchmal gereizt, manchmal sehr traurig ist. Aber wer will es ihr verdenken? Sie muss nicht nur mit der zeitlichen und körperlichen Mehrbelastung klar kommen, sie muss auch ihre Gefühle beherrschen: Schließlich entwickelt sich ihre Mutter langsam aber sicher immer weiter zurück in Richtung eines Säuglings. Tatsächlich ist es nämlich bei Alzheimer so, dass nicht nur „Vergesslichkeit“ die Krankheit ausmacht. Auch die körperlichen Funktionen lassen irgendwann nach. Das fängt beim Toilettengang an und geht bis zum nicht mehr selbständigen Essen und Trinken.

Für uns Enkel ist es schwierig, dass die Rollen so vertauscht sind. Nicht unsere Oma passt auf uns auf, sondern wir passen auf unsere Oma auf. Wir mussten uns von unserer Oma – wie wir sie kennen- und lieben gelernt hatten – schon vor einiger Zeit verabschieden. So werden wir sie nie wieder erleben. Die Krankheit verändert alles! Und trotzdem, wir haben unsere Oma lieb.

Warum wir das alles aufgeschrieben haben? Für uns ist es nicht leicht, vor unseren Freunden oder Bekannten zuzugeben, dass unsere Oma krank ist. Es ist uns eher peinlich und auch wenig cool, wenn wir auf Oma aufpassen müssen, wenn Oma sich so „komisch“ benimmt.

Aber eigentlich muss es uns nicht peinlich sein! Und ist es nicht doch eher cool, wenn wir ein Stück Verantwortung mittragen und uns um einen Menschen in Not kümmern?

Wir wollen nur zum Denken anregen. Vielleicht können wir etwas oder jemanden erreichen. Vielleicht denkt der eine oder andere darüber nach und lacht nicht, wenn wir mit Oma im Schlepptau irgendwo auftauchen, sie komisch aussieht oder sich merkwürdig benimmt.

Mehr wollen wir nicht. Denn trotz alledem, wir haben unsere Oma lieb.

© 2006 Alexander (13) und Maya (11) Weil, Sulzbach

Zurück zum Anfang des Dokuments