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Zum Umgang mit Aggressionen
bei dementen Personen

(veröffentlicht in der ala Zeitung Sep. 2002)

  1. 1. Wie kommt es zum aggressiven Verhalten bei einer dementen Person?
    Es gibt verschiedene Anlässe welche zu einem aggressiven Verhalten führen können:
    • Die Person baut sich eine Art "Schutzzone" um sich herum auf. Wenn nun die Grenzen dieser Zone überschritten werden, so fühlt sich die Person angegriffen, nicht mehr sicher in ihrem Umfeld. Eine solche Überschreitung kann z.B. die Hilfe beim Baden sein. Hierbei kann es sein, dass sich die Person eingeengt fühlt, Angst und Scham empfindet. Aggressives Verhalten kann eine natürliche Reaktion darauf sein.
    • Gibt man der Person im Alltag Hilfestellungen kann sie das Gefühl haben, dass man sie unterschätzt. Wenn einem geholfen werden muss, wird man wohl für inkompetent gehalten. Dies spürt die Person und die Reaktion kann dementsprechend aggressiv sein.
    • Für ältere Leute ist es nicht einfach mit Änderungen in der Alltagsroutine zurecht zu kommen. Es kann zu Frustrationen und Gefühlsausbrüchen kommen, welche nur schwer zu kontrollieren sind.
    • Wird die ältere Person mit der Realität konfrontiert (Verlust von geliebten Personen, Dingen und Standorten), kann dies sehr schmerzlich sein und ebenfalls aggressives Verhalten zur Folge haben.
    • Ein schnelles und unvorhersehbares Auftauchen (z.B. von hinten) gegenüber einer dementen Person, sowie ein unangemeldeter Körperkontakt, können Angst und Schrecken hervorrufen. Vor allem, wenn zusätzlich eine Seh- und/oder Hörschwäche vorliegt. Dies kann aggressives Verhalten begünstigen.
    • Durch die Demenz bedingte Missverständnisse können natürlich auch zu einem aggressiven Verhalten führen (z.B.: wenn die Krankenschwester des Heimpflegenetzes als Einbrecherin eingestuft wird).
    • Durch ständig auftretendes aggressives Verhalten ist es der älteren Person natürlich möglich die ganze Aufmerksamkeit des Umfeldes auf sich zu ziehen! So kann die ältere verwirrte Person dann das Umfeld manipulieren und im Mittelpunkt stehen.
    • Pflegepersonal das ängstlich, unorganisiert und unsicher in solchen aggressiven Verhaltenssituationen reagiert, kann möglicherweise noch stärkere Aggressionen bei der verwirrten Person hervorrufen.
  2. Aggressives Verhalten -ein individuelles Verhalten
    Auch wenn es möglich ist ein aggressives Verhalten sowie die Auslöser zu beschreiben, so darf man doch nie vergessen, dass ein solches Verhalten sich bei jedem Individuum anders darstellt. Die Individualität zeigt sich auch und gerade bei der Demenz.
    Niemals darf eine Person als ständig aggressiv gestempelt werden. Niemand kann immer nur aggressiv sein. Es ist also von Nöten eine gezielte und fachgerechte Verhaltensanalyse aufzustellen um den eventuellen Ursprung dieses Verhaltens zu erkennen.
    Für eine solche Analyse braucht man folgende Informationsquellen:
    • Hintergrundinformationen, wie z.B.: Hat etwas die Tagesroutine unterbrochen? Wurden die Medikamente geändert? usw.
    • Informationen zur Lebensbiografie der verwirrten Person z. B.: Was sind die Eckdaten der Biografie dieser Person?
    • Verhaltensanalyse: Man sollte sich stets vor Augen führen in welchen Situationen ein solch unangemessenes Verhalten auftritt.

Hierzu ist es möglich eine Art Tabelle zu gestalten, welche all diese Informationen enthält.

Datum & Zeitpunkt Bedingungsfeld des aggressiven Verhaltens Form des aggressiven Verhaltens Reaktionen nach dem aggressiven Verhalten Zusammenhänge mit Biografie, usw.
         

Drei Bereiche sollte man besonders beobachten während eines aggressiven Anfalls einer Person:

  1. Das Bedingungsfeld, in welchem das aggressive Verhalten stattgefunden hat, analysieren und sich folgende Fragen stellen:
    • Zu welchem Zeitpunkt geschah das aggressive Verhalten?
    • Wo geschah der Ausbruch (Ort, Stelle)?
    • Womit war die Person kurz vorher beschäftigt?
    • Was geschah im Umfeld während des Hergangs?
  2. Das Verhalten, welches als aggressiv bezeichnet wird, sollte beobachtet und beschrieben werden. Folgende Fragen helfen dabei:
    • Welche Form hatte das aggressive Verhalten?
    • Schlug, oder misshandelte die Person eine weitere Person?
    • Wurde mit Objekten um sich geschlagen?
    • Wurden Objekte beschädigt?
    • Wie war die Gestik der aggressiven Person?
    • Welchen Wortschatz benutzte der Aggressor?
  3. Und als letztes sollte man auf die Reaktionen seitens des Personals achten, während eines solchen Gefühlsausbruches. Hierzu gibt es auch verschiedene Fragen, deren Beantwortung aufschlussreich sein kann:
    • Wie verhielt sich das Pflegepersonal während des aggressiven Verhaltens?
    • Wie verhielt sich die aggressive Person beim Herannahen, respektiv Einschreiten eines Personalmitglieds?
    • Wie verhielt sich das Personalmitglied welches eventuell angegriffen wurde?
    • Wie verhielten sich die übrigen Bewohner während des Angriffs?
    • Wie fühlte sich das Personal beim Einschreiten?

Bei jedem erneut auftauchenden Problemfall mit aggressivem Verhalten, sollte das Personal all die Beobachtungen schriftlich festhalten - am besten gleich nach dem Vorfall -so ist alles noch fest im Gedächtnis verankert.

Die Beobachtungen sollten in einer ähnlichen Tabelle, wie der oben angegebenen, festgehalten werden:

Welche Schlussfolgerungen kann man jetzt aus dieser Tabelle (nach einer bestimmten Zeitspanne und immer wieder auftretendem Verhaltensmuster) ziehen? In Teambesprechungen wird die Tabelle gemeinsam analysiert. Jedes Teammitglied sollte sich aber von Anfang an bewusst sein, dass dies ein langer Prozess sein kann. Jeder sollte also aufgeschlossen und vorurteilslos in eine solche Analyse hineingehen. Es kann sich ein immer gleiches Schema herausschälen, wann und wie das aggressive Verhalten auftritt. Nach einer solchen Auftrittsanalyse kann man, auch wieder in Teamarbeit, nach möglichen Interpretationen des Verhaltens suchen. Nur eine gewissenhafte Suche nach Interpretationen hilft bei der Suche nach angemessenen Lösungsvorschlägen respektiv Vorbeugemaßnahmen, welche bei dieser Person dann auch angewendet werden können.

Achtung!

Meistens resultiert ein aggressives Verhaltensmuster aus Interaktionen zwischen der verwirrten Person und deren Umwelt, deren Persönlichkeit, deren Gedächtnisverlust und deren intellektuellen Fähigkeiten. Aggressives Verhalten kann aber auch ein direktes oder indirektes Resultat einer spezifischen Gehirnschädigung sein (z.B. bei subduralen Hämato-men, bei Prosopagnosia). Es ist also äußerst wichtig die Lebensgeschichte, sowie den medizinischen Hintergrund einer jeden Person genau zu kennen, bevor man zu falschen Schlussfolgerungen gelangt!!!

In der nächsten Ausgabe werden wir Vorbeugemaßnahmen, sowie konkrete Tipps und Hilfestellungen erörtern.

Joelle Floener, Educatrice graduee

Bibliographie: Aggression, Graham Stokes, Winslow Press Limited, Oxon-UK, 1987

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