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Die Belastungen pflegender Angehöriger am Beispiel der Alzheimer Krankheit

Freitag, 21. 5. 99
Seminar Entwicklungspsychologie
Referat von Monika Arlik und Katja Lehmann

  1. EINLEITUNG
  2. DIE ALZHEIMER KRANKHEIT
  3. BELASTUNGEN / PROBLEME DER PFLEGENDEN ANGEHÖRIGEN
  4. SCHLUSSFOLGERUNGEN für pflegende Angehörige
  5. FORSCHUNG / BETREUUNG / BERATUNG
  6. LITERATUR
  7. INTERNET
  8. Anlage: Studie Demenz im "System Familie"

 


1. EINLEITUNG

Der Angehörige als Pflegender

In Deutschland hat das Verständnis für die Belastungen und die Unterstützungsbedürftigkeit Pflegender in den letzten 20 Jahren allmählich zugenommen. Es wurde niemals so viel Betreuung bzw. Pflege in Deutschland geleistet, sie war auch niemals so schwer und komplex und damit auch so belastend wie heute.
Die Anstrengungen pflegender Angehöriger entspringen dem selbstverständlichen und uralten menschlichen Impuls: Dem Nächsten - Partner, Mutter oder Vater, Tochter oder Sohn, Bruder oder Schwester - zu helfen, wenn er in Not ist. Er wird - als Hauptpflegeperson -, falls seine Gesundheit es zuläßt, die meiste Pflege leisten.

 

Was ist Pflege?

Pflege wird definiert als "mindestens mehrfach wöchentlicher Bedarf an Unterstützung bei der Ausführung von körperbezogenen alltäglichen Verrichtungen. Hier handelt es sich um Tätigkeiten in den Bereichen Hygiene, Mobilität/ Motorik und Ernährung bzw. Aufsichtsbedarf".
Da die Menschen länger gesund leben, ist die mittlere Lebenserwartung in diesem Jahrhundert stark angestiegen. Jedoch die Schattenseite ist, daß dem Tod viel häufiger als früher ein langer Zeitraum zunehmender Hilfsbedürftigkeit vorangeht. Wir leben also länger, aber auch länger bei angeschlagener Gesundheit.
Die moderne Medizin mit ihren vielfältigen lebensverlängernden, aber oft nicht leidensverändernden Potentialen und insbesondere die zunehmende Zahl Demenzkranker drohen immer häufiger, diese natürliche innerfamiliäre Hilfsbereitschaft zu überfordern.

Die wichtigsten pflegenden Angehörigen: Frauen

In unserer Gesellschaft sind es überwiegend Frauen, die ihre hilfsbedürftigen Angehörigen pflegen. Drei von vier Hauptpflegepersonen sind Frauen.
Die Hälfte der Hauptpflegepersonen ist zwischen 45 und 65 Jahre alt, wobei das Durchschnittsalter bei 57 Jahren liegt. Es gibt natürlich Ausnahmen.
Die Pflege eines hilfsbedürftigen Elternteils kommt für ein Kind fast immer zu einem ungelegenen Zeitpunkt, wie alt das Kind auch sein mag.
Aufgrund der Sorge für zwei Generationen, der jüngsten und der ältesten, werden pflegende Frauen im mittleren Alter "Sandwich-Generation", "Stützpfeiler-Generation" oder "Gefangene der Liebe" umschrieben. Viele dieser Frauen verbringen heutzutage ebensoviel Zeit mit der Pflege ihrer hilfsbedürftigen (Schwieger-)Eltern wie mit der Erziehung ihrer Kinder.
Unter den pflegenden Frauen haben es die alleinstehenden Betreuerinnen am schwersten. Denn ihnen fehlt die moralische und praktische Unterstützung durch einen Partner.

Motive für die Pflege

Positive Motivation: Negative Motivation:
- Selbstverständlichkeit
- Liebe oder Zuneigung
- Etwas zurückgeben wollen
- Vermeidung von Schuldgefühlen
- Gerne jemanden pflegen
- (Moralisches) Verantwortungs- oder Pflichtgefühl
- Selbstvertrauen
- Glaubensüberzeugung
- Sinngebung und Lebensziel
- Kontaktbedürfnis

- Wunsch, einem Beruf zu entfliehen (langweilig, schwer, überfordernd)

- Hoffnung auf Erbe, Geld oder einen finanziellen Vorteil

- Ein früheres Versprechen

- Verurteilung durch andere vermeiden


Gründe, die gegen eine Pflege sprechen:

- Schlechte Beziehung zum Angehörigen
- Schlechter Gesundheitszustand
- Anderweitige Verpflichtungen
- Verfügbarkeit besserer Alternativen für den Kranken
- Mangelnde Assertivität / Unterlegenheit

Worte einer pflegenden Frau dazu:

"Als ich mit der Pflege begann, da liebte ich ihn sehr, deshalb tat ich es. Er hat sich durch die Krankheit völlig verändert. Ich schäme mich, es zu sagen, aber so wie er jetzt ist, liebe ich ihn nicht mehr."

Unterschiede bestehen im Alter der Pflegenden, ihre Beziehung zu den Angehörigen und dem Leiden, wovon dieser betroffen ist. Gemeinsamkeiten bestehen in den Gefühlen, Sorgen und Problemen.
Drei Gruppen hilfsbedürftiger Menschen: behinderte Menschen, Personen mit einer heilbaren Krankheit und chronisch kranke Menschen. Circa 80 bis 90 % werden zu Hause gepflegt.
Der Löwenanteil pflegerischer Aktivität seitens Angehöriger muß bei chronischen Krankheiten geleistet werden. Um ein realitätsnahes Bild der Problematik pflegender Angehöriger zu erhalten, ist es sinnvoll, ein ungefähres Bild der Hilfsbedürftigen und deren Krankheit zu vermitteln.

2. DIE ALZHEIMER-KRANKHEIT

Nach dem Neurologen Alois Alzheimer (1864-1915) benannte Krankheit, bei der fortschreitend Hirnareale zerstört werden. Er beschrieb sie 1906 als allgemeine Großhirnatrophie und Emil Kraepelin (1856-1926) bezeichnete dies dann als Alzheimer-Krankheit. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
Bei der Alzheimer - Demenz handelt es sich um eine progrediente, neurodegenerative Erkrankung mit typischen klinischen und pathologischen Merkmalen, auch wenn individuelle Unterschiede hinsichtlich des Alters bei Erstmanifestation, Art und Ausmaß der kognitiven Beeinträchtigung und Fortschreiten der Erkrankung vorliegen können.
In Deutschland sind ca. 800.000 Menschen von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Es handelt sich um eine typische Alterserkrankung, d. h. je älter ein Mensch ist, um so größer ist für ihn das Risiko, befallen zu werden. 1-2 % aller 60jährigen, 20 % aller 80jährigen und 33 % aller 90jährigen leiden an der Krankheit.
Sie befällt vor allem den Schläfenlappen und den Scheitellappen und führt zu Störungen des Gedächt-nisses, der Sprache, des Denkvermögens, des Erkennens und der Handhabung von Gegenständen sowie der örtlichen Orientierung.
Diese Störungen äußern sich im täglichen Leben durch eine verminderte Leistungsfähigkeit sowie durch eine Veränderung der zwischenmenschlichen Beziehungen.
Die Gesamtheit der seelischen Veränderungen, die als Folge der Alzheimer-Krankheit auftreten, nennt man "Demenz" (lat. etwa: Zustand der Geistlosigkeit).

Ursachen der Alzheimer-Krankheit
- Erbfaktoren
- Entzündliche Vorgänge
- Umwelteinflüsse

Symptomatik

Für die Alzheimer-Demenz sind verschiedene Störungen der kognitiven Leistung (wie Gedächtnis, Sprache visuell-räumliche und ausführende Funktionen) und der Fähigkeit der Alltagsaktivitäten (Tab. 1) ebenso typisch wie neuropsychiatrische Symptome (Tab. 2), wobei der Schweregrad im Hinblick auf prämorbide Faktoren wie Bildungsgrad, Geschlecht oder kultureller Hintergrund unterschiedlich ausgeprägt ist.

Instrumentelle Aufgaben (IADL) Selbstversorgungsaktivitäten (ADL)
Leistung am Arbeitsplatz
Erledigung von finanziellen Angelegenheiten
Einhalten von Terminen
Erledigung von Korrespondenz
Fahrten ohne Begleitung
Benutzung von Haushaltsgeräten
Pflege von Hobbys

Auswählen angemessener Kleidung
Sich waschen
Sich ankleiden
Körperpflege
Toilettengang

Tab. 1: Verlust der funktionellen Autonomie bei Alzheimer-Demenz (vgl. Gelinas und Auer 1996)

= Antriebsstörungen
= Affektstörungen
= Aggressivität
= Angstzustände und Phobien
= Zirkadiane (Schlaf-) Störungen
= Halluzinationen
= Paranoide Symptome und Wahnvorstellungen

Tab. 2: Neuropsychiatrische Symptome bei Alzheimer-Demenz (vgl. Allen und Burns 1995)

Es besteht ein komplexer Zusammenhang zwischen dem Verlust der kognitiven Fähigkeiten, insbesondere der ausführenden Funktionen, die mit Planung, Abstraktionsvermögen und Aufmerksamkeit zu tun haben, und der funktionellen Autonomie. Die neuropsychiatrischen Störungen sind für die betreuenden Personen am schwierigsten zu bewältigen.
Die Symptome der Alzheimer-Krankheit sind nicht bei jedem Patienten völlig gleich. Sie hängen in gewissen Grenzen vom Ausmaß und der Ausbreitung der Veränderungen im Gehirn ab, werden aber auch durch Persönlichkeit, Ausbildungsniveau, Lebensumstände und körperlicher Verfassung (multifaktoriell bedingt) beeinflußt. Dennoch zeigt die Alzheimer-Krankheit einige typische Erkennungsmerkmale. Der Arzt verwendet bei der Untersuchung bestimmte Testverfahren und Untersuchungen, um die Diagnose zu sichern.

Warnzeichen bzw. erste Hinweise
- Vergessen von kurz zurückliegenden Ereignissen
- Schwierigkeit, sich in unvertrauter Umgebung zurechtzufinden
- Probleme bei der Ausführung gewohnter Tätigkeiten
- Nachlassendes Interesse an Arbeit oder Hobbys
- Schwierigkeiten beim Treffen von Entscheidungen

Drei Stadien

Gewöhnlich unterscheidet man drei Stadien der Alzheimer-Krankheit:

Erstes Stadium: Es bestehen leichtgradige, oft kaum bemerkte Symptome. Sie führen im täglichen Leben zu einer Beeinträchtigung komplexer Tätigkeiten und können folgende Bereiche betreffen:

- Gedächtnis, vor allem das Speichern von neuer Information (Kurzzeitgedächtnis, der Patient wiederholt Sätze oder Tätigkeiten, die er gerade zuvor gesagt oder getan hat.)
- Sprache, vor allem Wortfindung und Präzision des Ausdrucks
- Denkvermögen, besonders Schlußfolgern und Urteilen
- Örtliche Orientierung, z. B. Zurechtfinden in unvertrauter Umgebung
- Antriebsverhalten, z. B. Passivität oder Untätigkeit
- Störung der zeitlichen Orientierung (Patient weiß Datum und Uhrzeit nicht mehr)

Viele Patienten reagieren auf diese ersten krankheitsbedingten Veränderungen mit Beschämung, Angst, Wut oder Niedergeschlagenheit.

Zweites Stadium: Die Symptome sind so stark ausgeprägt, daß die selbständige Lebensführung nur noch mit erheblichen Einschränkungen und mit Unterstützung durch andere Menschen möglich ist. Sie betreffen die Bereiche:

- Gedächtnis, z. B. Vergessen von Namen vertrauter Personen
- Alltagsfunktionen, z.B. Schwierigkeiten beim Ankleiden, im Bad, bei der Einnahme der Mahlzeiten oder bei der Benutzung der Toilette
- Örtliche Orientierung, z. B. Probleme in der Wohnung die Zimmer zu finden, Verirren außerhalb des Hauses
- Wahrnehmung, in der Form von Sinnestäuschungen oder illusionären Verkennungen. Die Patienten sehen z. B. nicht vorhandene Personen.
- Antrieb, oft besteht eine ausgeprägte Unruhe, die Patienten wandern ziellos umher und drängen aus der Wohnung. Seltener ist eine weitgehende Untätigkeit.
- Verlorenes Zeitgefühl: Der Patient kann Vergangenheit und Gegenwart nicht mehr unterscheiden.
Drittes Stadium: Im dritten klinischen Stadium ist die selbständige Lebensfähigkeit aufgehoben. Die Patienten sind vollständig von ihren Familienangehörigen oder von anderen Bezugspersonen abhängig. Das Gedächtnis ist nicht mehr in der Lage, neue Informationen zu speichern. Die Sprache beschränkt sich auf wenige Wörter. Die Angehörigen werden häufig nicht mehr erkannt. Zu den hochgradigen Störungen der geistigen Leistungen kommen jetzt körperliche Symptome hinzu. Im dritten Krankheitsstadium können auftreten: - Probleme beim Essen, auch mit Hilfe
- Unfähigkeit, Familienmitglieder zu erkennen
- Vornübergeneigter, schleppender und kleinschrittiger Gang
- Gefahr von Stürzen
- Verlust der Kontrolle über Blase und Darm
- Verändertes sexuelles Verhalten
- Zerebrale Krampfanfälle
- Schluckstörungen

Im Endstadium der Alzheimer-Krankheit kommt es zu einem Verfall der körperlichen Kräfte. Die Patienten werden bettlägerig, die Gefahr von Infektionen nimmt zu. Die häufigste Todesursache ist eine Lungenentzündung.

Verlauf

Die Symptome setzen schleichend ein und schreiten allmählich fort. Die Geschwindigkeit dieses Fortschreitens ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Man kann sie nur sehr schwer vorhersagen. Als Faustregel kann gelten, daß Krankheitsfälle, die bisher langsam verlaufen sind, auch langsam fortschreiten werden. Wie lange lebt der Patient im Durchschnitt? 7 - 10 (15) Jahre, manchmal auch nur 3/4 J.

Diagnose

An den gerade beschriebenen Symptomen und an ihrer Aufeinanderfolge läßt sich die Alzheimer-Krankheit erkennen. Zur Sicherung der Diagnose müssen einige Untersuchungen durchgeführt werden, die ausschließen, daß eine andere Erkrankung mit ähnlichen Symptomen vorliegt.

- Prüfung von Gedächtnis, Denken, Sprache, Erkennen von Gegenständen und Handhabung von Gegenständen anhand standardisierter Tests durch den Arzt und den Psychologen
- Gründliche körperliche Untersuchung zum Ausschluß anderer Krankheiten
- Technische Verfahren wie Röntgen-Computer-Tomogramm (CT) oder Kernspintographie zum Ausschluß von Durchblutungsstörungen und Tumoren innerhalb des Gehirns
- Laborbestimmungen (Erkennen von Hormon- oder Vitaminmangelzuständen)

Mit endgültiger Sicherheit läßt sich die Alzheimer-Krankheit nur durch eine Gewebeprobe aus dem Gehirn(Biopsie) oder durch die Untersuchung des Gehirns nach dem Tod feststellen.

Die klinische Diagnose zu Lebzeiten des Patienten erreicht einen Sicherheitsgrad von 80 bis über 90 %.

Behandlung

Bei der Alzheimer-Krankheit gehen Nervenzellen und Nervenzellverbindungen zugrunde, die nicht wiederhergestellt werden können. Daher ist keine Heilung möglich.
Es gibt aber wirksame und hilfreiche Behandlungsmöglichkeiten, welche die Lebensqualität der Betroffenen und Angehörigen verbessern können:

- Medikamente
- Bestimmte psychologische Verfahren
- Anpassung der äußeren Lebensumstände

 

3. BELASTUNGEN / PROBLEME DER PFLEGENDEN ANGEHÖRIGEN

Pflegeaufgaben

Im Haushalt müssen u.a. die Betten gemacht, Mahlzeiten zubereitet und Einkäufe erledigt werden, es muß aufgeräumt und geputzt werden. In den Bereich der körperlichen Versorgung fallen Aufgaben wie
- Helfen beim An- und Ausziehen,
- beim Gang zur Toilette,
- beim Essen und Baden,
- die Pflege der Haare und die Mundhygiene.

Es werden auch vielfältige Aufgaben auf sich genommen, die pflegerischer Art sind, z.B. spritzen, Wundversorgung und Anlegen von Umschlägen. Auch Verwaltungsaufgaben werden übernommen wie Rechnungen bezahlen, Buchhaltung führen sowie Zuschüsse und Beihilfen beantragen.
Pflege ist allerdings mehr als nur Hilfe bei funktionalen Einschränkungen, z.B. auch Gesellschaft leisten, sich über das Wohlergehen Sorgen machen, der schwerer belastende Aspekt ist emotionale Unterstützung zu leisten und den anderen zu beaufsichtigen.
Viele pflegende Angehörige sind Pflegekoordinatoren: Sie beraten sich mit dem Arzt, vermitteln zwischen den Einrichtungen und achten darauf, daß Helfer die Pflege aufeinander abstimmen. Dabei kämpfen viele mit zwiespältigen Gefühlen: Mitleid - Zorn, Angst - Hoffnung, Anteilnahme und helfen wollen - Abstand halten wollen.

Psychische und soziale Probleme (Belastungen)

Strauß u. a. (1984) unterscheiden acht psychische und soziale Probleme, mit denen pflegende Angehörige konfrontiert werden:

  • Vermeidung medizinischer Krisen und, falls sie trotzdem eintreten, Umgang mit ihnen.
  • Unter-Kontrolle-halten der Symptome und Beschwerden.
  • Ausführung oder Überwachung der vom Arzt auferlegten Regeln und medizinischen Vorschriften sowie Handhabung der daraus resultierenden Probleme.
  • Vermeidung sozialer Isolierung durch den verminderten Kontakt mit anderen.
  • Anpassung an die Veränderungen, die im Laufe des Krankheitsprozesses auftreten, an Verschlechterungen bzw. Remissionen.
  • Versuche, unter den gegebenen Umständen so normal wie möglich mit anderen umzugehen und die eigene Lebensart beizubehalten.
  • Versuche, alle Aufwendungen für Pflege und medizinische Behandlungen finanziell auf die Reihe zu bekommen und mit weniger Einkommen über die Runden zu kommen, da man nicht mehr oder nur noch eingeschränkt berufstätig sein kann.
  • Psychologischen Problemen sowie Problemen in der Beziehung und der Familie entgegnen.

Weshalb häufig (zu) spät Hilfe herbeigerufen wird:

- Überschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit
- Unterschätzung der Pflegebelastung
- Harmlosigkeit der eigenen Krankheit gegenüber der des kranken Nächsten
- Furcht, dem Pflegebedürftigen unrecht zu tun
- Wunsch, alles alleine zu organisieren
- Schamgefühl
- Unwissen über Unterstützungsmöglichkeit, Hilfe, ...
- Vermeidung einer stationären Aufnahme des Pflegebedürftigen
- Enttäuschtsein vom Hilfeangebot, ...

Pflege eines Nächsten ist einer der streßreichsten "Jobs", auch nach der Aufnahme keine Entlastung, da Bande da sind und es folgen heftige Schuldgefühle. Man kümmert sich weiter.

Die Belastungen pflegender Angehöriger am Beispiel der Alzheimer Erkrankung

Worte eines erfahrenen Psychogeriaters bei einem Hausbesuch:

"Die adrette Person mit den rosigen Wangen ist meist der Demente, die bleiche, geplagte Person ist der überlastete >gesunde< Partner".

Die emotionalen Veränderungen des Demenzkranken belasten seine Angehörigen deutlich mehr als seine kognitiven Defizite. Konkret bedeutet das: All dies, woran wir die Demenz diagnostisch erkennen und festmachen, steht in keiner Beziehung zur Belastung der Angehörigen.
Die Streß- und Belastungsfaktoren sind multidimensional und ihre Korrelationen äußerst komplex. Für den pflegenden Angehörigen bedeutet dies, daß bei dem Krankheitsprozeß sowohl körperliche und psychische als auch wirtschaftliche Bereiche involviert sind. Die Art und das Ausmaß der Belastung, die pflegende Angehörige erfahren, unterscheidet sich von Person zu Person.
In der ersten Pflegephase werden meist noch keine ausreichende Anpassungs- und Bewältigungsstrategien entwickelt werden, es treten häufiger Gefühle der Resignation und der Überforderung auf.
Physische Belastungen können sein: Körperliche Überlastung, Bedrohung der eigenen Gesundheit, mangelnde Nachtruhe und Unterstützung durch das Umfeld.
Psychische Belastungen können sein: Mangelnde Privatsphäre, Spannungen in der eigenen Familie und soziale Isolierung (ans Haus gebunden sein) sowie emotionale Reaktionen wie Ärger, Aggressionen, Hilflosigkeit, Mitgefühl, Verlegenheit, Scham, usw.

Bereiche, in denen sich belastende Situationen ergeben:

Grundlegende Veränderung bzw. Zerstörung der komplexen Beziehungen zwischen den Familienangehörigen, der dadurch ausgelöste Streß ist der Hauptgrund für die genannten Beschwerden.

  • Das Gleichgewicht einer meist jahrzehntelang eingespielten Partnerschaft wird verändert. Der demente Patient kann "Familienregeln" nicht mehr einhalten, die bis dahin regulierende Funktion hatten. Dadurch kommt es zur Übernahme neuer Rollen und Funktionen der "gesunden" Angehörigen, während der Kranke an Einfluß und Eigenständigkeit verliert. Häufig werden dadurch Konflikte aktiviert, die bis dahin geschlummert hatten.
  • Familienkonflikte und Rivalität der Geschwister: Teilung der Verantwortung wie auch Spannungen in Partnerschaft & zu eigenen Kindern
  • "Warum stirbt er nicht ?" - Normale Reaktion führt zu Schuldgefühlen. Der oder die Kranke lebt oft im Aussehen unverändert und erinnert dadurch an die bisher gewohnte Vertrautheit. Das Verhalten und damit die Persönlichkeit jedoch ändert sich drastisch und oft erschreckend. Das kann zu Aggressionen und Angst bei allen Beteiligten führen.
    Eine Ehefrau: "Man ist verheiratet und man ist es nicht".
    Es kann bei den versorgenden Angehörigen zu Phantasien kommen, der / die Kranke möge doch bald sterben. Solche Vorstellungen sind ein Versuch, den psychologisch erlebten Verlust auch real betrauern zu können. Phantasien solcher Art sind normal, machen aber große Schuldgefühle.
  • Doppelte Belastungen zwischen Beruf und Pflege
  • Da das Berufsleben meist bereits aufgegeben ist und das soziale Netzwerk (z. B. durch den Tod von Freunden oder die Loslösung der Kinder von der Kernfamilie) reduziert ist, gelingt die Definition der eigenen Identität unabhängig von der ehelichen Beziehung weniger gut.
    Äußerung eines pfl. Ehemannes: "Meine Frau ist doch das einzige, was ich noch habe".
    Reduzierung der Sozialkontakte, Zurückschrauben des beruflichen Engagements
  • Unfreiheit in der Lebensgestaltung, eine pfl. Tochter: "Frei fühle ich mich nie."
  • Eigene Zukunftspläne müssen revidiert werden. Pflegende Angehörige von Demenzkranken sind ständig mit dem Sterben des Geistes und mit der Sinnfrage des Leidens konfrontiert.
  • Lebensperspektiven gehen verloren, und damit die Zukunftsorientiertheit.
  • Enttäuschung und Verletztheit treten ein, wenn die erhoffte Dankbarkeit für die Aufopferung in der Pflege ausbleibt, was bei dementen Patienten häufig vorkommt. Die Sorge wird dann nur noch gezwungen als moralische Verpflichtung durchgeführt, es entsteht Streß und häufig entwickeln sich rigide und destruktive Pflegesysteme.

Wenn die pflegenden Angehörigen sich innerlich nicht von den nunmehr dementen Eltern als autonome Erwachsene lösen konnten, besteht starke Identifikation. Die Persönlichkeitsveränderung von Vater oder Mutter bedeutet dann eine Bedrohung der seelischen Integrität. Die Machtverhältnisse kehren sich um. Waren die Eltern früher oft Autoritätspersonen, so werden sie nun hilflos und abhängig. Durch die Pflege werden Intimitäts- und Schamgrenzen bedroht, es kommt zu häufigen Tabubrüchen - ein Streßfaktor ersten Ranges. Die Gefahr von Aggression gegen die Eltern liegt in der Luft.
Seelisch besonders belastet sind Angehörige, die von den Gepflegten in einer Weise emotional abhängig sind, daß die eigene Autonomie verkümmert bleibt. Merkmale für diese "abhängige" Beziehungen sind:
- Keine Zugestehung eigener Freiräume
- Ständiges Zurückstellen eigener Bedürfnisse
- Unfähigkeit zur Annahme von Hilfe
- Unersetzbarkeit der eigenen Person (Einschätzung)
- Verknüpfen des eigenen Wohlbefindens mit dem des Kranken
- Leugnen objektiv vorhandener Krankheitszeichen
- Nichterkennen anderer Perspektiven
Bei solchen Angehörigen finden sich soziale Isolierung, Ängstlickeit, Depression, Erkrankungen und Erschöpfungszustände signifikant häufiger. Sie haben auch das Gefühl, überfordert und ausgenützt zu werden.

4. SCHLUSSFOLGERUNGEN für pflegende Angehörige

Die dementielle Erkrankung eines Familienmitgliedes stellt immer eine Krise des Partner- oder Familiensystems dar. Die psychische und physische Belastung der Angehörigen erfordert daher im Rahmen der Versorgung von Demenzkranken:

  • enge und kontinuierliche Betreuung und Beratung, die Beratung ist seit dem 01.04.1995 durch die Pflegeversicherung in Deutschland auf eine Finanzierungsgrundlage gestellt (Unterstützungsangebote im Rahmen von Kursen gem. § 45 der Pflegeversicherung)
  • offene und umfassende Aufklärung über den Krankheitsprozeß

Information über Entlastungsangebote (z.B. ambulante Dienste, Tagesstätten, Selbsthilfegruppen, Pflegeheime)

  • Vermittlung von allgemeinen Verhaltensstrategien für den täglichen Umgang mit Demenz
  • Aufklärung über die Veränderung der Familienkonstellation und die daraus folgenden Beziehungsprobleme
  • Psychotherapeutische Betreuung:
    - Verarbeitung der belastenden Situation (Trauer, Beziehungsschwierigkeiten)
    - psychische Verarbeitung belastender Situationen ( Scham bei Pflege usw.)

Pflegende Angehörige stellen eine Risikogruppe für physische und psychische Beeinträchtigungen dar. Deshalb muß bei den Angehörigenberatungen konkrete gesundheitsfördernde Interventionen angeboten werden. Bewährt haben sich Selbsthilfegruppen vor allem zur Aufrechterhaltung der familiären Pflege ohne Überforderung der Familie.

5. FORSCHUNG / BETREUUNG / BERATUNG

Forschung

  • Paul-Flechsig - Institut / Alzheimer Zentrum
    Neuroanotomie, Herr Prof. Dr. Arendt
  • Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig

Betreuung

  • Emilienstr. 14
    Sozialarbeiterin Frau Strauch
  • Alte Salzstr. 185
    Frau Pörschmann

Beratung

  • Alzheimer-Beratung Leipzig
    Liebig-Str. 21, 04103 Leipzig

6. LITERATUR

"Der 36 Stundentag", Nancy L. Mace und Peter V. Rabins, (1991) Verlag Hans Huber, Bern, Göttingen, Toronto, 3.Auflage

"Die Beratung von pflegenden Angehörigen", Huub Buijssen, (1996) Psychologie Verlagsunion

"Alzheimer-Demenz in der Primärversorgung", Serge Gauthier, Alistair Burns, William Pettit, (1997) Martin Dunitz Ltd

"Alzheimer-Patienten erkennen und behandeln", Alexander Kurz, (1995) Hoechst Aktiengesellschaft

"Alzheimer-Krankheit - Sie sind nicht allein", Deutsche Alzheimer Gesellschaft Berlin (Broschüre)

"Frei fühle ich mich nie - Frauen pflegen ihren an Demenz erkrankten Ehemann, Vater oder Mutter", C. Adler, G. Wilz, T. Gundelmann; Gesundheitswesen 58 (1996) Sonderheft 2 125-131, Georg-Thieme-Verlag Stuttgart - New York

"Probleme, Belastungen und Beschwerden durch die Pflege dementer Angehöriger", G. Wilz, T. Gunzelmann, C.Adler, E.Brähler; Münch.med.Wschr.139 (1997) Nr.21

"Pflege Dementer - Sargnagel für Angehörige ?", T. Gunzelmann, E. Gräßel, C. Adler, G. Wilz; System Familie (1996) 9:22-27, Springer-Verlag

7. INTERNET

http://alzheimerforum.de/
http://www.alzheimer-online.de/
http://deutsche-alzheimer.de/

Anlage: Studie Demenz im "System Familie"

  • Abteilung für Medizinische Psychologie, Leipzig: Dr. Corinne Adler, Dipl.-Psych. Gabriele Wilz, Dr. T. Gunzelmann, Prof. Dr. E. Brähler
  • Leipzig n=70
  • Ehefrauen, -männer und andere Angehörige (Schwieger-, Töchter, Söhne, usw.)
  • ca. 40 % Ehefrauen
  • Alter (Betroffene 67 J., Angehörige 53 J. im Durchschnitt)
  • Unterschied Ost / West:Studie in Leipzig (n=70) und Nürnberg (n=825):
  • doppelter Anteil pfl. Ehemänner / deutlich niedriger Anteil pfl. (Schwieger-)Töchter in Leipzig (Rollenverständnis, Pflege zu übernehmen)
  • 15 % Schwiegersöhne -> Pflege dann Schwieger-/Töchter in Nürnberg

Ergebnisse:

  • Vergleich nicht möglich, nur zwischen Ehefrauen und -männern:
  • Merkmale: Dauer der Pflege / Zeitlicher Aufwand / Pflegebedürftigkeit / dementielle Symptomatik
  • Ehemänner stärker dementiell beeinträchtigte und pflegebedürftige Partnerinnen als Ehefrauen (im Vergleich)
  • Dauer und Ausmaß = gleich
  • 1/2 Ehefrauen / 3/4 Ehemänner nahmen instrumentelle Hilfe
  • 2/3 Ehefrauen / 1/2 Ehemänner emotionale Unterstützung
  • andere weibliche Hauptpflegepersonen hatten meistens emotionale Unterstützung (durch Ehemann), über Hälfte instrumentelle Hilfe

Aspekte der subjektiven Belastung der Pflegeperson: Psychische Belastungen, gesundheitliche Beschwerden durch die Pflege

  • Hauptkrankheitsfaktor: seelische Belastung

1. Alltagsbelastungen

  • Die beeinträchtigsten Probleme in der täglichen Versorgung stellen Inkontinenz, Aggressivität, Verständigungsprobleme mit dem Kranken, Verhaltensauffälligkeiten im Rahmen der zeitlichen, persönlichen und örtlichen Desorientiertheit sowie Mißtrauen der Kranken dar.
  • - Einschränkungen der für persönliche Bedürfnisse zur Verfügung stehenden Zeit (85,1 %)
  • - gestörter Tagesablauf (78, 8 %)
  • - Beeinträchtigungen des Familienlebens (74,5 %)
  • - subjektive gesundheitliche Einschränkungen (72,3 %)
  • - Einschränkungen hinsichtlich der Sozialkontakte inner- und außerhalb der Familie
  • - psychische und körperliche Probleme (höher bei Ehefrauen als bei a. Angehörigen)
  • - Verhältnis zur erkrankten Person im mittleren Ausmaß konflikthaft (alle Angehörige)
  • - finanzielle Probleme (am geringsten, nur bei Ehemännern mittleres Ausmaß)

= emotionale Belastungen im subjektiven Erleben schwerer als die ökonomischen Folgen

2. Depressionen

  • - Fast die Hälfte aller pflegender Ehepartner ist schwer depressiv
  • - Das depressive Bild ist geprägt v. a. durch folgende Symptome: Traurigkeit, Pessimismus, Unzufriedenheit mit eigener Person, Reizbarkeit, Entschlußunfähigkeit sowie Schlafstörungen (und z.T. auf klinisch relevantem Niveau)
  • Depressionswerte bei EhepartnerInnen deutlich erhöht: Ehefrauen Mittelwert von 19 Punkten (Bereich schwerer Depression), 80 % haben Depressionen, 45 % schwere Depressionen / Ehemänner Mittelwert von 14 Punkten (leichte Depressionen)

3. Körperbeschwerden

  • - 4 Beschwerdebereiche: Erschöpfung, Magenbeschwerden, Gliederschmerzen und Herzbeschwerden
  • kommen um so häufig vor, je stärker die subjektive Belastung empfunden wird
  • 70 bis 90 % aller Pflegepersonen leiden unter massiven körperlichen Symptomen oder Krankheiten
  • nach Gießener Beschwerdebogen vor allem Erschöpfung und Gliederschmerzen

4. Belastungen hinsichtlich der subjektiven Gesundheit

  • erleben allgemeinen Gesundheitszustand doch als beeinträchtigt, mehr als die Hälfte der Angehörigen finden den eigenen Gesundheitszustand seit Beginn der Pflege verschlechtert

5. Medikamentenkonsum

  • All diese Belastungen schlagen sich unter anderem im Konsum von Psychopharmaka nieder -> 40 % nehmen mehr dieser Psychopillen ein als vor Beginn der Pflegetätigkeit
  • erhöhter Konsum, mehr als die Hälfte nehmen mehr Medikamente ein , vor allem Schlaf-, Schmerz- und Beruhigungsmittel (28 % mehr Schlafmittel, 40 % mehr Beruhigungsmittel, 30 % mehr Schmerzmittel)
  • 64 % der Ehefrauen und 44 % der Ehemänner nahmen mehr Beruhigungsmittel
  • 37 % der Ehefrauen und 69 % der Ehemänner konnten sich nicht mehr entspannen
  • bei 28 % der Ehefrauen und 53 % der Ehemänner war die belastende Situation innerlich präsent, es gelang keine innerliche Loslösung

6. Lebenszufriedenheit und Zukunftsperspektiven

  • 90 bis 96 % aller pfl. Angehöriger erleben massive Einschränkungen der für sie persönlich verfügbare Zeit und Freiräume, daher können keine eigenen Bedürfnisse mehr formuliert werden
  • 48, 5 % der Ehepartner und nur 24, 1 % der anderen Angehörigen (da Lebensbereiche mit Zukunftsvorstellungen wie eigene Familie, Beruf) haben keine Pläne und Wünsche

Zusammenfassung (Betrachtung aller Ergebnisse):

  • Geschlecht hat nur untergeordneten Einfluß
  • Pflegesituation wird im gleichen Ausmaß als Belastung erlebt
  • Unterschiede in der Art und Weise der Belastungsverarbeitung (Ehemänner weniger Abstand)
  • Ehefrauen -> Demenzsymptome / Einschränkung persönlicher Freiräume belastend
  • Ehemänner -> v.a. die Sorge um Frau / nutzen häufiger instrumentelle Unterstützung

 

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