Je nach Art der Nachbereitung ist Dienstschluß zwischen 15:00 und 16:00 Uhr.
2. Personal
2.1 Zusammensetzung des Personals
"Die Vereinsarbeit wird fast ausschließlich durch qualifizierte hauptamtliche MitarbeiterInnen
geleistet, die sich aus folgenden Berufen zusammensetzen:
- SozialarbeiterInnen
- Krankenschwestern und Krankenpfleger
- AltenpflegerInnen
- Fachkräfte für Psychogriatrie
- Haus- und FamilienpfegerInnen
- Verwaltungsfachkräfte und -Helferinnen".
Die hoch qualifizierte Ausbildung der Mitarbeiter ist auch typisch für die Tagesstätte.
2.2 Betriebsorganisation
Geschäftsführer des Förderervereins Heerstraße Nord e.V. ist Herr Ottschofski, der
für alle in Kap. 1.1 genannten Aktivitäten des Vereins verantwortlich führt. Für die
Psyschogeriatrische Betreuung - insbesondere für das Personal der Psyschogeriatrischen Tagesstätte - ist
Frau Bottner zuständig. Sie ist die disziplinarische Vorgesetzte :
- der beiden Gruppenleiter (Hr. Goepel, Fr. Tietze),
- der beiden Berufspraktikanten (angehende Altenpfleger),
- dem Berufspraktikanten (angehender Gerontotherapeut)
- des Fahrdienstes (4 Zivildienstleistende und eine fest angestellte Mitarbeiterin),
- der Köchin.
Jeder Gruppenleiter leitet selbständig eine Gruppe von Besuchern. Er wird von einem Berufspraktikanten des
anderen Geschlechts unterstützt, der ihm fest zugeordnet ist. Die Gruppenleiter vertreten sich bei kurzfristigem
bzw. unvorhergesehenem Arbeitsausfall gegenseitig, so daß er u.U. die zusammengelegten Gruppen gemeinsam mit
den Berufspraktikanten betreut. Bei längerfristigen vorhersehbaren Abwesenheiten eines Gruppenleiters wird
dessen Funktion auch an einen Berufspraktikanten delegiert.
Der angehende Gerontotherapeut arbeitet nur freitags in der Tagesstätte und zwar für die Gruppe
schwerstdementer Besucher.
2.3 Umgang der verschieden Betriebsgruppen miteinander
Der Umgang miteinander hat zweierlei Aspekte:
- Umgangsformen miteinander und
- Beziehung zueinander.
Die flache hierarchische Struktur der Betriebsorganisation und die klare vertikale Arbeitsteilung räumen jedem
Mitarbeiter ein mehr oder minder weites Feld ein, in dem er sich ganz nach seinen Fähigkeiten und Vorstellungen
einbringen kann. Das führt zu einer gleichberechtigten Form des Umgang miteinander, in der offen alle
Gesichtspunkte der Arbeit (Arbeitsteilung, Vorschläge zur Arbeitsgestaltung, Terminabsprachen bzw. Pausen etc.)
miteinander besprochen werden. Das gilt innerhalb der Betriebsgruppen wie auch zwischen ihnen. Im Ergebnis herrscht
ein kameradschaftliches Betriebsklima, das keinerlei Intrigen zuläßt.
Beziehung der Betriebsgruppen zueinander ist durch die vertikale Arbeitsteilung (unterschiedliche Aufgaben der
Betriebsguppen) aber auch durch nahezu horizontale Arbeitsteilung (ähnliche Aufgaben der Betriebsguppen)
bestimmt.
Letzteres gilt für die beiden Betreuerpaare (Gruppenleiter und des ihm zugeordneten Berufspraktikanten)
zueinander. Sie arbeiten weitgehend unabhängig voneinander, so daß sich jede Gruppe nach ihrem
Vermögen optimal entfaltet. Regelmäßig werden einmal pro Woche beide Gruppen zusammengelegt und
gemeinsam betreut. Dies gilt außerdem für die Musiktherapie und gelegentlich auch für gemeinsame
Ausflüge und Spaziergänge.
Der Umgang der beiden Betreuerpaare mit dem Dienstpersonal (Fahrdienst und Köchin) ist durch den festen
Tagesablauf klar geregelt. Er läßt jederzeit Absprachen über besondere Aktivitäten zu, wie
Ausflüge mit den Bussen oder Dampferfahrten (Zusatzeinsätze des Fahrdienstes, Freizeitausgleich für
die Köchin für angefallene Überstunden).
Dies gilt auch für den Umgang der Gruppenleiter mit den HauspflererInnen. Die HauspflererInnen sorgen für
das leibliche Wohl einige der Besucher, bevor diese in die Tagesstätte kommen. Auch hier sind rechtzeitige
Absprachen problemlos möglich um besondere Aktivitäten zu unternehmen.
2.4 Rolle der Altenpflege im Haus
"Der Fördererverein hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen im Alter mit körperlichen
Behinderungen oder im Krankheitszustand Hilfestellung zu geben". Er trägt damit entscheidend zur
aktivierenden Altenpflege in der Stadtrandsiedlung bei. Insbesondere erhebt er ganzheitlichen Anspruch der humanen
Altenpflege, indem er hilft Isolation durch Gruppenbildung zu vermeiden und Kreativität, Mobilität und
persönliche Wertschätzung durch fachliche Betreuung zu (re-)aktivieren .
2.5 Personalprobleme
Da sowohl der Personalschlüssel als auch die Kooperation des Personals untereinander stimmen,
habe ich keine Probleme im Personalbereich beobachten können.
3. Beschreibung meiner Tätigkeiten als Berufspraktikant
3.1 Meine Aufgabenbereiche
Meine Tätigkeiten richteten sich direkt und indirekt auf die Besucher der Tagesstätte.
In direkter Weise habe ich die Besucher betreut, in dem ich folgendes getan habe:
1. gemeinsam mit ihnen gesungen,
2. gemeinsam mit ihnen getöpfert und gebastelt,
3. sie an ein Gesprächsthema herangeführt,
4. gemeinsames Konzentrations- und Gedächtnisübungen durchgeführt,
5. Konzentrations- und Gedächtnisübungen mit Einzelnen durchgeführt,
6. Märchen oder Zeitungsartikel vorgelesen,
7. Speisen mit ihnen gemeinsam vor- und zubereitet,
8. Wahrnehmungsreize geschaffen,
9. gemeinsam mit ihnen den Raum gestaltet,
10. Aktivitäten des Alltags durchgeführt,
11. Veranstaltungen gemeinsam geplant, vorbereitet und durchgeführt,
12. Besucher einzeln außerhalb der Tagesstätte betreut.
In indirekter Weise habe ich die Besucher betreut, in dem ich folgendes getan habe:
13. Angehörige betreut,
14. soziale Kontakte hergestellt,
15. zu Behörden Kontakte aufgenommen,
16. an Anamnesen teilgenommen,
17. mit der Abteilung Hauspflege und Seniorenwohnhaus zusammengearbeitet,
18. Besucherdokumentation geführt.
3.1.1 Gemeinsames Singen mit den Besuchern
Der Vorschlag, gemeinsam zu singen wird immer wieder gerne angenommen. Oftmals singen wir auch
spontan. Einige Besucher singen viele Lieder auswendig und staunen jedesmal aufs neue über ihr noch vorhandenes
Wissen. Für die anderen haben wir ein Liederbuch kopiert. Damit alle - auch die sehbehinderten Besucher - die
Texte lesen können, haben wir die Seiten stark vergrößert.
Einige getragene Lieder aus unserem Liederbuch singen wir kaum noch, da ich beobachtet habe, daß diese
Lieder die Besucher melancholisch machen. Darum singen wir bevorzugt Volkslieder, manchmal auch Kinderlider. Am
beliebtesten sind Wanderlieder, aber auch Gassenhauer - je nach Situation. Schmissige Lieder wirken befreiend und
wecken bei den Besuchern schöne Erinnerungen, so daß ihre Augen leuchten und sich ihre Wangen röten.
Wie oft höre ich den Satz: "Ach, was haben wir das als Kinder viel gesungen!"
3.1.2 Gemeinsames Töpfern und Basteln
Mit den Besuchern habe ich verschiedene Sachen gebastelt, zum Beispiel eine Blütenkollage aus selbst
gemalten Blüten oder einen Biedermeierstrauß aus Serviettenpapier. Im folgenden will ich schildern, wie wir
gemeinsam Kerzenständer für den Frühstückstisch aus Tonersatzstoff getöpfert haben.
Da ich selber gerne töpfere, wollte ich gerne auch die Besucher der Tagesstätte mit dem Material Ton
vertraut machen. Ton ist sehr weich, läßt sich leicht formen und gibt auch dem leichtesten Druck nach. Er ist
deshalb das ideale Arbeitsmaterial für Menschen, die nicht mehr allzuviel Kraft in ihren Händen haben. Da wir
in der Tagesstätte jedoch keine Möglichkeit zum Brennen des Tons haben, bin ich auf einen Tonersatzstoff
mit gleichen Verarbeitungseigenschaften ausgewichen.
Ich habe die Besucher langsam an das Material herangeführt, indem ich jedem ein Bällchen des noch
kalten Materials in die Hände gab. Die meisten empfanden das zunächst eher als unangenehm und fremd. Bald
jedoch wurde der Ton in ihren Händen, warm, weich und vertrauter. Damit wuchs auch die Bereitschaft mit dem
Material etwas zu formen.
Ich formte ein kleines Schälchen vor, und erklärte mit einfachen Worten Zweck des Gegenstandes und
Nutzen der Arbeit, was für die Motivation wichtig ist: Es solle ein Kerzenständer werden, der dazu beitragen
solle, die Atmosphäre am Frühstückstisch noch schöner zu machen.
Dann bin ich reihum zu jedem hingegangen und habe ihm mehr oder weniger bei der Arbeit geholfen. Einigen habe ich
mit Worten Anleitung gegeben, anderen die Finger geführt. Diese Aufnahme des Körperkontaktes habe ich
durch Streicheln des Rückens verstärkt und durch gutes Zureden mit ruhiger gedämpfter Stimme zum
Fortsetzen der Arbeit ermutigt.
Eine richtige Beurteilung der motorischen und kognitiven Fähigkeiten bzw. Behinderungen (schlechte Augen) ist
wichtig, um die notwendige Hilfestellung für den Einzelnen einzuschätzen zu können. Beispielsweise
kann Fr. W. keiner Linie mit der Schere folgen, sie formte aber ein schönes dünnwandiges Schälchen
für ein Teelicht. Dieser Erfolg hat sie voll Stolz erfüllt.
Fr. H. verlangte, nachdem sie ihr erstes Stück fertig hatte, ein zweites Stück Ton und formte daraus einen
hohen Kerzenständer nach, den ich mitgebracht hatte und nun vor ihr stand. Das war schon deutlich schwieriger,
aber Fr. H. schaffte es bis auf den Griff - den ich hinzufügte - alleine.
Zwei Tage später ließ ich die getrockneten Gegenstände nach eigenen Farbvorstellungen mit
Plakafarben anmalen und anschließend lackieren.
Seitdem stelle ich jedem Besuche den selbst gemachten Kerzenständer vor den Frühstücksteller. Hin
und wieder erinnere ich einzelne Besucher daran, daß dieses Stück ihr eigenes Werk ist. Dann kommt oftmals
die erstaunte Frage: "Das habe ich gemacht?!" Dies bestätigt mir, daß es sehr wichtig ist, die
gefertigten Dinge im täglichen Einsatz zu belassen, denn das hebt deutlich das Selbstwertgefühl.
3.1.3 Besucher an ein Gesprächsthema heranführen
"Alte Menschen wissen viel über die Vergangenheit zu erzählen, gerade weil die Gegenwart
für sie oft nicht mehr nachvollziehbar ist." Da die meisten Besucher der Tagesstätte alleine leben, fehlt
ihnen die Gelegenheit, ihre Erinnerungen auszusprechen und damit auch aufzufrischen.
Gelegentlich ergibt sich bei der Einzelbetreuung, aber auch in der Gruppe, die Gelegenheit, über einzelne
Schicksale - oftmals aus Kriegszeiten - zu reden. Diese Themen werden jedoch ungern angesprochen und belasten.
Dennoch sind auch solche Gespräche nützlich, denn sie zeigen den Betroffenen, daß ihre Einzelschicksale
zu denen der anderen Besucher Parallelen aufweisen.
Gerne wird dagegen über die Kinder und Jugendzeit gesprochen. Um diese angenehmen und für die
Besucher wertvollen Erinnerungen zu nutzen, um ihr Befinden heute und jetzt positiv zu beeinflussen, habe ich die
Gesprächsrunde zu einem festen Bestandteil der Tagesbetreuung werden lassen.
Ich leite die Gesprächsrunde meist damit ein, daß ich meine Gesprächsteilnehmer zu einer "Reise
in die Vergangenheit" einlade, an der alle - egal ob geistig rüstig oder verwirrt - teilnehmen können.
Beliebte Ziele der Reisen waren "Lebensgewohnheiten und Alltag früher", z.B.:
- Wohnen und Haushalten,
- Lebensmittel und Broterwerb,
- Kochen und Backen,
- Nähen und Stricken / Bekleidung
In der Tat führt die se Reise stets zurück bis in die meist als glückliche Zeit erinnerte Kindheit und
Jugendzeit. Einige Besucher kommen darüber so ins schwärmen, daß ihr Redefluß kaum zu bremsen
ist.
Wegen der Konzentrationsschwäche der andren lasse ich die Teilnehmer nach ca. 30 - 40 Min. langsam die
Rückreise antreten, indem ich verspreche, daß wir später wieder miteinander "verreisen".
Wieder in der Gegenwart angekommen, kam von einer Besucherin, der begeisterte Kommentar: "Das war
schön - ich war wieder in Ostpreußen!"
Einmal habe ich eine solche Gesprächsrunde an einem Dienstag durchgeführt. An diesem Wochentag sind
beide Gruppen der Tagesbetreuung zusammengelegt. Die große Gruppe zerfiel jedoch schnell in Untergruppen war
die schwer zu führen waren. Bei Gruppen von fünf bis sechs Personen hatte ich diese Schwierigkeiten nicht.
3.1.4 Gemeinsames Konzentrations- und Gedächtnistraining
Zu unserem regelmäßigen Wochenprogramm gehört das gemeinsame Konzentrations- und
Gedächtnistraining. Alle Übungen erfordern viel Ruhe und Zeit. Zum Standardprogramm gehörten bereits:
- Sprichwörter vervollständigen
Hierbei ist oftmals direkte Ansprache der Besucher erforderlich.
Sogar ein Alzheimer-Erkrankter leistet oftmals mehr als die anderen!
- Fragen aus dem Bereich der Märchen
Hierbei kommen die Antworten unterschiedlich schnell. Ich bitte deshalb oft um Verständnis für die
Langsameren und leiste Hilfestellung.
Angeregt durch das Buch "Etwas tun!" habe ich folgende praktischen Übungen eingeführt:
- Gegenstände ordnen (Kosmetik-, Schreib-, Nähutensilien) und benennen
Oftmals konnten die mitgebrachten Sachen nicht benannt werden, aber die Besucher behalfen sich in diesem Fall damit,
daß sie die Funktion z.B. durch typische Handbewegungen andeuteten.
- Ertasten von Gegenständen im Stoffbeutel und benennen
Auch hier werden die Dinge meist nur umschrieben. Besucher, die bei dieser Übung Schwierigkeiten haben ermutige
ich dann durch Zuspruch und Streicheln des Rückens.
Merke ich, daß die richtige Lösung zwar gefunden wurde, jedoch nicht oder nur unvollständig
ausgesprochen werden kann, helfe ich.
- Nahrungsmittel mit allen Sinnen (kosten, riechen, fühlen) erraten lassen
Diese Übung war von den dreien die leichteste.
- Rosenblätter, Kräuter aus dem Garten (Lavendel, Melasse, Pfefferminze, Liebstöckel, Petersilie)
fühlen und riechen lassen
Die vertrauten Gerüche, wecken auch Erinnerungen.
3.1.5 Konzentrations- und Gedächtnistraining mit einzelnen Besuchern
Einige Besucher gehen jedoch in der Gruppe häufig unter und erfordern intensiveres Eingehen.
Rückenstreicheln und ruhiges ermutigendes Zureden, helfen beim Lösen folgender Übungen:
- Lottino (Karten in die Nähe legen),
erleichtern durch Legen der Kärtchen in die Nähe der Lösung
- eigenen Namen aus den Plastikbuchstaben zusammensetzen,
erleichtern durch Verwendung ausschließlich der erforderlichen Buchstaben
- dito Geburtsdatum aus Zahlen
erleichtern durch Verwendung ausschließlich der erforderlichen Zahlen
Fr. W. die anfangs große Schwierigkeiten bei diesen Übungen hatte, ist inzwischen etwas sicherer
geworden und freut sich jedesmal riesig über ihren Erfolg, der ihr Selbstwertgefühl hebt: "Na, ich kann
ja doch noch was!"
Eine Gruppenübung, nämlich das morgendliche Verteilen der Namenskarten habe ich inzwischen zu einer
Einzelübung mit Gruppenbeteiligung umgestaltet. Und das kam so:
Bislang verteilte ich die Namenskarten, indem ich in die Runde oder einzelne Besucher direkt fragte:
"Können Sie mir sagen, wo Fr. X sitzt?" oder: "Wer in der Gruppe ist Fr. Y.?" Vor Beginn einer
solchen Übung wurde ich einmal in die Küche gerufen und ließ die Namenskarten auf dem Tisch liegen.
Als ich ein paar Minuten später zurückkam, war Fr. H. damit beschäftigt, die Namenskarten zu verteilen.
Von dieser Situation war ich angenehm überrascht und ließ Fr. H. weiter gewähren. Das ging zwar etwas
schleppend, aber ich habe mich über die Eigeninitiative von Fr. H. außerordentlich gefreut. Aber auch Fr. H.
strahlte über ihr ganzes Gesicht!
Ich faßte den Entschluß die Namenskarten künftig immer von den Besuchern, die sich freiwillig dazu
bereit erklären, selbst verteilen zu lassen. An den folgenden Tagen fragte ich jedoch zunächst noch weiterhin
Fr. H., ob sie wieder die Karten verteilen wolle. "Das mach ich doch gerne!" war ihre klare Antwort. Erst nach
ein paar Tagen, faßten auch die anderen Mut und seither werden die Namenskarten reihum von den Besuchern
selbst verteilt. Eine große Hilfe dabei ist die feste Sitzordnung bei Tisch. Das Verteilen macht allen viel Spat und es
wird viel gelacht. Das verbindet und die Besucher kommen sich einander näher.
3.1.6 Vorlesen
Zur festen Einrichtung der Tagesstätte gehört das montägliche Vorlesen aus dem Lokalteil
der Zeitung. Lokalnachrichten sind besonders für Sehbehinderte wichtig. Wir wecken Interesse indem wir
nachfragen. Manchmal sind auch besondere Erklärungen erforderlich. Nachrichten über Reduzierung von
Grünflächen und Krankenhausbetten rufen Empörung hervor und regen zum Gespräch miteinander
an.
An anderen Tagen (mindestens einmal wöchentlich) lese ich aus meinem alten Märchenbuch der
Gebrüder Grimm vor, das ich mit in die Tagesstätte gebracht habe. Diese vertrauten Märchen
führen die Besucher in die eigene Kindheit zurück. Alle lauschen dann aufmerksam sitzen ganz ruhig. Selbst in
der großen (zusammengelegten) Gruppe ist es so still, daß man eine Stecknadel fallen hören kann.
Ich sicherere die Aufmerksamkeit der Zuhörer durch stark modulierte Betonung und baue Spannung auf indem
ich manchmal mitten im Satz innehalte und frage, was jetzt passiert. Gelegentlich kommt sogar die richtige Antwort.
3.1.7 Wahrnehmungsreize schaffen
In der Zeit meines Schulpraktikums habe ich erlebt, wie dankbar ein hübsch dekorierter Tisch von den
Besuchern aufgenommen wird. Deshalb habe ich gleich zu Beginn meiner Tätigkeit als Berufspraktikant versucht,
dem Raum durch eine hübsche Tischdekoration eine wohnlichere Atmosphäre zu geben. Hierzu verwende ich
pastellfarbene Servietten, farbige Kerzen, frische Blumen, helle einfarbige Tischdecken aus Stoff.
Gelegentlich wechsele ich die kleinen von mir mitgebrachten Dekorationsstücke (z.B. Holzenten). Das
läßt die Besucher den Tisch aufmerksamer betrachten. Fr. K. u. A. freuen sich dann und rufen aus: "Ah,
wir haben wieder etwas Neues entdeckt!" Fr. K. begrüßt jeden Morgen das Entenpaar (das inzwischen
gejungt hat) mit den Worten: "Guten Morgen ihr Kleinen, nun sind wir wieder zusammen!"
3.1.8 Mit den Besuchern den Raum gestalten
Die Bilder, die die Besucher in der regelmäßig donnerstags stattfindnenden Maltherapie schaffen,
kleben wir gemeinsam an die Wände. Hierbei bitte ich einzelne Besucher um Hilfe (z.B. beim Anreichen der Bilder,
oder Kleben des Tesafilms).
Dabei weise ich immer wieder den Maler des Bildes darauf hin: "Das haben Sie gemacht!" - "Stimmt
nicht" - "Da steht aber Ihr Name!" Das überzeugt und wird angenommen. Aus der
anfänglichen Ungläubigkeit wird Erstaunen und dann Stolz auf das eigene "Kunstwerk".
Es bestehen z.Zt. keine anderen Möglichkeiten der Raumgestaltung
3.1.9 Aktivitäten des Alltags
Viele Besucher der Tagesstätte alleine. Aufgrund ihrer Krankheit, Behinderung bzw. Demenz werden
sie durch Angehörige oder der Hauspflege versorgt. Damit besteht für viele Aktivitäten des Alltags kaum
die Notwendigkeit sie auszuüben.
So bereitet sich beispielsweise keiner der Besucher zu Hause ein warmes Essen zu, und kauft folglich auch keine
Lebensmittel ein. Die meist am Wochenende vom "fahrbaren Mittagsstisch" vorbeigebrachten Speisen, werden
ohne Gesellschaft am ungedeckten Tisch gegessen. Infolgedessen entfallen auch alle Damit verbundenen
Tätigkeiten, wie Abwaschen, Wegräumen Tisch abwischen etc.
Um diese mehr oder weniger noch vorhandenen Fähigkeiten zu diesen Aktivitäten zu erhalten, werden sie
in der Tagesstätte gemeinsam praktiziert. Außerdem schafft das Gemeinsamkeit, die zu Hause fehlt und
fördert die soziale Integration des Einzelnen in die Gruppe.
Deshalb achte ich täglich darauf, daß ich
- früh ankommende Besucher bitte, beim Decken des Frühstückstisches zu helfen,
- die Besucher bitte, sich gegenseitige Hilfe zu leisten,
z.B. beim Frühstücken dem Nachbarn das Brot durchzuschneiden oder den Kaffee einzugießen,
bzw. beim Mittagessen untereinander Geschirr und Schüsseln zuzureichen oder Saft einzugießen
- bei notwendigen Hilfeleistungen, z.B. beim Broteschmieren, nur den ersten Schritt tue, den Besucher die folgenden
Schritte sage und sie ihm dann alleine ausführen lasse,
- jeweils zwei Besucher nach dem Frühstück um Mithilfe beim Abräumen bitte,
- jeweils zwei Besucher bitte alleine abzuwaschen und abzutrocknen,
- die Besucher vor dem Mittagessen um Mithilfe beim Decken des Tisches, Falten und Verteilen der Servietten bitte.
Meinen Bitten kommen die Besucher sehr gerne nach, ja sie tun oftmals sogar mehr als das. Beispielsweise putzen die
meisten nach dem Abwaschen auch noch von sich aus die Spüle blank.
Zur Ergänzung dieser regelmäßigen Aktivitäten überlege ich mir, wie wir gemeinsam
verschiedenste Aktivitäten im Zusammenhang praktizieren Können. So habe ich z.B. an einem Dienstag
vorgeschlagen, daß wir uns am nächsten Montag das Essen für beide Gruppen selber zubereiten wollen.
Diesen Vorschlag habe ich am Donnerstag und Freitag wiederholt. Als ehemalige Köchin war Fr. H. sofort von dem
Vorschlag begeistert, andere brauchten die behutsame Heranführung an dieses Vorhaben, um ihre
anfänglichen Vorbehalte zu überwinden.
Ich habe ein Gericht - zum Hauptgericht Wirsingeintopf mit Fleischklößchen, als Nachspeise Erdbeerquark -
vorgeschlagen, an dessen Vorbereitung die meisten Besucher sich beteiligen konnten. Dann habe ich die Gruppe gefragt,
welche Zutaten wir hierzu bräuchten. Fr. H. bat ich den Einkaufszettel zu schreiben, was sie gerne tat. Wegen der
benötigten Mengen haben wir die Köchin der Tagesstätte um Rat gebeten. Außerdem haben wir uns
von ihr das Geld für den Einkauf geben lassen.
Am Montag bin ich mit einer körperlich rüstigen Besucherin, Fr. K., in den nahegelegenen Supermarkt
gegangen. Mit viel Freude hat sie den Einkaufswagen durch die Gänge geschoben und dabei die Fülle des
Warenangebotes bewundert.
Als wir zurückkamen, war der Eßtisch bereits von den Dagebliebenen unter Anleitung des Gruppenleiters
für die nun folgenden Arbeiten vorbereitet worden. Dann schälten fast alle Gruppenmitglieder entweder
Kartoffeln oder putzten Gemüse. Dabei ging es lebhaft zu und alle waren mit Begeisterung dabei. Viele betonten,
daß sie das schon ewig nicht mehr gemacht hätten.
Während ich mit der ehemaligen Köchin, Fr. H., den Eintopf kochte und die Quarkspeise vorbereitete,
schnitt Fr. W. im Nebenraum die Erdbeeren klein. Auch wenn die verflixten Kartoffeln partout nicht weich werden
wollten, war doch alles in allem ein voller Erfolg!
3.1.10 Ausflüge gemeinsam planen, vorbereiten und durchführen
Besondere Höhepunkte im Programm der Tagesstätte sind unsere gemeinsamen Ausflüge,
die sowohl mit einzelnen Gruppen, als auch mit beiden gemeinsam (Dampferfahrt, Spandauer Forst) unternommen
werden. Ausflüge erweitern den durch Hochhäuser eng begrenzten Horizont der Besucher. Mit den
Ausflügen machen wir ihnen Felder und Wälder, schöne Alleen und Dörfer wieder greifbar.
Ausflüge kündigen wir den Besuchern rechtzeitig an und sammeln Wünsche. Planung und
Organisation obliegt dann dem Gruppenleiter und mir arbeitsteilig. In Vorbereitung zu einem Ausflug habe ich beim
Fahrdienst zwei Tage den Bus (ohne Fahrer) angefordert. Bei Fahrtantritt sorge ich dafür, daß wir
ausreichend Getränke und Kekse dabei haben. Sicherheitshalber packen wir auch einen Rollstuhl mit ein. Bei einer
Tour, in deren Verlauf wir auch mittags einkehren, vergesse ich auch nicht die Medikamente. Bei Ausflügen mit der
großen Gruppe, stehen viel Personal und ein Bus mit Fahrer für den Notfall bereit.
Unsere Ausflugsziele mit der kleinen Gruppe waren:
- Falkensee
"Wir überschreiten die ehemalige Grenze"
- Bauernmarkt auf dem ehemaligen Kontrollpunkt Staaken
"Wir erkunden das vielseitige Obst- und Gemüseangebot"
- Naturschutzgebiet Hahneberg
"Wir vergessen die Hochhäuser"
Bei jedem Ausflug weise ich die Besucher auf Riechens-, Hörens- und Sehenswertes hin. Zum Beispiel beim
Ausflug ins nahegelegene Naturschutzgebiet auf den Geruch von einem Tier (Wildschwein?), den Ruf des Kuckucks, das
Quaken der Frösche, die hoppelnden Karnickel, Vögel, Schmetterlinge, die Blumenpracht etc. Gelegentlich
mache ich auch Fotos, die wir uns ein paar Tage später gemeinsam ansehen, um dann noch einmal über die
schöne Zeit zu reden.
3.1.11 Einzelbetreuung der Besucher außerhalb der Tagesstätte
Zu Beginn meiner Praktikantentätigkeit wurde mir die Einzelbetreuung zweier allein lebender
Besucherinnen der Tagesstätte, Fr. A. und Fr. H., aufgetragen, die i. a. keine Hauspflege erhalten. Während
Fr. H. aus meiner Gruppe kommt, gehört Fr. A. zur Nachbargruppe. Im weiteren Verlauf habe ich auch noch die
Einzelbetreuung von Fr. K. aus meiner Gruppe übernommen.
Jeden Montag fahre ich zusammen mit Fr. A. zu ihr nach Hause. Fr. H. dagegen bringe ich sporadisch - mindestens
einmal in der Woche - nach Hause. Die Einzelbetreuung findet sowohl im innerhäusigen als auch im
außerhäusigen Bereich statt.
Außerhäusig leiste ich u.a. Orientierungshilfe, indem ich mit ihnen
- den Weg zur Tagesstätte, zum Arzt und zur Kirche übe,
- durch ihren Kiez oder die nahegelegenen Kleingärten spazieren gehe,
- durch den inzwischen verwilderten Garten gehe und dabei auf jahreszeitlich bedingte Veränderungen
aufmerksam mache, und mir von Fr. A. die Pflanzen erklären lasse, die Fr. A. noch immer präzise mit Namen
benennt. Sie bedauert jedoch ihre Unfähigkeit, den Garten wie in früheren Zeiten pflegen zu können.
Innerhäusig helfe ich dabei, die Fähigkeiten zur Ausübung der Aktivitäten des Täglichen
Lebens zu reaktivieren, beispielsweise:
- Körperpflege
- verlegte Dinge (Schlüsselbund!) suchen
- Knöpfe annähen
- Wäsche falten und in den Schrank legen
- Gemeinsam Balkonpflanzen einsetzen
Zur Betreuung gehört auch, daß ich die Lebensmittel kontrolliere, was verfallen bzw. verdorben ist.
Die meiste Zeit jedoch verwende ich für das aktive Zuhören. Das wird herzlich gedankt und wirkt sehr
wohltuend.
3.1.12 Angehörigenarbeit
In ihrer schwierigen Situation suchen viele Angehörige das Gespräch mit den Betreuern.
Angehörigenarbeit wird auf zwei Arten geleistet: telefonisch und in Form von Hausbesuchen.
Bei der Telefongesprächen, hatte ich Gelegenheit die aufopfernde Pflege, die bis an die Grenze der
Belastbarkeit des Angehörigen geht, anzuerkennen. Durch mein anteilnehmendes Reden habe ich dem
Angehörigen das Gefühl vermittelt, nicht mit der schweren Aufgabe verlassen zu sein. Darüber hinaus
fand ein wichtiger Informationsaustausch über das Verhalten des Besuchers zu Hause und in der Tagesstätte
statt. Dieser hilft sowohl dem Angehörigen als auch mir, besser auf den Besucher eingehen zu können.
An verschiedenen Hausbesuchen habe ich zusammen mit dem Gruppenleiter teilgenommen. Dabei habe ich erlebt, wie
wichtig es ist, die Angehörigen über die Krankheit aufzuklären, um ihnen zu helfen, ihre Lebenssituation
richtig einzuschätzen und Orientierungshilfe zu geben, z.B. Selbstaufgabe zu vermeiden.
3.1.13 Soziale Kontakte herstellen
Die Besucher der beiden Gruppen hatten außerhalb der Tagesstätte bislang kaum Umgang
miteinander. Durch meine Beziehungen zu beiden Gruppen sehe ich für mich Möglichkeiten, gegenseitige
Besuche von allein lebenden Mitgliedern der unterschiedlichen Gruppen in die Wege zu leiten. Dazu will ich meine
Funktion als Einzelbetreuerin von Besuchern beider Gruppen nutzen und bei den ersten Besuchen selbst dabei sein.
Komplizierter sind gemeinsame Spaziergänge zu ermöglichen: Zwei Besucherinnen Fr. K. und Fr. H. sind
noch sehr gut zu Fuß und haben auch beide große Freude am Spaziergängen. Es liegt daher nahe,
daß sie ihre jeweilige Isolation überwinden, indem sie sich den gemeinsamen Wunsches nach Laufen und
Plauschen über die Betreuungszeit in der Tagesstätte hinaus erfüllen. Ihre dementielle Entwicklung ist
jedoch schon soweit fortgeschritten, daß sie nicht mehr in der Lage sind, Verabredungen zu treffen und
einzuhalten.
Rosi bemüht sich, die Kontakte herzustellen, indem sie sich an die Leiterin des Seniorenwohnhauses wendet, in
der eine der beiden Besucherinnen wohnt. Die Leiterin wendet sich an die für das Senionrenwohnhaus
zuständige Sozialarbeiterin, um zwei "Juniorpartner" der "Generationsbrücke" zu
vermitteln. Rosi wird dann das Weitere arrangieren, damit die beiden Jugendlichen behutsam an die alten Menschen
herangeführt werden.
3.1.14 Kontakte zu Behörden
Wegen der Generationenbrücke habe ich mich mit der zuständigen Sozialarbeiterin des
Bezirksamtes Spandau zu einem Gesprächstermin verabredet. Daraufhin kam sie zu uns in die Tagesstätte um
die beiden Besucherinnen kennen zu lernen. Die Sozialarbeiterin wird sich wieder mit mir in Verbindung setzen, sobald
sie mit den von ihr ins Auge gefaßten Jugendlichen gesprochen hat. Wir verabredeten, daß es dann meine
Aufgabe sei, die jungen Frauen behutsam an die Besucherinnen heranzuführen.
3.1.15 Anamnesen
3.1.16 Informationsaustausch mit der Abteilung Hauspflege und Seniorenwohnhaus
Um in der Tagesstätte angemessen auf demente Menschen eingehen zu können, muß ich ihr
soziales Umfeld (z.B. wie häufig werden sie von den Kindern besucht?) und ihr Verhalten im häuslichen
Bereich kennen. Aus diesem Grund verabredete ich ein Gespräch mit der Leiterin des Seniorenwohnhauses, in dem
zwei Besucherinnen der Tagesstätte wohnen.
Auf diese Weise erfuhr ich, daß Fr. K., die sich häufig über die extrem kurze morgendliche Betreuung
durch ihre Hauspfleger erregt, oftmals wegen ihrer Gedächtnisstörung gerade dann ihre Wohnung
verläßt, wenn sie den Besuch der Hauspfleger erwartet. Wenn sich Fr. K. jetzt wieder über ihre
Hauspfleger erregt, versuche ich ihr klar zu machen, daß sie zu Hause bleiben muß, bis sie zur
Tagesstätte abgeholt wird.
3.1.17 Besucherdokumentation führen
In den ersten Tagen - der Phase des Kennenlernens - studierte ich gründlich die
Besucherdokumentation, die bis dahin fast ausschließlich mein Gruppenleiter geführt hatte. Auf diese Weise
lernte ich die Besucher besser einzuschätzen und konnte verständnisvoller auf sie eingehen.
konkretes Beispiel (Info => Verhalten => Nutzen f. Besucher)
Nachweis für Krankenkasse und Sozialamt
Darüber hinaus sind die Besucherdokumentation neben der wöchentlichen Dienstbesprechung das
wichtigste Mittel zum Informationsaustausch zu den Stellvertretern, den Angehörigen, den Ärzten und den
nach mir kommenden Praktikanten.
Aus diesem Grund tragen mein Gruppenleiter und ich sporadisch unsere Beobachtungen in die Dokumentationen aller
Besucher ein. Ich führe vorzugsweise die Dokumentation von vier Besucherinnen. Dies tue ich stets in Ruhe, die mir
eine intensive innere Auseinandersetzung mit der jeweiligen Besucherin erlaubt. Auf diese Weise entsteht ein immer
schärferes Bild von der Besucherin nicht nur in der Akte, sondern auch in meinem Kopf. Vor allem mache ich mir
hierdurch auch scheinbar unwichtige Details neu bewußt und kann positive oder negative Entwicklungsprozesse
nachvollziehen.
3.2 Verhältnis zur Parktikumsanleitung
Zu meinem Gruppenleiter, Herrn Goepel, habe ich ein kollegiales Verhältnis. Obwohl er einen
erheblichen berufliche Erfahrungsvorsprung besitzt und fest angestellt ist, läßt er sehr bewußt keinerlei
hierarchische Unterschiede erkennen. Das äußert sich beispielsweise darin, daß er mir zugesteht, eigene
Vorstellungen zu entwickeln und zu realisieren, auf die er sich dann einstellt. Auf diese Weise konnte ich folgendes
eigeninitiativ einbringen:
- regelmäßige Gesprächsrunde
- regelmäßige Wahrnehmungsübungen
- regelmäßige Lesestunde (Volksmärchen)
- gemeinsames Einkaufen und Kochen
- Töpfern
- Blütenkollage aus selbst gemalten Blüten und Biedermeierstrauß aus Serviettenpapier basteln
Sein Vertrauen zu mir geht soweit, daß er mir nach einem Monat die Gruppe für mehrere Tage allein anvertraut hat. In der Einzelbetreuung läßt mir mein Praktikumsanleiter völlig freie Hand.
Die Ausstrahlung, mit der Herr Goepel seinen Beruf ausübt, setzt für mich Maßstäbe. Durch seine fachliche Kompetenz erhält er von mir die volle Anerkennung, die die von ihm abgelehnte Hierarchie völlig überflüssig macht. Ich würde gerne mit ihm zusammen neue Eisen anpacken.
3.3 Fallbeschreibung
In folgender Fallbeschreibung soll im wesentlichen meine Arbeit am Beispiel der Besucherin, Fr. H.,
über einen Beobachtungszeitraum von ca. vier Monaten veranschaulicht werden. Ich werde über die
Anstrengungen berichten, die notwendig waren, um Fr. H. aus ihrer Isolation zu befreien und zum Besuch unserer
Tagesstätte zu bewegen, wo sie sich schließlich gut in die bestehende Gruppe eingefügt hat.
3.3.1 Zur Person von Fr. H.
Fr. H. besucht seit Februar 1993 die Tagesbetreuung. Sie ist z.Zt. 81 Jahre alt und in guter körperlicher
Verfassung - wenn auch extrem schlank. Fr. H., eine ehemalige Köchin, ist seit sieben Jahren verwitwet. Sie
bewohnt eine stets aufgeräumte Zweizimmerwohnung in der 7. Etage eines Hochhauses, das acht Gehminuten von
der Tagesstätte entfernt liegt.
Die einzige Tochter ist noch berufstätig und wohnt im gleichen Bezirk. Sie erkundigt sich regelmäßig
nach dem Befinden ihrer Mutter und besucht sie mindestens jeden Sonntag. Die Tochter veranlaßte auch die
Anmeldung von Fr. H. in der Tagesbetreuung.
3.3.2 Krankheitsverlauf
Da Fr. H. alleine wohnt und ihre Tochter keine konkreten Einzelheiten bezüglich des zeitlichen
Verlaufs der psychischen Auffälligkeiten machen konnte, fehlen Angaben zum bisherigen Krankheitsverlauf.
3.3.3 Befund bei der Aufnahme
Das Aufnahmegespräch ergab folgende psychische Befindlichkeit: Fr. H., sei zeitlich und örtlich
desorientiert. Fr. H. schlösse sich oft aus ihrer Wohnung aus. Sie klingele häufig nachts bei den Nachbarn und
vergäße auch das Essen und Trinken.
Fr. H. sollte zunächst täglich vom Fahrdienst in die Tagesstätte abgeholt werden. Wenn der
Fahrdienst morgens an ihre Wohnungstür kam, öffnete Fr. H. die Tür nicht und verleugnete ihre
Anwesenheit, indem sie sich ganz still verhielt. Oftmals verließ der Fahrdienst Fr. H. unverrichteter Dinge, so
daß Fr. H. die Tagesstätte nur sporadisch besuchte. Nachträgliche Anrufe bei ihr blieben ergebnislos, da
sie nicht ans Telefon ging.
3.3.4 Die Betreuung aufgrund meiner Beobachtungen an der Besucherin
Da alle Besucher der Tagesstätte pünktlich abgeholt werden müssen, mußte eine vom
Fahrdienst unabhängige Lösung gefunden werden, um Fr. H. abzuholen. Deshalb beschlossen mein
Praktikumsleiter und ich, Fr. H. wechselweise zu Fuß abzuholen. Wechselweise wollten wir Fr. H. abholen, damit sie
sich an uns beide gewöhnt und wir uns gegenseitig vertreten können. Zu Fuß wollten wir den Weg
machen, damit Fr. H. lernt, sich innerhalb ihres Wohngebietes zu orientieren.
Als ich Fr. H. das erstemal von Zuhause abholte, hatte sie mich bereits einige Male in der Tagesstätte erlebt. Ich
klingelte und wartete eine Weile. Als ich leise Schritte hörte, klopfte ich an der Wohnungstür und rief ihren
Namen. Statt still zu sein antwortete sie diesmal: "Wer ist denn da?" Ich stellte mich durch die geschlossene
Tür hindurch vor, woraufhin sie die Tür soweit öffnete, wie es die eingerastete Kette zuließ. Ich
sagte ihr, daß ich mit ihr gemeinsam in die Gruppe gehen wolle. Daraufhin nahm sie die Kette weg und ließ
mich in ihre Wohnung eintreten.
Fr. H. bedauerte, nicht mitkommen zu können, da sie noch Fester putzen und Essen für ihre Kinder (!)
zubereiten müsse, da sie für den Nachmittag erwarte. Statt mit Argumenten ihre andere Lebenswelt zu in
Frage zu stellen, begab ich mich auf ihre gedankliche Ebene und ging auf ihr scheinbares Problem ein: "Ihre Kinder
sind doch groß genug. Sie müssen doch nicht immer für sie da sein und können auch mal das Haus
verlassen. Was halten Sie davon, wenn wir ihnen die Zutaten schon einmal zurechtlegen und einen Zettel schreiben,
daß sie mit der Zubereitung beginnen, wenn sie vor Ihnen kommen?" Darauf ließ sie sich ein - und
genauso haben wir es auch gemacht.
Seither wird Fr. H. überwiegend von mir abgeholt. Stets stelle ich mich mit den selben Worten in der gleichen
Tonlage durch die geschlossene Tür hindurch vor, so daß sich bei Fr. H. eine Vertrautheit eingestellt hat, die
es mir erlaubt immer schneller in ihre Wohnung zu gelangen.
Häufig finde ich Fr. H. in unterschiedlichen desorientierten Situationen vor, die sie sehr stark beunruhigen, so
daß sie völlig verzweifelt ist. Dabei wiederholen sich vor allem folgende drei Situationen:
- Einbrecher waren in der Wohnung und haben Gegenstände, die sie braucht, mitgenommen,
- Fr. H. hatte eine nächtliche Auseinandersetzung mit ihrem (verstorbenen!) Mann, den sie wie in den Ehejahren
auch jetzt noch als bedrohend empfindet
- "jemand" hat ihr nachts die Wohnungsschlüssel weggenommen
Auf jede der Situationen gehe ich in ähnlicher Weise wie oben geschildert ein. Das erfordert von mir sehr viel
Ruhe, beruhigendes Zureden und vor allem Geduld. Allein das Suchen der Wohnungsschlüssel dauert oftmals 30 - 45
Minuten. Meist finde ich sie mit irgendwelchen Gegenständen (z.B. Staubtuch plus Gummiband) umwickelt an
unterschiedlichsten Orten (z.B. im Backofen) wieder.
Sind sie endlich gefunden, ist für Fr. H. die Welt wieder in Ordnung und sie kommt bereitwillig mit "in den
Dienst". In ihrer Vorstellungswelt arbeitet sie noch immer in ihrem ehemaligen Beruf in der alten Dienststelle.
Konsequenterweise ärgert sie sich darüber, daß sie "dort" jetzt kein Geld mehr bekommt,
sondern nur noch Frühstück und Mittagessen. So nimmt sie manchmal zum Wechseln zwei Paar Schuhe mit,
was ich ihr auch nicht ausrede.
In der Tagesstätte freut sich Fr. H. immer wieder über den hübsch gedeckten Tisch und über
den herzlichen Empfang durch die anderen Gruppenmitglieder. Aufgrund der festen Sitzordnung findet sie mehr und mehr
Kontakt zu ihrer Nachbarin. Sie beginnt sich allmählich wohl zu fühlen.
Meiner Bitte um Mithilfe beim Abräumen und Abwaschen des Geschirrs kommt sie gerne nach. Ich stelle fest,
daß Fr. H. gerne töpfert, malt und selbst knifflige Dinge bastelt.
Beim Singen braucht sie meist kein Textblatt.
Sie ißt mit gutem Appetit und beteuert immer wieder, wie gut es ihr in Gesellschaft schmeckt.
Fr. H. beginnt sich zu öffnen, erzählt viel von ihrer Heimat Uckermark, den Eltern und Geschwistern, die
aber alle schon verstorben sind. Dennoch leben in der Vorstellungswelt von Fr. H. ihre Brüder noch immer, kommen
zum Mittagessen und betteln um Geld. Nun verstehe ich auch, warum Fr. H. ihre Geldbörse so gut versteckt,
daß selbst ich große Mühe habe, sie wiederzufinden. Bevorzugte Verstecke sind der Backofen, der
(Tief-)Kühlschrank und die Waschmaschine.
Zu ihrem Geburtstag habe ich mit den anderen Gruppenmitgliedern ein Ständchen eingeübt. Darüber
war Fr. H. zu Tränen gerührt und erzählte noch lange danach davon.
Vier Wochen nachdem ich Fr. H. das erstemal abgeholt hatte, begrüßte sie mich bereits in Hut und Mantel
in ihrer Wohnung. Nach weiteren vier Wochen stand sie völlig unerwartet morgens pünktlich um neun Uhr vor
unserer Tür. Sie hat den Weg zu uns allein gefunden! Von uns bekam sie dafür ein dickes Lob und große
Anerkennung.
Nun kündige ich mein morgendliches Kommen per Telefonat an. Dabei begrüße ich sie wie an ihrer
Wohnungstür immer mit den selben Worten und der gleichen Tonlage. Meine Stimme weiß sie sofort
einzuordnen und reagiert prompt darauf. Hin und wieder meldet sie sich jedoch nicht. Dann suche ich Fr. H. in der
Umgebung. Meist passiert das am Wochenanfang, weil sie den Montag mit dem Sonntag verwechselt. Wenn ich sie dann
gefunden habe, ist sie sehr erleichtert und freut sich darüber, daß sie in die Tagesstätte kommen kann.
Das Konzentrationstrainig bewältigt Fr. H. gut und schnell und erhält von den anderen Lob und
Anerkennung. Auf meine Fragen nach ihrer früheren Tätigkeit gibt sie klare und genaue Antworten und gibt
ihr Erfahrungswissen weiter.
In der Kochgruppe macht sie natürlich mit großer Begeisterung mit. Fr. H. geht gerne spazieren und ist ein
guter Beobachter in der Natur.
Im Rahmen meiner Einzelbetreuung mache ich mit Fr. H. Orientierungsspaziergänge durch ihren Kiez und helfe ihr
dabei, ihre Fähigkeiten zu Aktivitäten im häuslichen Bereich (z.B. Balkonblumen einpflanzen) zu erhalten
bzw. zu reaktivieren.
Das wichtigste aber ist das aktives Zuhören. Dabei erfahre ich - wenn auch immer nur in Bruchstücken -
vieles aus ihrem Leben, ihrer Ehe, die für sie nicht leicht war, aus ihrer Berufstätigkeit und von ihrer Tochter.
Mir fällt auf, daß sie mir dinge anvertraut, die sie in der Tagesstätte nicht erwähnt. Sie hat also
Vertrauen zu mir!
Nach dem Wochenende hat sie häufig starke emotionale Einbrüche. Fr. H wird jedoch schnell wieder von
der Gruppe aufgefangen, so daß sich ihr Zustand schnell wieder stabilisiert und sie die Gemeinsamkeit in der Gruppe
und auch meine zärtliche Zuwendung voll genießen kann.
Nach fast vier Monaten kommt Fr. H. fast jeden Morgen allein und steht bereits vor mir vor der Tür der
Tagesstätte. Dann hilft sie uns beim Decken des Tisches und empfängt die später eintreffenden anderen
Besucher.
Anruf - Reaktion phantastisch
Besonders gefreut hat mich folgende Begebenheit: Nach der Einzelbetreuung bei Fr. H. Zuhause, bestand sie darauf,
mich zum Bus zu begleiten und beim Abfahren mir nachzuwinken, was sie dann auch tatsächlich getan hat.
3.3.5 Resümee
Dieser Fallbericht macht deutlich, wieviel Unterstützung und Zuwendung Kranke u.U. brauchen, um
überhaupt von dem Angebot des Förderervereins zu profitieren. Ebenso deutlich wird aber auch, wie - wenn
auch nur mit kleinen Schritten - eine Verbesserung der Lebensqualität des kranken Menschen - von periodischen
Rückfällen abgesehen - herbeigeführt werden kann.
3.4 Problembereiche und Lösungsansätze
3.4.1 Problembereiche mit meiner Rolle als Berufspraktikant
Während meiner Anwesenheit in der Tagesstätte, werde ich fast pausenlos von den Besuchern
in irgendeiner Weise in Anspruch genommen. Eine Pause im eigentlichen Sinn - in der ich von jeglicher Ansprache frei bin
und entspannen kann - läßt sich wegen der bereits angesprochenen fehlenden Rückzugsmöglichkeit
kaum nehmen. Dies führt bei mir zu einer Dauerbelastung, die ich für einen gewissen Zeitraum ertragen kann,
die mich aber auf lange Zeit auszehren würde.
In dem halben Jahr meiner engagierten Tätigkeit, habe ich einiges in die Wege geleitet (z.B. die gemeinsamen
Spaziergänge zweier Besucherinnen außerhalb der Tagesbetreuung mit Hilfe der
"Generationenbrücke"), dessen weitere Entwicklung ich nach Ablauf der Praktikantenzeit nicht mehr
miterleben kann. Ich bin gezwungen, die Weiterführung meiner Ideen anderen zu überlassen ohne die
Möglichkeit der eigenen Einflußnahme. Es belastet mich, zu den Besuchern ein Vertrauensverhältnis
aufgebaut zu haben, und mich ihnen mit Ende meiner Tätigkeit plötzlich zu entziehen.
3.4.2 Problembereiche mit der Rolle als Privatperson
Das intensive pausenlose Dasein für andere, führt dazu, daß ich nach Dienstschluß
für ca. eine Stunde nicht mehr ansprechbar bin. Habe ich auch dann Zuhause keine Rückzugsmöglichkeit,
entstehen leicht Spannungen, welche die Situation noch verschlimmern.
3.4.3 Lösungsversuche der Probleme - Änderungsvorschläge
Mit dem geplanten Umzug in die Obstallee wird sich die räumliche Situation erheblich verbessern. Dann
wird es nicht nur Rückzugsmöglichkeiten für das Personal während der Pausen geben, sondern
auch für besonders unruhige Besucher - zusammen mit einem Betreuer.
4. Zusammenfassende Bemerkungen
4.1 Verhältnis Schule - Praxis
Während meiner Schulzeit wurde ich zwar sehr gut in dem Fach "Alten- und
Krankenpflege" vor allem mit den Symptomen dementiellen Erkrankungen vertraut gemacht. Wie man die
angebotenen Verhaltensmuster im Umgang mit den Kranken in lebendiges Tun umsetzt, habe ich mir erst während
meines Berufspraktikums erarbeitet. Ich sehe deshalb das Berufspraktikum als eine wertvolle Ergänzung zu meiner
Schulzeit, die ich nicht missen möchte.
4.2 Persönliche Entwicklung während der gesamten Praktikumszeit
mehr Gelassenheit
Die Erfahrung, daß durch meine Arbeit ein schier unerträgliches Dasein dementer Menschen für einen
Tag - oder gar nur ein paar Stunden - nicht nur erträglich, sondern auch zufrieden gemacht wird, erzeugt in mir
ein hohes Maß an Sinnhaftigkeit meines eigenen Lebens.
klarere berufliche Ziele: Rückgewinnen verlorengegangener Lebensqualität Zunehmende Ausrichtung
meiner künftigen Arbeit auf die Betreuung der dementiell Erkrankten,
Bestätigung in meiner Berufswahl
Während der Zeit meines Berufspraktikums habe ich mir eine gehörige Portion Gelassenheit zugelegt.
Insbesondere kann ich mich auch über kleine "Erfolge" freuen, besonders wenn ich es wieder einmal
geschafft habe - und sei es nur in winzigen Schritten - verlorengegangene Lebensqualität bei Menschen
zurückzugewinnen, bei denen viele glauben, nichts mehr bewirken zu können.
Diese Fähigkeit möchte ich gerne weiter ausbauen und deshalb meine künftige Arbeit zunehmend
auf die Betreuung dementiell Erkrankter ausrichten.
Da ich während meiner Praktikumszeit erfahren habe, daß mir mein Beruf als Altenpfleger ein Arbeitsfeld
bietet, in dem ich mich nach meinen eigenen Vorstellungen einbringen kann, fühle ich mich in meiner Berufswahl
bestätigt. Die Erfahrung, daß durch meine Arbeit ein schier unerträgliches Dasein dementer Menschen
für einen Tag - oder gar nur ein paar Stunden - nicht nur erträglich, sondern auch zufrieden gemacht wird,
erzeugt in mir ein hohes Maß an Sinnhaftigkeit meines eigenen Lebens.
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