Isolation und Vereinsamung sind Krankmacher erster Güte. Mit vielem Unbill
können Menschen der Kriegsgeneration zurechtkommen, aber nicht mit der
Einsamkeit. Im Alleinsein und dem entsprechenden Umgang damit, finden wir die
Quelle und den Auslöser vieler psychischer Erkrankungen. Trotz genügend
Nahrung und Flüssigkeit geht der Mensch ohne Liebe und Zuwendung von anderen
zugrunde.
Immer noch ist die klassische Form der Betreuung alter Menschen der
Einzelkontakt. Dies ergibt sich natürlich aus den notwendigen und intimen
Kontakten bei der Grundpflege.
Abseits der Waschungen und medizinischen Versorgung sollte sich der
Einzelkontakt jedoch zugunsten der Begegnungen mit anderen reduzieren. In den
neuen Wohnformen, vor allem mit chronisch altersverwirrten Menschen, wird die
Gruppe zum therapeutischen Mittel der ersten Wahl.
Zitat aus dem Buch "Irren ist menschlich" von K. Dörner/U. Plog:
"Die gesündere und normalere Situation (im Vergleich zur Einzelbetreuung)
ist die Gruppensituation. Die Möglichkeit zur Vielfalt der Wahrnehmung: ich
vergleiche mich mit Anderen, wo bin ich ähnlich, wo bin ich anders, wo kann ich
etwas übernehmen, wo kann ich so bleiben wie ich bin, ist nur in Gruppen
möglich. Der Mensch ist auf soziales Handeln angelegt, so dass die Gruppe
seiner Wirklichkeit, d.h. seiner Natürlichkeit entspricht."
Gruppenarbeit sollte in ambulanten, stationären und teilstationären
Einrichtungen nicht nur ein mögliches, sondern ein notwendiges Mittel im
Umgang mit alten Menschen und deren Angehörigen sein. Es genügt nicht, die
Bewohner aus den Zimmern in den Aufenthaltsraum zu bringen, damit sie dort zwar
nicht alleine, aber doch für sich sind und vor sich hin sinnieren. Die erlebte
Kontaktlosigkeit der Bewohner untereinander in Pflegeheimen, muss durch gezielte
Interaktionen durch das Personal kompensiert werden. Durch Gruppenarbeit wird
die Atmosphäre auf den Stationen positiv beeinflusst. Es kommt zu einem
stärkeren Wir-Gefühl, nicht nur unter den Bewohnern, sondern auch zwischen den
Bewohnern und den Mitarbeitern.
Auch wenn die Gruppen in Heimen, Angehörigenberatungsstellen oder Tagespflegen
keine ausgewiesenen therapeutischen Gruppen sind, so sind die Effekte der
Gruppentreffen oft therapeutischer Art und deshalb sollte der/die
GruppenleiterIn über gruppendynamische Grundkenntnisse verfügen.
Wesentliche Aufgabe der Gruppenleiter ist die Aufrechterhaltung der Gruppe.
Dies beginnt schon bei der Auswahl der Gruppenmitglieder, wenn die Möglichkeit
der Auswahl besteht. Zumeist sind die Gruppen jedoch willkürlich
zusammengesetzt.
Eine weitere wichtige Aufgabe ist die Einführung von Gruppennormen. Die Normen
oder Regeln müssen zwei Bedingungen gleichzeitig erfüllen: Die Gruppe soll
sich darauf einigen können und sie müssen der Gruppe dienlich sein: Z.B. freie
Interaktion, Offenheit, nicht verurteilen, keine körperliche Gewalt, etc..
Für das Handeln des Gruppenleiters ist die Berücksichtigung folgender
Gesichtspunkte wichtig:
- die Berücksichtigung des Hier- und Jetzt-Prozesses
- den Gruppenprozess kommentieren
- Interpretation
Der Gruppenleiter ist sowohl technischer Experte, wie auch Teil der Gruppe.
Er ist aber nicht gleichberechtigtes Gruppenmitglied. Er soll sich in der Gruppe
mit einbringen, sich aber nicht entlasten. Er sollte ein Gespür dafür
entwickeln, wie viel Führung die Gruppe braucht und wie viel "geschehen-lassen"
gut ist.
Gruppenentwicklungsphasen
- Orientierungsphase
- Positions- und Rollenklärungsphase
- Vertrautheitsphase
- Differenzierungsphase
- Ablösungs- oder Abschiedsphase
All die Grundsätze, die ich bisher aufgeführt habe, gelten auch für die
Leitung von Gruppen mit chronisch altersverwirrten Menschen. Zuerst scheint es
paradox mit z.B. Alzheimerpatienten eine Gruppe zu machen, doch Untersuchungen
haben ergeben, dass das Gruppenleben an sich den Krankheitsverlauf positiv
beeinflusst, indem Abbauprozesse gehemmt oder sogar gestoppt werden.
Mit entscheidend dabei ist, dass das Grundgefühl der Angst, das die meisten
altersverwirrten Menschen aufgrund ihrer Defizite begleitet, in einer gut
geführten Gruppe wesentlich gemildert wird.
Was bedeutet die Gruppe für chronisch altersverwirrte Menschen?
- Es gibt viele Vorbilder, die mir vormachen wie etwas geht z.B.
Brötchen schneiden, Messer und Gabel benützen. Ich kann bei anderen
abschauen.
- Es gibt Unterstützung von anderen. Ich kann andere Fragen wie
etwas geht, oder andere zeigen mir wie etwas geht.
- Die Gruppe bietet Schutz. Ich bin nicht allein. Mit anderen
zusammen fühle ich mich sicherer.
- In der Gruppe bekomme ich viele Außenreize. Ich höre und sehe
ständig etwas. Dadurch bleibt mein Gehirn aktiv.
- In der Gruppe verfalle ich nicht so leicht in depressive Löcher.
Ich sehe, auch andere haben ihr Päckchen zu tragen.
- In der Gruppe mache ich auch mal Dinge mit, die ich sonst nicht machen
würde (z.B. Gymnastikübungen).
- Mit der Gruppe lässt sich viel teilen, Freude und Leid
gleichermaßen.
- In der Gruppe bin ich nicht nur auf mich bezogen. Ich muss mich mit
anderen auseinandersetzen.
- Dadurch bekomme ich Bedeutung für andere. Ob in Auseinandersetzungen oder
im freundschaftlichen Zusammensein erlebe ich Nähe und Kontakt.
Chronisch altersverwirrte Menschen brauchen ein gutes "Nest"
Betreuer von altersverwirrten Menschen erleben in der Einzelbetreuung
ständige Überlastungssituationen. Sie können allein nicht die Sicherheit und
den Schutz bieten, den diese Personen brauchen. Als EinzelbetreuerIn beschwört
man immer wieder die Situation des Verlassen-werdens herauf, z.B. wenn man
Besorgungen zu erledigen hat.
Eine Gruppe bietet eine Basis, von der aus verschiedene Aktivitäten geplant und
durchgeführt werden. Sie ist das wärmende und schützende Nest, in das der
desorientierte Mensch immer wieder zurückkehren kann und in dem sein Bedürfnis
nach Geborgenheit trotz wechselnder Personen besser befriedigt werden kann.
Die positiven Aspekte des Lebens in einer Gruppe, können sich in manchen
Punkten ins negative verkehren. Die Aufgabe des Gruppenleiters besteht dann
darin, diese Umkehr deutlich zu machen und sie konstruktiv für den
Gruppenprozess zu nutzen.
Die Leitung solcher Gruppen erfordert grundlegende Kenntnisse über
chronische Altersverwirrtheit und ein hohes Maß an Flexibilität. Der
Gruppenleiter stellt in der Gruppe der altersverwirrten Menschen den roten Faden
dar im Nebel des Vergessens.
Grundsätzliches für den Gruppenleiter zur Gruppenarbeit mit chronisch
altersverwirrten Menschen:
- Achten sie stets auf die Freiwilligkeit. Die Gruppenmitglieder sollen sich
frei dafür entscheiden können, ob sie in der Gruppe sein wollen oder nicht
- Gruppengespräche können am Küchen- oder Eßtisch stattfinden, sorgen
sie aber auch immer wieder für einen besonderen Gruppenrahmen.
- Versuchen sie immer wieder, Personen in die Gruppe zu integrieren.
Akzeptieren sie ein "kommen und gehen".
- Seien sie stets bereit zu Themenwechseln. Machen sie Gedankensprünge mit
und leiten sie, wenn möglich, später wieder zum Thema zurück.
- Sprechen sie passive Gruppenmitglieder immer wieder an. Geben sie ihnen
Zeit sich zu äußern. Lassen sie die passiven Gruppenmitglieder ansonsten
in ihrer Passivität. Sie bekommen schon was sie brauchen.
- Nehmen sie sich immer wieder zurück und überlassen sie das Gespräch der
Gruppe.
- Halten sie auch mal längeres Schweigen aus.
- Keine Angst vor Wiederholungen. Wiederholungen geben Sicherheit.
- Rechnen sie immer mit spontanen Gefühlsausbrüchen.
- Sie sollten die Gruppe möglichst zu zweit leiten. Ein Gruppenleiter
fungiert als "Springer" für besondere Situationen (z.B. die sog.
"Läufer").
- Rechnen sie immer mit Unterbrechungen.
- Achten sie während Gruppensitzungen immer wieder darauf, ob es ein
aktuelles, aber nicht angesprochenes Gruppenthema gibt (z.B. alle nervt es,
dass Fr. Hässler sich ständig kratzt, aber niemand spricht sie direkt an).
- Machen sie keine zu langen Gruppengespräche. Achten sie auf
Entspannungsphasen. Es darf aktive und passive Gruppensituationen geben.
Schaffung einer natürliche Gruppensituation.
- Jede/r in der Gruppe hat unterschiedliche Fähigkeiten. Wählen sie ihre
Themen entsprechend aus.
- Machen sie deutlich, das es in der Gruppe Regeln gibt. Dies müssen sie
immer wieder tun. Setzen sie diese Regeln mit der Gruppe fest.
- Sie haben es oft mit starken Individualisten zu tun. Geben sie diesen Raum
aber setzen sie auch Grenzen.
- Seien sie bereit, für kurze Zeit, alle Regeln und Grundsätze der
Gruppenarbeit über den Haufen zu werfen.
- Führen sie keine Zweiergespräche. Dehnen sie private Anfragen von
Einzelnen Gruppenmitgliedern auf die ganze Gruppe aus.
- Unterscheiden sie zwischen aktivem und passivem Gruppengeschehen (aktiv:
besonderes Gruppensetting, besondere Themen; passiv: Gruppengeschehen
beobachten, z. B. beim Essen, beim Spaziergang). Der Gruppenleiter ist immer
im Dienst.
Gruppenarbeit ist nicht jedermanns oder jederfraus Sache. Wer sein Leben lang
Einzelgänger war, wird auch nicht im Alter zum Herdentier. Dies gilt sowohl
für Gruppenleiter, wie auch für Gruppenmitglieder. Aber nur die wenigsten sind
echte Eremiten, jeder im Alter wird wenigstens die Nähe einer "Herde"
zu schätzen wissen.
Nach 14jähriger positiver Erfahrung mit Gruppen in einer Tagespflege kann
ich allen Mitarbeitern in der Altenhilfe raten: Nur Mut zur Gruppenarbeit, raus
aus den heimlichen Nischen, zeigen sie was sie tun. Setzen sie sich mit
Bewohnern zusammen, suchen sie das gemeinsame Gespräch mit anderen. Füllen sie
die Aufenthaltsräume und Flure der Heime mit Leben. Nutzen sie als Angehörige
die Möglichkeiten von Tagespflegegruppen.
Für die Gruppenarbeit gilt was der Volksmund sagt: Geteiltes Leid ist halbes
Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude.
Autor:
Labyrinthos Franz Miller Dipl. Soz. Päd. (FH) Steingasse 12 86150 Augsburg
Telfax 0821-5082851 Franz.A.Miller@t-online.de
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