© Gisela Rippin, Weimarschmieden, 97650 Fladungen, Tel.: 09778-492
Die "Aktion Pflegepartner" hat sich aus dem Projekt "Urlaub von der Pflege - durch Pflege auf Zeit" entwickelt.
"Urlaub von der Pflege" ist ein improvisiertes Kurzzeitpflegeangebot, das wir (Diakonie, Caritas, eine evangelische und drei katholische Sozialstationen) seit 1985 einmal jährlich in Reyersbach durchführen: Die Räumlichkeiten in Reyersbach stellt eine katholische Sozialstation zur Verfügung, die in einer alten Schule untergebracht ist. Wir nehmen über einen Zeitraum von 17 Tagen zehn pflegebedürftige alte Menschen auf, damit die oft total überforderten Angehörigen einmal entlastet werden, ausruhen oder Urlaub machen können.
Vor zwei Jahren fragte eine Angehörige: "Was mache ich, wenn nicht "Urlaub von der Pflege" ist und ich zum Arzt oder Einkaufen muß?"
Diese Frage hat uns längere Zeit beschäftigt. Schließlich reifte in uns der Entschluß, darüber nachzudenken und nach einer Lösung zu forschen.
Nachgedacht und geplant haben über einen Zeitraum von 1 1/2 Jahren Mitarbeiter/innen des Diakonischen Werkes, des Caritasverbandes, der Sozialstationen, des Gesundheitsamtes, eine Ärztin und Betroffene.
Diese Planungsgruppe hat sich seit Januar 89 einmal im Monat im Diakonischen Werk Bad Neustadt getroffen.
Während der ersten beiden Treffen kamen wir schon bald auf die Idee, den Babysitterdienst auf die Situation des alten pflegebedürftigen Menschen zu übertragen. Als Arbeitstitel nannten wir unseren Dienst Seniorensitting, abgekürzt "Sensi".
Vier Monate diskutierten wir über viele Fragen.
Als wir über die letzten beiden Fragen sprachen, wurde uns schon bewußt, daß wir zu diesem Projekt bereits ja gesagt hatten.
Nun gefiel uns auch der Name Seniorensitting nicht mehr, denn alte Menschen sind keine Kinder und der , Dienst erfordert einen völlig anderen Einsatz als der eines Babysitters. Vorrangig ging es uns, um die Entlastung. der Angehörigen. Dazu gehört auch, daß die Mitarbeiter/innen so gut auf ihren Dienst vorbereitet werden, daß die' Angehörigen ihren Kranken beruhigt dem Partner überlassen und Vertrauen zu ihm haben.
Über das Wort Partner kamen wir zum "Pflegepartner". Dieser Name gefiel der Planungsgruppe sofort, denn er drückte genau das aus was wir anbieten wollten.
Wie finden wir Mitarbeiter/innen?
Da wir fast alle im kirchlichen Bereich tätig sind, wollten wir auf dem bisher üblichen Wege suchen. Es war uns klar, daß sich dann wieder Leute melden, die schon genug in Kirche und Diakonie ehrenamtlich machen. Da die "Aktion Pflegepartner" ein Angebot für den ganzen Landkreis Rhön-Grabfeld werden sollte, brauchten wir eine große Zah1 von Mitarbeitern/innen; denn nach Möglichkeit sollte niemand mehr als l0km im Umkreis seines Wohnortes zurücklegen. Auch an die herben Witterungsverhältnisse in der Rhön mußte gedacht und niemand durfte überfordert oder Problemsituation ausgesetzt werden.
Eine breite Werbung sollte in der kirchlichen und öffentlichen Presse stattfinden. Den Presseartikel entwarf ein Mitglied der Planungsgruppe, das selbst lange Zeit Angehörige gepflegt hat: Ein Werbeprospekt wurde gemeinsam entworfen. Wir legten es in unseren Einrichtungen und den Kirchen aus, hängten es in Schaukästen und verteilten es, wo wir interessierten Menschen begegneten: Während einer Pressekonferenz, zu der wir alle Zeitungen des Landkreises eingeladen hatten, stellten wir unser Projekt vor und baten gleichzeitig unsere Mitarbeiterwerbung zu veröffentlichen. Zwei Wochen später wurde dann noch einmal der Presseartikel veröffentlicht. Nach dieser Werbeaktion sind über 40 Meldungen bei uns eingegangen. Zur gleichen Zeit haben wir uns in der Planungsgruppe Gedanken über die Finanzierung der Aktion und auch über die Frage: Wie arbeitet die "Aktion Pflegepartner"? gemacht.
Die Bestellung des Pflegepartners soll über eine Telefonzentrale gehen; die den Pflegepartner auswählt und einsetzt. Um die Telefonzentrale nicht zu überfordern, haben wir uns überlegt drei Zentralen einzurichten die jede für einen Bereich, nämlich die ehemaligen Landkreise Bad Neustadt, Bad Königshafen und Mellrichstadt zuständig sind. Damit wäre auch gleich die Vertretung im Falle der Abwesenheit gelöst. Nun begann eine lange Diskussion über das Für und Wider eines Anrufbeantworters. Wir konnten doch nicht erwarten, daß die Mitarbeiter/innen der Telefonzentrale immer daheim und verfügbar sind. Sie und ihre Familien sollten durch diesen Dienst in ihrem Leben nicht eingeengt werden. Schließlich waren wir uns einig, daß die Menschen es auch lernen müssen, mit diesen Apparaten umzugehen. Also planten wir die Anschaffung von drei Anrufbeantwortern mit Fernabruf. Ferner mußte noch Geld eingeplant werden für die Einführungslehrgänge und Unkosten für ein Vierteljahr Überbrückungszeit, in der wir zwar Ausgaben, aber keine Einnahmen haben werden.
Den Dienst als Pflegepartner wollten wir nicht kostenlos anbieten. Wir nehmen pro Einsatz DM 7,50, ähnlich dem Einsatz der Zivildienstleistenden des "Mobilen sozialen Hilfsdienstes". Mit diesem Geld werden die laufenden Unkosten wie Kilometergeld der Pflegepartner, Telefonkosten und Porto beglichen. Nach einem Jahr werden wir noch einmal darüber beraten, ob der Betrag kostendeckend ist.
Das "Kuratorium Deutsche Altershilfe" hat diese Aktion großzügig gefördert, was für uns eine große Hilfe darstellte. Die Kosten werden über den Caritasverband. abgerechnet, da das Diakonische Werk die Kosten für "Urlaub von der Pflege" regelt.
Der nächste Schritt war nun die zukünftigen Pflegepartner zu einem ersten Kennenlernen einzuladen. Es fand am 2. Mai 1990 unter recht ungünstigen Bedingungen statt. Der Raum, den wir besorgt hatten, war viel zu groß und schlecht zu erreichen. Aber dennoch kam es zu einem ausführlichen Gespräch mit der Gruppe. 36 Teilnehmer/innen waren gekommen. Zuerst stellten sich alle vor, auch mit dem persönlichen Hintergrund, weshalb sie bereit waren, mitzuarbeiten:
Nach der Vorstellungsrunde berichteten wir den zukünftigen Pflegepartnern
Anhand einer Karteikarte, die jeder für sich ausfüllte und die der Telefonzentrale als Vermittlungsgrundlage dient, besprachen wir noch den Vermittlungsvorgang:
Inhalt:
Wichtig war es uns noch, mit den Mitarbeitern/innen zu besprechen, daß wir uns auf ihre Bereitschaft zum Einsatz verlassen können müssen. Ansonsten wäre es uns lieber, sie würden klar sagen, wenn es ihnen zuviel sei oder sie sich überfordert fühlten. Im Laufe der nächsten Woche erhielten wir fünf Absagen. An diesem Abend wurde auch gemeinsam der Beginn der Aktion -1.08.90- festgelegt. Danach besprachen wir noch die Inhalte der Einführungslehrgänge und stimmten die Termine ab.
Nach diesem ersten Treffen waren wir davon überzeugt, daß das Projekt mit dieser interessierten Gruppe gelingen müßte.
Einführungslehrgänge
fanden an drei Samstagen statt, 23.06.90, 7.07.90 und 29.09.90.
Ziel der Wochenenden war neben der Bearbeitung von Sachthemen auch das Kennenlernen der Mitarbeiter/innen.
Inhalte:
2 Einheiten (1 Einheit sind 1,5 Stunden):
3 Einheiten:
1 Einheit:
1 Einheit:
1 Einheit:
2 Einheiten:
Die Einführungslehrgänge haben durchgeführt:
2 Sozialarbeiter/innen Diakonie/Caritas
2 Sozialstationen Diakonie/Caritas
1 Ärztin
1 Psychologe Caritas
Wir trafen uns an den genannten Samstagen von 9-17 Uhr in einer Sozialstation, wo uns ein großer Schulraum zur Verfügung stand.
Die Teilnehmer/innen .waren sehr aufgeschlossen und interessiert. Es machte uns große Freude mit dieser Gruppe zu arbeiten. Von den Teilnehmern/innen kamen zu fast allen Themen gezielte Fragen, die sie besprochen haben wollten.
Untereinander entstanden sehr schnell Kontakte. Zumal sich herausstellte, daß die meisten private Erlebnisse mit belastenden Pflegesituationen hatten. Sie wußten fast alle wovon wir sprachen und gaben der Gruppe viele Impulse.
Durch die großzügige Förderung des "Kuratoriums Deutscher Altershilfe" konnten wir die Teilnehmer/innen zum Essen einladen.
Es bedeutete uns schon sehr viel, nicht immer nur zu fordern, sondern auch die Gruppe umsorgen zu können.
Während die Einführungslehrgänge vorbereitet und durchgeführt wurden, machte sich die Planungsgruppe Gedanken über den Entwurf eines Prospektes
Inhaltliche Gestaltung
Außerdem sollte jede/r Mitarbeiter/in eine Mappe erhalten mit den genannten Formularen, Prospekten und einer Liste mit wichtigen Adressen und Telefonnummern (Diakonie, Caritas, Sozialstationen, Krankenhäuser, Ärztlicher Notfalldienst, Krankentransport usw.).
Als nächstes fand ein Treffen mit den Telefondamen statt, die eine wichtige Verbindung zwischen den Pflegepartnern/innen und den Familien der zu Betreuenden darstellen. Zwei Damen sind schwerbehindert (Rollstuhl) und sehen in diesem Dienst eine sinnvolle Aufgabe für sich. Die dritte Zentrale ist mit einer jungen Hausfrau und Mutter besetzt, die sehr kontaktfreudig ist und dafür ihren Dienst in unserer Kleiderkammer aufgegeben hat.
Folgende Punkte mußten besprochen werden:
Der Kollege vom Caritasverband und ich hatten nicht viel vorzubereiten und zu planen, weil unsere gewandten und interessierten Telefondamen schon an alles selbst gedacht hatten und von uns eigentlich nur Hilfestellung bei der Installation und Besprechung des Anrufbeantworters benötigten.
Es war schon bei der Planung der Aktion Pflegepartner unser Anliegen, nur so lange mit der Gruppe zu arbeiten, wie sie unsere Hilfe braucht. Nach Möglichkeit sollte sie eines Tages selbständig laufen und nur noch gelegentlich Hilfestellung von uns erhalten.
Nach den Einführungslehrgängen waren wir der Meinung, daß dieses Ziel mit dieser Gruppe durchaus zu erreichen ist.
Der letzte Einführungslehrgang fand am 29.09.90 statt. Da die Aktion bereits zwei Monate lief, wurde zuerst ausführlich über die ersten Einsätze gesprochen. Obwohl wir schon sehr umfangreich in Presse - Verteilung von Prospekten - Welle Mainfranken - für die Aktion geworben hatten, meldeten sich nur drei Leute und baten um einen Pflegepartner.
Diese Gespräche machten den Pflegepartnern Mut, die noch keinen Einsatz hatten, aber schon sehr darauf warteten. Es lag bei uns, den Pflegepartnern/innen zu vermitteln, daß derartige Aktionen viel Zeit benötigten, bis die Menschen bereit wären, sie anzunehmen.
Eine junge Frau in der Gruppe, die ihre Großmutter pflegt, sich aber dennoch als Pflegepartnerin zur Verfügung gestellt hat, konnte gut von ihren Schwierigkeiten berichten, Hilfe anzunehmen. Diese Gespräche waren hilfreich, denn einige Pflegepartner fühlten sich schon überflüssig. An diesem Nachmittag wurde außerdem beschlossen, sich regelmäßig alle sechs Wochen in einer Begleitgruppe zu treffen. Möglichst in der Zeit von 19.30 Uhr bis ca. 21.30 Uhr an wechselnden Orten. Eine Stunde würden sie gerne Erfahrungen austauschen und eine Stunde ein Thema behandeln oder Krankenpflegeübungen machen.
Folgende Themen wurden vorgeschlagen:
Das nächste Treffen fand am 22.11.90 statt. Es waren 36 Teilnehmer/innen gekommen. Die Telefondamen berichteten, daß vermehrt Anfragen von Einzelpersonen kommen, die sich Hilfen wie einkaufen, spazierengehen, vorlesen, erzählen, wünschen. Nach einer ausführlichen Diskussion stellten wir fest, daß hier mehr der MSHD bzw.
Nachbarschaftshilfe gefordert sind, oder Diakonie und Caritas müßten sich Gedanken machen, wie sie diese Anfragen lösen. Die "Aktion Pflegepartner" wolle ihren Dienst so leisten, wie sie ihn angeboten habe. Die meisten Anfragen und Einsätze wurden in Bad Neustadt registriert. In Mellrichstadt fand ein Einsatz statt, aber viele Anfragen gingen ein und in Bad Königshofen gab es nur Anfragen, aber keine Einsätze.
Bei der Einrichtung der Sozialstation haben wir vor zehn Jahren ähnliche Erfahrungen gemacht.
Am 16.01.91 nahmen 39 Pflegepartner/innen an der Begleitgruppe teil. Es bilden sich schon Fahrgemeinschaften und Beziehungen unter den Gruppenmitgliedern. Die Einsätze steigern sich langsam. Einige Pflegepartner haben schon mehrmals in einer Familie ihren Einsatz gehabt. Sie und auch die Familien fühlten sich damit wohl.
Zwei Frauen aus der Gruppe übernahmen die Regelung der Finanzen. Wer den Unkostenbeitrag abrechnet., bzw. Kilometergeld erhält, kommt eine halbe Stunde früher zur Begleitgruppe und regelt das mit unseren Finanzverwalterinnen. Die Jahresabrechnung wird mit ihnen vom Caritasverband vorgenommen. Es läuft völlig komplikationslos.
Am 27.02.91 hat eine Sozialstation die Begleitgruppe eingeladen und praktische Pflegeübungen durchgeführt. Zu dieser Begleitgruppe kamen nur 26 Teilnehmer/innen., weil einige Frauen Pflegekurse mitgemacht haben und die Krankenschwestern ja selbst Fachfrauen sind.
Eine Pflegepartnerin berichtet von ihrem besonders netten Dienst. Sie fahre jeden Tag das Baby einer kranken und behinderten Frau aus, was ihr sehr viel Freude bereite. Sie wurde schon laufend von Bekannten gefragt, ob das ihr Enkelkind sei. Es falle ihr sehr schwer, den Unkostenbeitrag dafür zu kassieren. Die Gruppe war der Meinung, daß sie das entscheiden solle, weil in diesem Fall keine Kosten entstehen.
In dem beschriebenen Zeitraum sind keine Pflegepartner mehr abgesprungen. Da wir weiterhin ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unserem Prospekt suchen und auch finden, ist die Gruppe mittlerweile auf 50 Pflegepartner angewachsen.
Das nächste Treffen findet am 10.04.91 statt. Wir wollen nach dem Erfahrungsaustausch das Thema behandeln:
Gespräche mit den Patienten - verbal - nonverbal
Diese Arbeit wird nie abgeschlossen sein, weil sich aus derartigen Aktionen immer wieder neue Aufgaben und Dienste entwickeln werden.
Das Diakonische Werk hat mit seiner Sozialstation vor zwei Monaten eine "Gesprächsgruppe für pflegende Angehörige" in Ostheim eingerichtet, weil nun Pflegepartner für die pflegenden Angehörigen zur Verfügung stehen. Der Caritasverband beabsichtigt in einem anderen Bereich des Landkreises eine ähnliche Gruppe anzubieten.
Außerdem werden wir uns (Diakonie, Caritas und evtl. auch Kirchengemeinden) gemeinsam Gedanken über die Einrichtung eines Nachbarschaftshilfekreises - Besuchsdienste - oder wie man es nennen mag; für alleinstehende und alleinlebende alte Menschen im häuslichen Bereich machen müssen. Durch die vielen Anfragen bei der "Aktion Pflegepartner/in" erleben wir, daß hier ein großer Bedarf besteht.
Anmerkung
Am 04.November 1992 wurde die "Aktion Pflegepartner/in" mit dem Sozialpreis der Bayerischen Landesstiftung in München ausgezeichnet. Wir erhielten eine Urkunde und DM 20.000,-. An der Preisverleihung hat die ganze Gruppe teilgenommen.
Dadurch ist die "Aktion Pflegepartner/in" bekannt geworden und wir erhalten laufend Anfragen von Trägern, die das Projekt nachmachen wollen.
Das ZDF hat bei uns einen Film gedreht, der vom Diakonischen Werk gekauft wurde und unter der Nr. VH 346-03 bei der
Medienzentrale Bayern Hummelsteiner Weg 100
90459 Nürnberg
Tel. 0911/43042-215 + 216
Telefax 0911/4304-214
ausgeliehen werden kann.
Anfang dieses Jahres hat sich die "Aktion Pflegepartner/in" verselbständigt. Es wurde eine Gruppensprecherin und drei Vertreter gewählt, die die Arbeit selbständig organisieren und verwalten.
Wir Mitarbeiter der Wohlfahrtsverbände werden nur noch dort tätig, wo die Gruppe unsere Hilfe braucht, z.B. Bei den Treffen der Begleitgruppe, Fortbildungsveranataltungen und Vertretung der Gruppe bei Behörden und anderen Verbänden.
Bad Neustadt, 01.09.1994