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Literarische Biografiearbeit

Folgende Vor-Geschichte ist aus den gemeinsamen schönen Stunden mit einer wundervollen 93-jährigen Dame entstanden.
Viel, sehr viel hat sie in ihren 93 Jahren erlebt.
Höhen und Tiefen haben ihren Lebensweg gezeichnet;
Mit Liebe, Sehnsucht und Lebensfreude hat sie diesen beschritten.

Heute - bleibt ihr „nur“ noch die Erinnerung.
Heute - lebt sie in ihrer Erinnerung.
Heute – ist die Welt ihr, vor allem anderen, eine Kulisse ihrer Erinnerungen.

Medizinisch drückt sich das folgendermaßen aus: Demenz

Was sie aber in jedem Falle ist und bleibt:
eine Dame von Welt, von einer alten Welt, die wir Nachkriegsgeborenen – Generationen nicht mehr kennen:
voller Zerstörung und Aufbau;
voller Gewinne und Verluste,
voller Hoffnungen und Desillusionen,
voller Kraft und Kapitulationen . . .
(und mit jedem Menschen hohen Alters, der seine Erinnerungen an diese Zeit wortlos mit in´s Grab nehmen wird, geht ein weiterer einzigartiger Mensch dieser alten Welt unter, verschwindet spurlos).

Sie lud mich auf eine Reise in´s Land ihrer Erinnerungen ein.
Ich sagte zu und die Zeit bekam Flügel;
So manches Erlebnis wurde wieder und wieder umkreist, wie der Adler seine Beute, aber auch viele „neue“ Erinnerungen traten aus dem Dickicht der Zeit hervor.
Hier und da landeten wir, dann bediente sie sich der Gegenwart als Schauplatz ihrer Vergangenheit: in einem älteren Herren, der dieselbe Tagespflegestätte wie sie besuchte, erkannte sie ihren Enkel; im benachbarten Haus das Haus alter Jugendbekannten etc.
Es war eine schöne Reise, von der ich viele kleine Puzzleteile mitnehmen durfte, die sie selbst mir überreichte. Die meisten davon waren abgerundet, weich, wohlgesonnen. Ein reich gelebtes Leben, das ihr Freude und Genugtuung schenkte, wenn ihre Erinnerungen daran vor ihr lebendig wurden.
Bis auf das eine oder andere Ereignis...
Eines davon war ein vorgeburtliches Ereignis, das sie immer wieder von sich gab, mit einem zeitweise recht verbitterten Unterton ihrer leiblichen Mutter gegenüber, nämlich dass sie für eine Nähmaschine eingetauscht worden sei.
Ebenso oft erwähnte sie ihre von klein auf zutiefst erlebte Sehnsucht nach Geschwistern, eine Sehnsucht, die sie sich lange Zeit nicht erklären konnte. . .

Da sie dieses Ereignis nicht bewusst erlebt, es ihre Gefühlswelt aber stark geprägt hat, war es mir ein Anliegen, diese vorgeburtliche Begebenheit vor ihr lebendig werden zu lassen, und zwar so, dass sie sich

  • einerseits ganz in dieser Geschichte gefühlsmäßig wiederfinden konnte
  • andererseits die Situation der Mutter sehr einfach und gefühlvoll ihr vor Augen zu führen, damit sie innerlich Frieden mit ihrer Mutter schließen konnte
  • und schließlich, dass in dieser Erinnerung ihr - durch die Geschichte - auch eine tieferliegende Bedeutung angeboten wurde (vor allem durch die am Schluß eingefädelten märchenhaften Züge), d.h. in einen größeren Zusammenhang eingebettet, der einen sinn in Aussicht stellt
  • Nicht zuletzt wird ein tiefgreifendes Ereignis / Erlebnis in kostbarer Form schriftlich festgehalten und so zu einem einmaligen, persönlichen Lebensdokument auch für andere zugänglich

Jeder Mensch hat, so lange er lebt, noch etwas zu geben.

Und hier nur die Geschichte: pdf-Datei (135 kB) Ein Leben für eine Nähmaschine

Diese Seite wurde erstellt von pdf-Datei (169 kB) Dagmar Schmitz-Chuh, die hier noch einen pdf-Datei (29 kB) Zusatzkommentar zu ihrer Arbeit gibt.

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