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Warum die Frühdiagnose
so wichtig ist - rechtzeitig für eine gründliche Diagnose sorgen!

von Dr. Joachim Schulz
Neurologische Klinik der Charité

Tonbandprotokoll erstellt von Simone Stridde, überarbeitet von Jochen Wagner

Ich freue mich, dass Sie so zahlreich gekommen sind heute morgen! Ich denke, dass diese Veranstaltung einen wesentlichen Teil dazu beitragen kann, einen Teil zumindest der Unaufgeklärtheit in der Bevölkerung, vielleicht auch bei den Hausärzten, aufzulösen. Es gibt Zahlen aus dem letzten Jahr, aus den USA allerdings, die sagen, dass bei 50 Prozent der Patienten mit einer beginnenden Demenz diese von den Angehörigen nicht als solche wahrgenommen wird. Von der Hälfte, die dann wahrgenommen wird, leitet wiederum bei der Hälfte, der Hausarzt bzw. Neurologe keine weitere Diagnostik ein. Und zwar mit der Begründung, es sei halt das Alter und da sei es normal, vergesslich zu werden.

Ich möchte in der nächsten halben Stunde ein bisschen dazu beitragen, dass Sie verstehen, warum dies nicht der Fall ist und warum es wichtig ist, eine Diagnose zu erstellen, wenn möglich eine Frühdiagnose. Wobei man sich über den Begriff "Früh", glaube ich, noch mal gesondert unterhalten könnte oder müsste.

1. Demenzdiagnostik

- Warum

- Wann

- Wie

2. Frühdiagnostik der Alzheimer-Krankheit

- Rationale

- Methoden Aussagekraft

- Probleme


Ich habe meinen Vortrag in zwei Teile gegliedert:

Der erste Teil beschäftigt sich mit der normalen Diagnostik / Routinediagnostik bei Demenzerkrankungen, wozu die Alzheimererkrankung ja zählt.

Der zweite Teil geht in Richtung Frühdiagnostik, wobei Frühdiagnostik im Sinne von Diagnostik bei Patienten gemeint ist, die noch nicht dement sind - das heißt, allenfalls milde Gedächtnisstörungen haben. Dieser Teil beschränkt sich momentan noch auf Forschungsergebnisse und ist noch nicht in den klinischen Routinealltag eingekehrt. Aber ich denke, dass es in den nächsten Jahren soweit kommen wird, dass man eine noch frühere Diagnose stellen kann. Warum ist eine Diagnostik überhaupt wichtig, wann kann sie erfolgen und wie sie erfolgen sollte, im Rahmen von Gedächtnissprechstunden zum Beispiel. Abschließend sage ich dann noch etwas über Forschungsergebnisse zur Frühdiagnostik.

1. Demenzdiagnostik

Ich denke, ich muss an dieser Stelle erst noch mal kurz definieren, was eine Demenzerkrankung ist, wozu, die Alzheimer-Erkrankung gehört, die regelmäßig mit Gedächtnissymptomen beginnt, aber in einer Demenz endet.

ICD-10 Kriterien der Demenz

  1. Abnahme des Gedächtnisses
  2. Abnahme anderer kognitiver Fähigkeiten
  3. Klares Bewusstsein
  4. Störung der Affektkontrolle, des Antriebs oder des Sozialverhaltens
  5. Seit mindestens sechs Monaten bestehend
  6. Beeinträchtigung des täglichen Lebens


Demenzerkrankungen gibt es sehr viele, und es ist daher wichtig, die einzelnen zu unterscheiden. Die internationale Definition beruft sich darauf, dass Gedächtnisstörungen sowie weitere kognitive Störungen auftreten bei einem klaren, wachen Patenten. Betroffen sein sollten Affekt, Antrieb und Sozialverhalten. Diese Störung sollte über mindestens sechs Monate bestehen und so ausgeprägt sein, dass sie das tägliche Leben beeinträchtigt.

Alzheimer: Klinischer Verlauf (Reisberg 1987)

Schweregrad

Stadium

Klinik

leicht

1

2

3

4

Unauffällig

Subjektive Gedächtnisstörungen

Leistungsdefizit bei anspruchsvoller Arbeit

Hilfe nötig für komplexe Aufgaben

mittel

5

Hilfe nötig bei der Wahl der Kleidung

mittelschwer

6

Hilfe nötig beim

  1. Ankleiden

  2. Baden

  3. Toilettengang

  4. Harninkontinenz

  5. Stuhlinkontinenz

schwer

7

  1. Wortschatz auf 6 Wörter reduziert
  2. Wortschatz auf 1 Wort reduziert
  3. Fortbewegung unmöglich
  4. Sitzen unmöglich
  5. Lächeln unmöglich
  6. Kopf halten unmöglich


Daten der Berliner Altersstudie (die hier am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und an der Psychiatrischen Klinik der FU in der Eschenallee erstellt wurden) zeigen den altersabhängigen Verlauf zwischen 70 und 90 Jahren der Inzidenz von Demenzerkrankungen:

Bei 70- bis 74-jährigen ist der Prozentsatz bei 0 bzw. 1 - 2 %,

bei 95-jährigen und älteren Menschen, die in Berlin leben, ist dieser Prozentsatz bei 40 bzw. zwischen 30 und 40 % zu sehen, je nachdem, welches Demenzstadium man wertet.

Selbst wenn man die leicht dementen Menschen mit einschließt, liegt der Anteil von über 95jährigen, die gesund sind, bei ca. 50 %. Es ist eben nicht zwangsläufig so, dass jeder, der alt wird, dement wird, sondern es handelt sich um eine Erkrankung.

Die Französin Jeanne Calman erfreute sich zu ihrem 116ten Geburtstag bei bester Gesundheit bei einem Glas Sherry. Die Dame ist 121 Jahre alt geworden. Das ist sicher die Ausnahme, aber es ist ein Beispiel dafür, dass es eben nicht zwangsläufig dazu kommt, vergesslich zu werden.

Häufigkeit reversibler Demenzen untereinander (N=158; Weytingh et al.,1995)

Depression 

Raumforderung 

Medikamente 

Endokrin 

Metabolisch 

Alkohol 

B12-Martgel 

lnfektion 

andere 

24%

22%

19%

7%

6%

5%

3%

2%

12%


Diese Tabelle zeigt die Ergebnisse verschiedener Studien, die angeben, wie viel Prozent der Demenzerkrankten an einer Form der Demenz leiden, die wir als reversibel, d.h., als behandelbar oder als heilbar ansehen. Und diese Zahlen schwanken zwischen 5 und 23 %, im Schnitt sind es ungefähr 16 %, d.h. 16 % der Demenzerkrankten leiden an einer sehr gut behandelbaren Form der Demenz.

Ich möchte Ihnen jetzt anhand einiger Beispiele erläutern, welche Formen wir darunter verstehen:

  • Bei einem Patienten, der an einer Neurosyphilis erkrankt ist, erkennt man als neurologisches Symptom, eine Augenmobilitätsstörung. Das war vor 100 Jahren die häufigste Ursache für eine Demenz, mittlerweile ist das fast ausgestorben, aber der Ausschluss einer solchen Krankheit gehört zum Routineprogramm der Demenzdiagnostik. Sie wäre bei Auftreten sehr gut mit einem Antibiotikum behandelbar.

  • Bei einer Patientin wurde wegen fraglicher Demenz eine Schilddrüsen-Szintigraphie aufgenommen. Dabei bestätigte sich, dass sie eine starke Schilddrüsenüberfunktion hatte. Die weitere Diagnostik hat dies bestätigt und sie konnte mit einer Schilddrüsensupprimierung sehr gut behandelt werden und die Symptome waren sehr, sehr gut rückläufig.

  • Eine weitere Patientin, wurde wegen beginnender Gedächtnisstörungen, leichten Antriebsstörungen, auch depressiver Stimmungslage in die Klinik aufgenommen. Es war eine typische Patientin, bei der man ohne Diagnostik sagen würde, na ja, es ist eine beginnende Demenzerkrankung. Mit bildgebenden Verfahren wie der Magnetresonanztomographie (MRT), stellte sich ein sehr großer Hirntumor heraus, der dann auch im Weiteren operativ behandelt wurde.

  • Und als letztes Beispiel möchte ich Ihnen das Blutbild eines Patienten mit einem Vitamin B 12 Mangel vor Augen führen. Vitamin B 12 Mangel macht sowohl Blutbildveränderungen, was man unterm Mikroskop daran sehen kann, dass die roten Blutkörperchen vergrößert sind. Außerdem verursacht Vitamin B 12 Mangel Störungen der Beinnerven und auch eine Demenzerkrankung, die bei Behandlung des Vitamin B 12 Mangels durch Vitamin B 12 Gabe, in Form von Tabletten oder Spritzen, sehr gut behandelbar ist.

Wozu Demenzdiagnostik

  1. 50 % der über 95-Jährigen haben keine Demenz oder kognitive Defizite, die darauf hindeuten
    (Reischies '97)
  2. Diagnostik ist Voraussetzung, um die ca. 15 % der Fälle mit behandelbaren Demenzen zu erkennen
  3. Eine Alzheimer-Diagnose erlaubt

dem Patienten

- seine Defizite besser zu verstehen

- seine Zukunft besser zu planen

- Gefahren zu vermeiden

der Familie

- den Patienten besser zu verstehen

- die Zukunft besser zu planen

- optimale Hilfe zu organisieren

dem Arzt

- einen optimalen Behandlungsplan zu erstellen

- Begleiterkrankungen besser zu behandeln

- präventive Maßnahmen


Ich habe mal zusammengefasst, warum eine Diagnose oder Frühdiagnose wichtig ist bei Patienten, die unter Gedächtnisstörungen bzw. unter einer beginnenden Demenz leiden.

Ca. 50 % der über 95jährigen sind so gesund, dass wir sagen können, dass eine Demenzerkrankung eine wirkliche Erkrankung ist und nicht nur eine bloße Folge des Alters.

Ca. 15 % der Fälle von Demenzerkrankungen sind behandelbar oder sogar heilbar.

Selbst wenn eine Alzheimer-Diagnose gestellt wird, gibt es mehrere Punkte, warum diese wichtig ist:

Damit der Patienten überhaupt eine Chance hat,
seine Defizite zu verstehen, und auch
seine Zukunft zu planen und
Gefahren, wie zum Beispiel beim Autofahren, zu vermeiden.

Für die Familie ist die Diagnose wichtig,
um die Probleme des Patienten zu verstehen,
auch um die Zukunft zu planen mit dem Patienten gemeinsam und
um optimale Hilfe zu organisieren. Und

für den Arzt,
um ein Behandlungsschema zu erstellen, Begleiterkrankungen, die häufig bei Demenzerkrankten auftreten, besser zu behandeln,
und um künftig auch präventive Maßnahmen ergreifen zu können.

Erstsymptome der Demenz

- Gedächtnisprobleme

- Orientierungsstörungen

- Veränderung von Antrieb/Stimmung

- Lese/Schreibstörungen

- Sprachprobleme

- Persönlichkeits-/Verhaltensänderungen

- Halluzinationen/Wahn

- Motorische Störungen

- Schwierigkeiten bei komplexen Aufgaben, Urteilsvermögen oder logischem Denken


Mit welchen Symptomen kommen die Patienten in die Gedächtnissprechstunde? Oder: Welches sind die Erstsymptome, die Sie auch als Angehörige, aufschrecken sollten? Das sind vor allem bei Alzheimer-Patienten Gedächtnisprobleme. Als nächstes können dann Orientierungsprobleme auftreten. Die Probleme die dann auftreten, ziehen sich quer durch die Neurologie und Psychiatrie:

Persönlichkeits-, Verhaltensstörungen,

Veränderung von Antriebsstimmungen,

Halluzination oder Wahn,

Lese- oder Schreibstörungen sowie

motorische Störungen, wie sie auch beim Schlaganfall auftreten könnten,

Schwierigkeiten bei komplexen Aufgaben im Haushalt oder im Beruf,

Störungen des Urteilsvermögens oder des logischen Denkens.

All dies sind mögliche Frühsymptome bei Demenzerkrankten, die dazu führen sollten, dass eine ärztliche Vorstellung erfolgt.

Subjektive Gedächtnisprobleme bei 65-85-jährigen Nicht-Dementen

(Schmend et al.,1996; N=9028)

40% Allg. Gedächtnisprobleme

39% Wortfindungsstörungen

23% Denken langsamer

13% Vergessen Namen von Verwandten und Freunden

4% Verlaufen sich in der Nachbarschaft

40% Verlegen Dinge

38% Schreiben Zettel

14% Als vergesslich eingeschätzt

8% Konzentrationsprobleme


Dies sind Zahlen, die bei 65- bis 85-jährigen Gesunden erhoben wurden. Die Frage war, welche Art von Gedächtnisproblemen sie haben:

40% gaben an, allgemein Gedächtnisprobleme zu haben oder Dinge zu verlegen oder Wortfindungsstörungen zu haben oder sich Zettel schreiben zu müssen.

Ein Viertel gab an, langsamer zu denken, und

13 oder 14% gaben an, vergesslich, zu gelten in der Familie oder bei Freunden, sich Namen von Verwandten oder guten Freunden nicht merken zu können, und

8% hatten Konzentrationsprobleme,

4% verliefen sich schon in der Nachbarschaft.

Prognose von Gedächtnisproblemen

Referenz Kohorte  N Inzidenz

Schmand '96

Bowen '97

 

Petersen '97

Tiemey '96

Fratiglioni '96

Subj.GS

Subj. GS

Obj. GS

LKB

LKB

Kommune

203

198

21

75

I20

400

2,7%

4,5%

12%

10-15%

12,5%

1-2%

AD

D

D

AD

AD

D


Dies sind Zahlen aus verschiedenen Studien von unterschiedlichen Patientengruppen. Die erste Gruppe ist die Gruppe, die subjektiv, also sich selbst betrachtend, unter Gedächtnisstörungen leidet. Die Chance für diese Patienten, im nächsten Jahr an einer Demenz zu erkranken, war 2,7 bzw. 4,5%. Bei Patienten, bei denen sich diese Gedächtnisstörungen mit neuropsychologischen Tests objektivieren ließen, war die Zahl der Patienten, die an Demenz erkrankten, pro Jahr 12%, also schon wesentlich höher. Und die Patienten, die eine so genannte leichte kognitive Beeinträchtigung hatten, d.h. nicht nur Gedächtnisstörungen, sondern auch leichte Sprachstörungen, Orientierungsstörungen usw., waren die Zahlen vergleichbar hoch. Zum Vergleich: Bei der Normalbevölkerung im gleichen Alter von durchschnittlich 75 Jahren, war die Rate nur 1-2%. D.h., Gedächtnisstörungen, ob jetzt subjektiv oder objektiv, sind ein klares Alarmsignal, die dazu führen sollten, zum Arzt zu gehen.

Welche Gedächtnisprobleme sind ernst zu nehmen

Selbst:

 

 

Verschlechterung gegenüber früher

Interferieren mit der Arbeit oder dem täglichen Leben

Klares Bewusstsein

Vorhandene Konzentration/Motivation

Familie: Auch von anderen zu beobachten
Arzt:  Neuropsychologisch objektivierbar


Welche Art von Gedächtnisstörungen sind dabei besonders wichtig? Der subjektive Eindruck ist sicherlich der unsicherste. Wobei gilt: Wenn die Gedächtnisstörungen so ausgeprägt sind, dass sie mit der Arbeit oder im täglichen Leben interferieren, dann sollten sie schon ernst genommen werden. Wenn allerdings jemand sagt: "Ich habe mal vor einem halben Jahr vergessen den Schlüssel aus dem Briefkasten zu ziehen, aber das ist seither nie mehr passiert.", dann ist das im Rahmen dessen, was jedem passieren könnte. Aber wenn es sich um eine ausgeprägte Störung handelt, die mit dem normalen Leben interferiert und die zunehmend ist, und vor allem, wenn sie von anderen, sei es jetzt Freunde oder Bekannte oder Familienmitglieder, wahrgenommen werden, dann ist das auf jeden Fall ein Grund zur Besorgnis, vor allem dann, wenn es im Rahmen von neuropsychologischen Testungen auch noch objektiviert werden kann.

Routineprogramm der Demenzdiagnostik

- Anamnese

- Fremdanamnese

- Neuropsychologische Testung

- Körperliche Untersuchung

- Blut-Nervenwasserentnahme

- Bildgebende Darstellung des Gehirns (CT)

- Blutdruck, EKG, Thoraxröntgen


Was machen wir in der Gedächtnissprechstunde oder was würde der Neurologe oder Psychiater machen? Anamnese, Fremdanamnese, das heißt, eine ausführliche Krankengeschichte, die auch von der Begleitperson auch noch einmal bestätigt werden sollte. Das ist ganz besonders wichtig bei Patienten mit Gedächtnisproblemen, weil die eben oft nicht in der Lage sind, diese Probleme zu schildern und dazu neigen, diese zu bagatellisieren. Dazu gehört ganz klar eine neuropsychologische Testung und eine körperliche Untersuchung. Was die Diagnostik betrifft, machen wir eine umfangreiche Blutuntersuchung und bieten dem Patienten auch eine Nervenwasserentnahme an. Wir machen eine bildgebende Diagnostik, die sich im Normalfall auf eine Computertomographie beschränkt. Und das ist Standard: Blutdruck, EKG und Röntgenthorax.

Klinische Diagnose der Alzheimer-Demenz

  1. Schleichender Beginn mit langsamer Verschlechterung
  2. Keine Hinweise auf andere Erkrankungen, die eine Demenz verursachen können
  3. Fehlende fokalneurologische Symptomatik


Wann würde man jetzt eine Alzheimer-Diagnose stellen können? Es müssen die Kriterien einer Demenz erfüllt sein:

Es muss sich um eine schleichend zunehmende Erkrankung handeln.

Es sollten alle anderen Ursachen für eine Demenz ausgeschlossen werden.

Und es sollten zumindest im Frühstadium, keine weiteren neurologischen Symptome, auftreten - das ist genau der problematische Punkt, warum man eine Diagnostik machen muss.

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es bei Demenzerkrankungen? Zu Beginn ist der Patient noch gesund. Ab einem bestimmten Zeitpunkt lässt seine Leistungsfähigkeit nach und irgendwann wird dann die Diagnose Demenz gestellt. Dann gibt es grundsätzlich, drei Therapiemöglichkeiten:

Entweder es ist eine gut behandelbare Form, wo die Symptome rückläufig sind,

oder es handelt sich um eine Erkrankung, wo zumindest Risikofaktoren, z.B. Durchblutungsstörungen in der Zukunft ausgeschlossen oder verhindert werden können, dann bleibt der Verlauf zumindest hypothetisch stabil,

oder es handelt sich um eine zwar behandelbare Ursache, aber um keine heilbare. Das ist jetzt, bei der Alzheimer-Demenz mittlerweile der Fall, weil es Antidementiva gibt, die wir als wirksam betrachten, da wird im nächsten Vortrag noch was dazu gesagt werden,

und es gibt auch noch Krankheitsbilder, die sicherlich behandelbar sind, z.B. die HIV-Demenz - aber das sprengt jetzt den Rahmen.

2. Frühdiagnostik der Alzheimer-Krankheit

Jetzt möchte ich noch überleiten zur Frühdiagnostik, wobei ich an der Stelle Frühdiagnostik verstehe als Diagnostik, die eingeleitet wird, bevor der Patient demenzerkrankt ist, d.h. nur milde Gedächtnisstörungen hat oder sogar noch früher. Die Vorstellung, das dies überhaupt möglich ist, beruht darauf, dass man denkt, dass die Ursachen oder der Beginn der Alzheimer Krankheit sehr viel früher gelegt wird als der Beginn der Demenz, der ja ein schon klinisch relativ weit fortgeschrittenes Stadium angibt. Wenn man davon ausgeht, dass die Alzheimer Krankheit Jahre oder Jahrzehnte vor Beginn der ersten Symptome zum Ausbruch kommt, hat man sehr gute Möglichkeit, präventive Maßnahmen auch einzuleiten, die momentan allerdings noch nicht vorhanden sind. Aber für die Zukunft wird das sehr wichtig sein.

Man kann sich verschiedene Möglichkeiten vorstellen, und ich will nur ganz kurz zusammenfassen, welche Möglichkeiten es gibt:

Man kann die genetische Diagnostik machen,

man kann z. Zt. auch bestimmte Marker im Nervenwasser bestimmen,

man kann eine spezialisiertere Form der Bildgebung machen, und

man kann mit spezifischen neuropsychologischen Verfahren auch eine sehr frühe Diagnose stellen, zumindest so früh, dass der Patient an Gedächtnisstörungen nur leidet und noch nicht an Demenz erkrankt ist.

Genetische Diagnostik der familiären Alzheimer-Krankheit

Verdacht:

- Früher Beginn der Erkrankung (vor 60. LJ.)

- Mehrere Familienmitglieder früh betroffen

Chance:

- 0.02-0.05 % der 30-60-Jdhrigen demenzkrank

- Weltweit 120 Familien mit fAK

- 70 % d. F. durch derzeit bekanntes Gen

- Bei Vorliegen der Mutation fast I00% Pene Vanz

Konsequenz:

- Testung aussagekräftig und jederzeit möglich

- Erkrankungsalter grob voraussagbar

- Begleitend genetische Beratung erforderlich

- Derzeit keine therapeutische Konsequenz


Zur genetischen Diagnostik möchte ich sagen, dass es im Allgemeinen überschätzt wird, welche Möglichkeiten diese Form der sehr präzisen Diagnostik bietet. Es ist sehr wichtig zu sagen, welche Patientengruppe dafür überhaupt in Frage kommt. Das sind nämlich Patienten, die sehr früh erkranken. Man könnte so eine Grenze beim 60. Lebensjahr ziehen, und es sollten mehrere Familienmitglieder auch in einem sehr frühen Alter betroffen sein. Nur dann ist die Gendiagnostik überhaupt sinnvoll.

Man kann ungefähr 120 Familien weltweit bisher benennen, die an einer solchen Alzheimerform erkrankt sind und man kann bei zwei Drittel der Patienten eine genaue Diagnose stellen, weil die entsprechenden Gene dafür bekannt sind. Und wenn diese Mutation in dem entsprechenden Gen dann wirklich vorhanden ist, kann man mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sagen, dass der Patient auch erkrankt.

Die Konsequenz ist, dass diese Testung, die sehr, sehr aussagekräftig ist, dass sogar das Erkrankungsalter voraussagbar ist, dass aber auf jeden Fall vorher und nachher eine genetische Beratung erforderlich ist, zumal es derzeit keine therapeutische Konsequenz hat.

Die zweite Möglichkeit, die ich ansprach, ist die Untersuchung des Nervenwassers. Da gibt es bisher - auf Forschungsebene - Daten, die bestimmte Proteine im Nervenwasser nachweisen und mit einer relativ hohen Treffsicherheit eine Diagnose bei Alzheimerpatienten stellen können. Das ist hier ausgedrückt mit "Sensitivität und Spezifität". Diese Daten wurden noch nicht bei Patienten in einem frühen Stadium erhoben, sondern bei Erkrankten, wo wir ohnehin mit einer klinischen Diagnose schon sehr weit kommen. Aber in Zukunft wird das sicher untersucht werden, wie es bei Patienten ist, die nur ein Risiko haben zu erkranken bzw. mit sehr milden Symptomen.

Die zweite Form ist die Bildgebung. Mit der Kernspintomographie lässt sich z.B. ein bestimmtes Hirnareal besonders zur Geltung bringen, das wir Hippocampus nennen. Es ist sehr wichtig für die Gedächtnisfunktion. Man glaubt, dass die ersten Veränderungen im Gehirn, die irgendwie messbar sind, auch mit Bildgebung zu sehen sind. Im Vergleich zu einem normalen Patienten kann man bei einem Patienten, der alzheimererkrank ist, sehen, dass die Größe des Hippocampus sehr viel kleiner geworden ist, d.h. atrophiert. Man könnte anhand dieser Feststellung zwar noch keine Diagnose stellen, aber sie stützt sicherlich die Diagnose zu diesem Zeitpunkt.

Abschließend möchte ich noch aufzeigen, welche Probleme eine sehr, sehr frühe Diagnostik mit sich bringen kann.

die genetische Diagnostik: Sie ist theoretisch bereits beim ungeborenen Leben möglich, was große ethische Probleme mit sich bringt.

Die Aufmerksamkeit gegenüber den Frühsymptomen ist immer noch zu niedrig. Das gilt zwar leider auch bei den späteren, aber die Frühsymptome sind vor allem noch schwieriger wahrzunehmen, als die späteren.

Die Verfahren sind noch im Entwicklungsstadium und ihre Treffsicherheit ist sicher noch nicht hundert Prozent.

Die Verarbeitung des Wissens um eine Alzheimer-Diagnose in einem so frühen Stadium, in dem der Patient sich der Folgen noch vollkommen bewusst ist, ist sicherlich problematisch, vor allem weil derzeit keine Präventionsmöglichkeiten vorhanden sind.

Diagnosestandards der Alzheimer-Krankheit

Bronze: Klinische Diagnose und Ausschlussdiagnostik
Silber: Biomarker
Gold: Neuropathologische Diagnose


Zum Schuss möchte ich ganz kategorisch die derzeitigen Diagnosestandards klassifizieren:

Eigenschaften eines optimalen Biomarkers der Alzheimer-Krankheit
(RNRRIAA-NIA WG Konsens 1998)

  1. Weist ein pathologisches Hauptmerkmal der AK nach
  2. Validiert bei pathologisch gesicherter AK
  3. Präzise (Sensibel, spezifisch und frühzeitig)
  4. Reliabel
  5. Nicht-invasiv
  6. Einfach durchzuführen
  7. Kostengünstig


Der Bronze- aber Routinestandard ist die klinische Diagnose mit einer umfangreichen Ausschlussdiagnostik.
Der Silberstandard im Entwicklungsstadium sind Biomarker oder bildgebende Verfahren.
Der Goldstandard ist die neuropathologische Diagnose post mortem.


Dr. Joachim Schulz
Neurologische Klinik der Charité
Gedächtnissprechstunde
Luisenstr. 11-13
10117 Berlin
Tel. 030-2802-3280


 

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