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Dr. Annelies Furtmayr-Schuh, Gräfelfing GrundlagenIch habe zwei gute Nachrichten:
Die Alzheimer Krankheit geht uns alle an. Sie ist keine Krankheit von Randgruppen. Sie vollbringt ihr Zerstörungswerk in den Gehirnen geistig hochstehender Persönlichkeiten genauso wie im Denkorgan intellektuell weniger anspruchsvoller Menschen. Keiner von uns weiß, ob er oder sie nicht in ein paar Jahren verwirrt im Nachthemd durch die Straße irren wird. Statistisch gesehen hat jeder Fünfte von uns bereits Ablagerungen im Gehirn, wie sie für die Alzheimer-Krankheit typisch sind. Von den ersten Ablagerungen in seinem Denkorgan bis zum Ausbruch der Krankheit vergehen rund 30 Jahre. In dieser Zeit verläuft der Zerstörungsprozess im Gehirn stumm und unbemerkt. Diese 30 Jahre sollten wir alle bewusst nützen, damit wir die Alzheimer-Krankheit vermeiden. Darüber mehr im zweiten Teil. Was ist die Alzheimer-Krankheit?Wir wissen es nicht. Obwohl weltweit rund 3000 Wissenschaftler die Alzheimer-Krankheit erforschen und kaum eine andere Krankheit molekular, zellbiologisch und genetisch so gut aufgeklärt ist wie die der Alzheimer-Krankheit, verstehen wir sie noch immer nicht. Durch irgend eine Störung in der Chemie des Gehirns, kommt es dazu, dass ein kleines Eiweißmolekül, das Amyloid, nicht mehr ordnungsgemäß entsorgt wird und sich ansammelt. Amyloid entsteht ständig Gehirn. Es wird aus einem größeren Molekül, dem APP herausgeschnitten, erfüllt seine Aufgabe und wird entsorgt. Das APP ist ein Molekül, das Reparaturarbeiten in den Nervenzellen erledigt und am Vorgang des Lernens und des Vergessens beteiligt ist. Wenn keine Nachricht über die Synapse gesendet werden soll, dann durchdringt das APP Molekül durch die Synapsenmembran und blockiert damit den Nachrichtenfluss. Soll aber eine Nachricht weitergeleitet werden, dann wird aus dem APP Molekül das Amyloid herausgeschnitten. Dadurch kann das APP nicht mehr durch die Synapse hindurchschlüpfen, statt dessen fließt die Nachricht über den synaptischen Spalt zur nächsten Nervenzelle. Normalerweise verläuft dieser Vorgang völlig problemlos ab: Das Amyloid wird herausgeschnitten und anschließend entsorgt. Aus noch nicht erforschten Gründen hat sich in den Nervenzellen Alzheimer-kranker Gehirne etwas dahingehend verändert, dass die Entsorgung des Amyloid behindert wird. Wird aber das Amyloid nicht vorschriftsmäßig entsorgt, so sammelt es sich an und setzt sich ab wie Quark in saurer Milch und versteinert schließlich mit den Jahren. Die Veränderung im Gehirn, die dazu führt, dass das Amyloid nicht mehr entsorgt wird, das ist die Ursache der Alzheimer-Krankheit. Aber die ist noch immer ein großes Rätsel. Die versteinerten Ablagerungen, die im späteren Verlauf der Krankheit die Nervenzellen im Gehirn zerstören, sind nicht die Krankheitsursache. Das sind lediglich Grabsteine, die auf einen langen Zerstörungsprozess hinweisen. Wenn das lösliche Amyloid im Gehirnwasser und in der Rückenmarksflüssigkeit auftritt, gilt das als das früheste Anzeichen der Alzheimer-Krankheit. Bei Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium enthält das Gehirnwasser kein lösliches Amyloid mehr, denn das hat sich dann wie Quark im Gehirn abgesetzt. Die Forscher entdeckten nun, dass nicht nur Menschen mit leichter Gedächtnisstörung - also in der Frühphase der Alzheimer-Krankheit - Amyloid im Gehirnwasser aufweisen, sondern in gleichem Umfang älteren Menschen mit Depression. Das sollte uns aufhorchen lassen, doch darüber später mehr, wenn Sie erfahren werden, wie wir uns vor der Alzheimer- Krankheit schützen können.
Das sind die beiden Fragen, die uns heute interessieren. Heute nach 15 Jahren Alzheimerforschung kann ich Ihnen sagen: Ja, es gibt Medikamente und zumindest einen vielversprechenden Therapienansatz. Teil 1: Medikamente für Alzheimer-Patienten, die viel an Lebensqualität zurückgeben könnenSeit Mitte der 90er Jahre gibt es Wirkstoffe, die die Symptome der Anfangsphase der Krankheit stark abmildern und dadurch die Endphase im Pflegeheim verkürzen. Die wichtigsten und am besten verträglichsten Wirkstoffe sind Donepezil und Rivastigmin, die unter dem Namen Aricept® und Exelon® in der Apotheke erhältlich sind. Diese beiden Medikamente schützen den Nervenüberträgerstoff Acetylcholin. (Hinweis: Seit 2002 ist auch das Medikament Axura® zur Behandlung der mittleren bis schweren Alzheimer-Demenz zugelassen.) Nervenüberträgerstoffe benötigt jede Nervenzelle zur Weitergabe von Information. Die werden von der Nervenzelle gebildet und in kleinen Bläschen an den Synapsen - den Nervenkontakten - gespeichert. Bei der Weitergabe einer Nachricht springen diese Überträgermoleküle über den synaptische Spalt und werden von Rezeptoren der nächsten Nervenzelle empfangen. So funktioniert die Nachrichtenübermittlung in unserem Gehirn. Bei der Alzheimer-Krankheit werden die Synapsen - die Kontakte zwischen den Nervenzellen - zerstört. Die Nervenzellen selbst gehen erst viel später zugrunde. Das menschliche Gehirn besitzt 30 bis 100 Milliarden Nervenzellen. Jede Nervenzelle steht mit bis zu 10.000 Synapsen in Kontakt mit anderen Nervenzellen. Die Zahl der Nervenzellverbindungen hat damit 15 Nullen! Wenn 10 Prozent der Synapsen zerstört sind, treten die ersten Symptome der Alzheimer-Krankheit auf. Anfangs sind die Synapsen aber noch nicht zerstört, sondern nur angeschlagen. Sie sind leer und schlaff, weil keine Nachrichten mehr ankommen. Und der Nervenüberträgerstoff Acetylcholin wird von dem Enzym Cholin-Esterase ungewöhnlich rasch abgebaut. Diesen Abbau bremsen die Medikamente Aricept® und Exelon®, die deshalb auch Cholin-Esterase-Hemmer genannt werden. Dadurch schwellen die Nervenzellen wieder an. Die Forscher haben experimentell festgestellt, dass durch die Cholin-Esterase-Hemmer die Energiestationen der Zellen, die Mitochondrien, zunehmen und die Synapsen aktiviert werden. Die Aktivierung der Synapsen durch die Medikamente kann dazu führen, dass Alzheimer-Patienten im Anfangsstadium wieder normal sprechen können, telefonieren können, Zeitung lesen können. Viele Patienten sind aufmerksamer, können sich wieder konzentrieren, laufen nicht mehr unkontrolliert weg, etwa weil sie einen inzwischen verstorbenen Angehörigen suchen. Auch Niedergeschlagenheit und Antriebsschwäche können verschwinden, ebenso die Neigung sich aus Verzweiflung umzubringen. Bei vielen Betroffenen verliert sich auch die Aggression. Besonders Männer reagieren oft aggressiv, wenn sie im Verlauf der Krankheit erleben müssen, dass sie nichts mehr zu sagen haben. Das bedeutet eine große Zunahme an Lebensqualität im Alltag. Das führt dazu, dass die Heimeinweisung des Patienten sehr viel später erfolgt und damit der Heimaufenthalt kürzer ist. Die Lebensspanne des Alzheimer-Kranken wird dadurch nicht verlängert. Er ist aber länger aktiv und ansprechbar. Auf Dreiviertel aller Alzheimer-Patienten passen diese Mittel; diese vertragen sie auch gut. Es kann zwar zu leichten Verdauungsstörungen kommen, doch durch einen veränderten Einnahmerhythmus lässt sich das meist vermeiden. Zum Beispiel lässt sich die Tagesdosis halbieren und ein Teil morgens der andere abends einnehmen. Manchen Patienten genügt überhaupt schon die halbe Tagesdosis. Andere Medikamente, wie Antidepressiva oder Beruhigungsmittel, können überflüssig werden. Die ersten Alzheimer-Patienten in Deutschland, die diese Medikamente bekommen, nehmen sie jetzt bereits mehr als vier Jahre ein. Eine Patientin in München, die bereits sehr hinfällig war und nicht mehr telefonieren konnte, hat ihren Humor sowie ihr schlagfertiges Leipziger Mundwerk wiedergefunden. Und ihre Augen bekamen wieder Glanz. Wie Studien in den Vereinigten Staaten zeigten, wo die Cholin-Esterase-Hemmer schon länger eingenommen werden, nimmt nicht nur Lebensqualität in der Anfangsphase der Alzheimer-Krankheit zu, sondern bis zum Ende. Pflegende berichten, dass die Patienten durch die Mittel selbständiger bleiben, aufmerksamer und konzentrierter sind und dass sie die Pflege besser akzeptieren und seltener in Panik geraten. Die gewonnene Lebensqualität in der Anfangsphase der Krankheit führt aber nicht so weit, dass diese Menschen nun ihre letzten Dinge regeln würden, etwa ihr Haus überschreiben oder ein Testament machen. Diese klare Logik und Entscheidungsfähigkeit kommt nicht mehr zurück. Die Angehörigen können sie aber zu sachgerechten Entscheidungen führen, denn immerhin funktionieren noch 90 Prozent des Gehirns! Der Münchener Psychiater Alexander Kurz rät, wenn er seinen Alzheimer- Patienten die Mittel gibt: "Nützen Sie, was noch da ist. Konzentrieren Sie sich auf das, was Sie noch können. Wenn Ihnen das Reisen Spaß macht, dann reisen Sie. Wenn Ihnen die Oper Spaß macht, dann gehen Sie in die Oper. Wenn Sie ein Haus in Südfrankreich haben, fahren Sie in Ihr Haus und genießen sie dort das Leben. Aber machen Sie es jetzt." In den Vereinigten Staaten von Amerika werden die Cholin-Esterase-Hemmer jedem Alzheimer-Patienten angeboten. Man rät den Patienten: "Wenn sie Ihnen helfen, dann nehmen Sie sie. Und leben Sie, was raus geht!" Ganz anders hierzulande. Ein Gesundheitsökonom von der Charité hat eine Studie durchgeführt, bei der Hausärzte und Nervenärzte gefragt wurden, was sie bei Alzheimer-Demenz verschreiben. In mehr als der Hälfte aller Fälle mit leichter und mittelgradiger Alzheimer-Demenz waren das nicht Aricept® und Exelon®, sondern Nootropika (das sind Mittel, die den Gehirnstoffwechsel verbessern). Die werden für 1,6 Mrd. Mark im Jahr in Deutschland verschrieben, obwohl in den Vereinigten Staaten zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit gar nicht zugelassen sind, weil durch sie bei einer einmal eingetretenen Demenz kein nennenswerter Effekt mehr zu erwarten ist. Die Zurückhaltung in Deutschland liegt sicher nicht zuletzt in der Budgetregelung des deutschen Gesundheitswesens. Ein Arzt darf für einen Rentner pro Quartal nur für 60 Mark Medikamente verschreiben. Aricept® kostet pro Tag acht Mark. "Zahlen Sie es aus der eigenen Tasche", rät Deutschlands bedeutendster Alzheimer-Forscher Konrad Beyreuther, in dessen engstem Familienkreis die Krankheit ebenfalls ausgebrochen ist. "Ich denke, dass wird sich erst ändern, wenn auf der Frontseite der "Bildzeitung" sich ein Alzheimer-Patient darüber beklagt, dass ihm die Medikamente verweigert werden." Welche Medikamente zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit sind in den nächsten Jahren zu erwarten?Ein Medikament, auf das die Forscher große Hoffnung setzen, ist ein Cholesterin-Senker für das Gehirn. Ja, Sie haben richtig gehört, ein Cholesterin-Senker. Auch das Gehirn produziert Cholesterin, unabhängig vom übrigen Körper. Und es stellte sich heraus, dass jeder zweite Alzheimer Patient im Gehirn zu viel davon aufweist. Diese Menschen besitzen das Gen für das Apolipoprotein-E-4. Das Apolipoprotein lässt den Cholesterinspiegel in den Nervenzellen ansteigen. In der Gesamtbevölkerung ist das E4-Alel nur zu 15 Prozent vertreten. Das Zuviel an Cholesterin begünstigt die Ansammlung von Amyloid, das nicht mehr entsorgt wird. Nun hatte Deutschlands bekanntester Alzheimerforscher, Konrad Beyreuther von der Universität Heidelberg, eine grandiose Idee. Man könnte die bekannten Cholesterin-Senker, die Statine, die weltweit von vielen tausend Menschen eingenommen werden, so verändern, dass sie auch ins Gehirn gehen. Da es sich um gut eingeführte Medikamente handelt, könnte die zehnjährige Prüfphase, die ein Medikament vor der Marktzulassung durchlaufen muss, verkürzt werden. Damit stünde bald schon eine Alzheimertherapie zur Verfügung. In der Tat gelang es Beyreuther und seinen Mitarbeitern in Heidelberg bei Mäusen, denen das Apo-E-4-Gen des Menschen eingepflanzt worden war, das Cholesterin im Gehirn zu senken. Daraufhin lagerte sich im Gehirn der Mäuse kein Amyloid mehr ab. Die Forscher arbeiten nun fieberhaft daran, den Cholesterin-Senker so zu verwandeln, dass er ohne Nebenwirkungen auch ins Gehirn gelangen kann. Teil 2: Wie können wir uns vor der Alzheimer-Krankheit schützen?Trotz dieser vielversprechenden Forschungsansätze, von denen Sie nun gehört haben, weist uns Professor Beyreuther eindringlich darauf hin, selbst etwas zu tun, die Krankheit abzuwenden. Er erlebt gerade bei einem seiner nähesten Familienangehörigen den grausamen Abschied durch die Alzheimer-Krankheit, bei seiner Mutter.
Ja, und wir können wirklich sehr viel dazu beitragen. Die Alzheimer-Demenz ist kein Koffer, der auf unserem Kleiderschrank liegt und irgendwann plötzlich auf uns herabstürzt. Die Alzheimer-Krankheit ist eine Schwellenkrankheit.
Der Ausbruch der Alzheimer-Krankheit kann durch bestimmte Lebensumstände beeinflusst werden, sowohl im positiven wie im negativen Sinne. Das zeigen epidemiologische Studien, die in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren in vielen Ländern der westlichen Welt durchgeführt wurden. Die erste und aufschlussreichste dieser Studien ging unter der Bezeichnung "Nonnen-Studie" um die Welt. Bei der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse der Studie konnten die Forscher bereits 102 Lebensläufe auswerten und mit den Gehirnbefunden der Verstorbenen in Beziehung setzen. Die Schulschwestern waren im Alter zwischen 76 und 100 Jahren gestorben. Alle hatten ein College besucht, also eine höhere Schulbildung. Die Untersuchung ergab, dass zwar bei etlichen Gehirnen die Zahl an alzheimertypischen Ablagerungen gleich hoch war, doch nicht alle ihre Besitzerinnen litten zu Lebzeiten an einer Alzheimer-Demenz! Nur diejenigen Klosterfrauen hatten Alzheimer, deren Gehirn zusätzlich zu den Ablagerungen kleine Hirninfarkte - also Minigehirnschläge - aufwiesen. Dieses Ergebnis ließ bei den Forschern alle Glocken bimmeln und es wurden weitere epidemiologische Erhebungen in verschiedenen Ländern durchgeführt. Es stellte sich heraus, dass bei überdurchschnittlich vielen Alzheimer Patienten solche stumme Minischlaganfälle im Gehirn stattgefunden haben. Daran zeigt sich der Schwellencharakter der Alzheimer-Krankheit. Die Amyloidablagerungen müssen nicht notwendigerweise zum Alzheimer führen. Zusätzliche Hirnschäden, durch die Nervenzellen zugrunde gehen, begünstigen den Ausbruch der Alzheimer-Krankheit. Ähnlich wirken Gehirnblutungen, wie sie bei Gehirntraumen, etwa durch Unfälle, oder bei Boxern auftreten. Auch die leisten einer Entwicklung der Alzheimer-Krankheit Vorschub. Bei Gehirnblutungen entstehen aggressive Sauerstoffradikale. Die Eisenionen im Blut begünstigen Radikalenkettenreaktionen, die Antioxidationskaskaden in Gang setzen, um die Nervenzellen zu retten. Aber durch diese überschießenden Reaktionen wird das Gewebe letztlich mehr geschädigt als geschützt und chronische Entzündungsprozesse im Gehirn werden angestoßen. Jetzt kommt das Wichtige: Die Entzündungsprozesse führen zu einer vermehrten Produktion von APP, dem Amyloid-Precursor-Protein, das ist das Molekül, aus dem das Amyloid herausgeschnitten wird. Wir wissen von den Menschen mit Down-Syndrom - früher wurden diese Menschen wegen ihres Aussehens als mongoloid bezeichnet -, dass lediglich 1,5 mal mehr an APP schon ausreicht, um die Alzheimer-Krankheit auszulösen. Down-Syndrom-Patienten besitzen lediglich 1,5 mal mehr APP als Gesunde und sie bekommen 50 Jahre früher Alzheimer als der Rest der Bevölkerung. Mikroinfarkte im GehirnEin Hirnschlag ist ein Infarkt. Wenn ein Blutgefäße im Gehirn verstopft ist, bekommen alle Nervenzellen, die durch dieses Blutgefäß versorgt werden, keinen Sauerstoff mehr, sie ersticken und sterben ab. Der Mensch erleidet einen Schlaganfall. Da unsere Nervenzellen im Gehirn keine Sekunde auf Nahrung und auf Sauerstoff verzichten können, besitzt jede einzelne Nervenzelle ihr eigenes Blutgefäß. Ist nur dieses eine Blutgefäß verstopft, kommt es zu einem Mikroinfarkt, durch den nur eine Nervenzelle abstirbt. Der Anfang eines Infarktes oder Gehirnschlags ist meist hoher Blutdruck, durch den kann es zu Verletzungen in den Blutgefäßen kommen. Die Verletzung wird begünstigt, wenn die Ernährung arm ist an Vitamin E und ungesättigten Fettsäuren, die beide die Zellmembran der Blutgefäße elastisch halten. Damit solch eine Verletzung rasch geheilt werden kann, eilt das LDL-Cholesterin herbei, um das Leck abzudichten. Wenn aber der betreffende Mensch wenig Obst und Gemüse isst, also sich wenig Vitamin C und andere sogenannte Antioxidantien im Blut befinden, haben freie Radikale leichtes Spiel. Freie Sauerstoffradikale entstehen ständig in unserem Stoffwechsel. Die freien Radikale nehmen drastisch zu durch Rauchen und Medikamenteneinnahme. Werden also die Radikale nicht durch Antioxidantien unschädlich gemacht, verwandeln sie das LDL-Cholesterin in radikales LDL-Cholesterin. Hat aber die betreffende Person zu viel LDL-Cholesterin und zu wenig vom HDL-Cholesterin, dem sogenannten "guten" Cholesterin, dann zettelt das radikale LDL eine Kettenreaktion mit den ungesättigten Fettsäuren in der Zellmembran der Blutgefäße an, wodurch weitere Schäden entstehen, die geflickt werden müssen. Erneut kommt LDL- Cholesterin herbei. Doch durch den Mangel an Antioxidantien - weil zu wenig Obst und Gemüse gegessen wird - kommt ein sich selbst erhaltender Prozess in Gang. Der Schaden soll reparieret werden, aber mangels der notwendigen Antioxidantien wird immer größerer Schaden angerichtet. Immer mehr Schäden entstehen an den Blutgefäße im Gehirn. Auf diesem Wege kommt es zu Entzündungen. Das führt, wie Sie bereits gehört haben, zu einer vermehrten Produktion von APP. Und vermehrtes APP begünstigt die Alzheimer-Krankheit, weil viel Amyloid herausgeschnitten und nicht ordnungsgemäß entsorgt wird. Zusätzlich zum LDL- Cholesterin kommen noch die Reparaturzellen des Blutes dazu, die Blutplättchen oder Thrombozyten. Die bilden ein Blutgerinnsel, einen Flicken, durch den sie das Blutgefäß rasch abdichten. Dieser Flicken ist wie ein Schorf, der auf der Haut entsteht, wenn wir uns verletzt haben. Bleibt die Versorgung mit Vitamin C, Vitamin E und den anderen Antioxidantien schlecht, dann treten - wie Sie schon gehört haben - immer mehr Defekte auf und es kommen immer mehr Blutplättchen und lagern sich zu solchen Flicken zusammen. Diese Flicken werden mit der Zeit hart und steif, denn es lagert sich Kalzium ein. Damit entstehen die gefährlichen arteriosklerotischen Plaques - eine Arteriosklerose. Dieser Flickprozess kann sich über Jahre hinziehen, wenn die Versorgung mit Antioxidantien schlecht bleibt und die eigentliche Reparatur durch das LDL-Cholesterin nicht ausgeführt werden kann. In diesen Flicken aber tickt eine Zeitbombe. Die Blutplättchen enthalten das Zellhormon Thromboxan A2. Das bewirkt, dass sich die Blutplättchen zusammenlagern. Aber es sorgt auch dafür, dass die Blutgefäße enger werden - denn es soll ja nicht zu viel Blut auslaufen. Dadurch aber werden die Flicken instabil, sie brechen auf. Sie kennen das von einem Schorf, der plötzlich, bei einer Dehnung der Haut, aufbricht und die Wunde beginnt erneut zu bluten. Nicht anders geht es in unserem Gehirn zu. Unter den Flickstellen beginnt es erneut zu bluten und neue Blutplättchen dichten das Leck ab. Damit werden die Flicken noch instabiler. Es besteht die Gefahr, dass Stücke davon abbrechen. Verstopft so ein abgebrochenes Stückchen das Blutgefäß, dann ersticken die Zellen, die dadurch mit Sauerstoff versorgt werden. Es kommt zum Schlaganfall. Ist ein kleines Blutgefäß betroffen, das nur eine einzige Nervenzelle versorgt, kommt es nur zu einem Mikroinfarkt, den der Betroffene nicht wahrnimmt. Aber diese Mikroinfarkte lassen einzelne Nervenzellen absterben und damit geht ein Verlust an Synapsen - an Nervenzellkontakten - einher. Der Abbau von Nervenzellkontakten erfordert wieder Reparaturarbeit. Die Reparaturmoleküle der Nervenzelle, das APP, eilt herbei. Gehen viele Synapsen zugrunde, werden große Mengen APP gebraucht. Beim Abbau der Synapsen, deren Zellmembranen Fettsäuren enthalten, entstehen Sauerstoffradikale. Auch die Mikrogliazellen, die die Nervenzelle schützen, produzieren Sauerstoffradikale. Können diese mangels ausreichender Obst- und Gemüsenahrung nicht entschärft werden, zerstören die freien Radikale weitere Zellmembranen und es wird vermehrt APP benötigt. Sie haben es schon gehört, der Anstieg des APP auf das anderthalbfache lässt bereits so viel Amyloid entstehen, dass die Alzheimer-Krankheit ausbricht. Sie sehen also: Wir könnten allein schon durch unsere Ernährung unser Gehirn vor Alzheimer schützen. Die Medikamente, die uns dabei helfen, wachsen auf dem Acker. Verzehren Sie bei jeder Mahlzeit Obst und/oder Gemüse, schön im Wechsel mit den Jahreszeit und nicht nur Tomaten und Gurken weil die so praktisch sind. Die kommen zum großen Teil aus Glashäusern und enthalten nicht die volle Palette der antioxidativen Schutzstoffe, die wir brauchen. Gehen Sie auf den Wochenmarkt kaufen Sie frisches, reif geerntetes Gemüse ein, das noch die Inhaltsstoffe enthält , die wir brauchen. Oder fahren Sie zu Biobauern in Ihrer Umgebung. Dort treffen Sie Gleichgesinnte, denen ihre Gesundheit es wert ist frisches, gesundes Gemüse zu kaufen. Tauschen Sie Gemüserezepte aus. Probieren Sie etwas Neues aus. Das bringt auch Bewegung in Ihr Leben. Das ist genau das, was Ihre Synapsen brauchen. Das sagen die Chinesen.
Neben der Mangelernährung an Obst und Gemüse gibt es noch einen weiteren Lebensumstand, der die Alzheimer-Krankheit begünstigt - die Depression. Sie haben eingangs gehört, dass ältere Menschen mit lang andauernder Depression gleichviel Amyloid im Gehirnwasser aufweisen wie Alzheimer Kranke in der Anfangsphase. Das sollte uns aufhorchen lassen. Die Depression erfasst alle Bevölkerungsschichten. Jeder zweite Erwachsene ist irgendwann einmal depressiv. Aber die Depression ist eine Krankheit, die sozial abgelehnt wird. Stresskrankheiten etwa, wie Herzinfarkt oder Magengeschwüre, das sind akzeptierte Krankheiten. Da braucht der Betroffene keine Kritik oder Missachtung befürchten wie bei einer Depression. Deshalb verdrängen die Jungen die Depression, die mit dem Erwachsenwerden einhergeht, durch antisoziales Verhalten, Sex, Alkohol, Drogen oder Apathie. Und viele Ältere sehen die Ursache für Antriebsschwäche, Energieverlust und die langsame, schleichende Persönlichkeitsveränderung als Teil des "Älterwerdens" an. Sie meinen, das Gefühl der Sinnlosigkeit und Lähmung gehöre zum Altern dazu. Das ist ein Trugschluss! Gefühle der Sinnlosigkeit und Lähmung, treten immer dann auf, wenn das Leben zur Last wird und die Seele in eine Krise geraten ist. Jede Art der Veränderung im Leben, wenn es dabei um einen Menschen geht, der uns nahe steht oder um etwas, dass für uns beruflich wichtig erscheint, kann uns in eine Depression stürzen. Der Prozess des Erwachsenwerdens und auch das Älterwerden bedingt eine Reihe von Veränderungen. Jede Übergangsphase des Lebens, von der Kindheit über die Ehe bis zum Greisenalter, fordert ein gewisses Maß an Loslösung, an Freigeben, Gehenlassen. Soll es dem Menschen gelingen, von einer Lebensphase zur nächsten fortzuschreiten, dann muss er fähig sein, eine Depression zu erfahren und auszuleben. Man muss sich einige schlaflose Nächten lang mit den schmerzhaften Gedanken befassen: Wer bin ich, was für ein Leben führe ich und will ich dieses Leben so weiterführen? Ein amerikanischer Psychiater sagt einmal:
Der Schmerz ist eine unvermeidliche Begleiterscheinung, wenn man etwas hingeben muss - einen Menschen, eine berufliche Position, ein Stück von sich selbst. Aber die Depression bietet uns auch die Chance zur Einsicht und Neuorientierung. Nach einer durchgestandenen akuten Depression entsteht die Fähigkeit, die Dinge in einem neuen Licht zusehen, es entwickeln sich originelle eigene Vorstellungen. Damit das geschehen kann, muss der Mensch fähig werden, seine alten, festgefahrenen Überzeugungen aufzugeben, die die Neubeurteilung der Situation blockieren. Das geschieht durch den schmerzvollen Zustand der Depression.
Durch die Weigerung, sich der schmerzlichen Erfahrung der akuten Depression zu stellen, entsteht ein viel schlimmerer Zustand: Die chronische Depression. Versagt sich der Betreffende zum Zeitpunkt eines Verlustes zu trauern, treibt er sein Gefühlsreaktionen gewissermaßen unter die Oberfläche, von wo aus sie in aller Stille sein künftiges Leben vergiften. Wir wissen heute, dass nicht ausgedrückte Gefühle die Chemie im Gehirn verändern können. Eine solche chemische Veränderung in den Nervenzellen kann bewirken, dass das Alzheimer-Amyloid - das erste Anzeichen einer Alzheimer-Krankheit - nicht entsorgt wird und sich ansammelt. Wenn das unverändert rund 30 Jahre so läuft, dann stehen wir eines Tages im Nachthemd auf der Straße und finden nicht mehr heim. Dann kommt alle Hilfe zu spät. Unsere Gesellschaft aber begünstigt das Erleben und den Ausdruck von Gefühlen in keinster Weise. Im Gegenteil: Der einzelne ist gehalten, seine Gefühle, häufig sogar vor sich selbst, zu verbergen. Egal unter welchem Stress er auch stehen mag, man erwartet von ihm, dass er weiterhin gut funktioniert. Aber gerade derjenige, der bei einem empfindlichen Verlust nicht mit Trauer reagieren kann, ist in Gefahr, später von einer schleichenden, chronischen Depression befallen zu werden, die nur sehr schwer unter den Begleitsymptomen zu erkennen ist. Werden Sie wachsam bei folgenden Symptomen, die auf eine Depression hin deuten. Berichten Sie Ihrem Arzt oder einem Therapeuten/einer Therapeutin davon, denn meist erkennen auch die Fachleute eine Depression nicht, denn wir sind wunderbare Schauspieler. Es gibt gewisse grundlegende Veränderungen, die mit einer Depression einhergehen, die sich aber nicht alle in jedem Fall einstellen müssen:
Viele erleben ihre depressive Stimmung als Mangel an Selbstvertrauen. Menschen, die sich für "Versager" halten, für "wertlos", "unnütz", "unwürdig", sind in Wirklichkeit oft depressiv. Der depressive Mensch hat oft das Gefühl, unter Druck zu stehen und in einer Falle zu sitzen. Er sieht keinen Ausweg aus einer Sackgasse. Es gibt für ihn keine Lösung. Seine Stimmung schwankt zwischen Gleichgültigkeit und Verzweiflung.
Die Depression kann sich auch tarnen durch "antidepressive Verhaltensformen" wie sinnloses Geldausgeben, zwanghaftes sich überarbeiten oder sexuelle Promiskuität.
- Bin ich von jemandem, den ich geliebt habe zurückgewiesen worden? - Ist jemand gestorben? - Ist an meinem Arbeitsplatz etwas passiert, das mein Selbstvertrauen erschüttert hat? Wenn auf solche Ereignisse unverzüglich eine Reaktion in angemessener Stärke eintritt, dann lässt sich die Depression als eine akute Depression leicht feststellen und behandeln. Doch wenn die Trauer über einen Verlust unterdrückt wurde und sich erst nach einer Reihe von Monaten oder Jahren schleichend Antriebslähmung, Schlafstörungen, Müdigkeit, Rückzug und Gefühle von Unzugänglichkeit einstellen, ist es schwer, diese Symptome mit der Ursache in Verbindung zu bringen. Viele Menschen werden jahrelang wegen dieser Symptome erfolglos von ihrem Hausarzt behandelt, weil er die Depression nicht mehr erkennen kann.
Seien Sie wachsam und beobachten Sie sich selbst wie ein Detektiv, vor allem wenn Sie die 50 überschritten haben. Das Älterwerden ist eine weitere Phase im Wachstumsprozess unserer Persönlichkeit. Das geht mit Verlustschmerz einher. Erleben Sie diesen Schmerz, belügen Sie sich nicht selbst, sondern holen Sie sich professionelle Hilfe.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Wer die seelische Krise, die sich durch eine Depression ausdrückt, als Wachstumsschmerz seiner Persönlichkeit begreift und durchleidet, bekommt eine neue Sicht auf die Dinge. Und wer sich darüber hinaus für eine an Obst und Gemüse reiche Ernährung entscheidet, der hat sehr viel zum Schutz vor der Alzheimer-Krankheit beigetragen.
Meinung zum Vortrag: Ich finde diesen Vortrag sehr gut, schon deswegen weil er über die überholte, enge Sichtweise Amyloidablagerung = Alzheimer hinausgeht. Dass Frau Dr. Furtmayr-Schuh den Lebensstil, insbesondere die Ernährung, auch die Frage zusätzlicher Hirnschädigungen (z. B. durch Trauma) und den Umgang mit depressiven Lebenskrisen mit Blick auf das spätere Alzheimer- Risiko einbezieht, finde ich ausgezeichnet. Anfang der 90er Jahre, als ich selbst darauf hinwies, dass Amyloid nur ein Teil der Krankheitsursache ist, dass die Frage der Lebensführung, die Frage zwischenmenschlicher Beziehungen und ein geistig aktiver Lebensstil wahrscheinlich auch eine wichtige Rolle spielen, bin ich von einigen Amyloid-Päpsten damals noch heftig kritisiert, z. T. sogar als Spinner bezeichnet worden. Hier haben sich die Dinge doch sehr erfreulich gewandelt. Auch die Rolle von Entzündungsfaktoren, auf die Frau Dr. Furtmayr-Schuh zu Recht eingeht, war früher durchaus nicht unumstritten. Meine Arbeitsgruppe wies im Alzheimer-Gehirn ja bekanntlich Anfang der 90er Jahre weltweit als erste einen Immunbotenstoff, nämlich das sogenannte Interleukin-6 nach. 1996 bekamen meine Kollegen (Prof. Benedikt Volk, PD Dr. Michael Hüll) und ich dafür den Organon-Forschungspreis der "Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie" verliehen. Heute, nachdem ungezählte weitere Studien dazu vorliegen, gilt es als anerkannt, dass Entzündungsvorgänge und zahlreiche Entzündungsbotenstoffe beim Prozess der Hirnzerstörung im Rahmen der Alzheimer- Krankheit eine Rolle spielen. Ganze Kongresse haben sich ausschließlich mit diesem Aspekt beschäftigt. Inzwischen sind erfreulicherweise auch jene Amyloid-Päpste, die uns damals kritisiert haben, auf den Zug aufgesprungen. Wichtig ist aber, zu sehen, dass auch die Entzündungsgeschichte nur ein TEILaspekt der Alzheimer-Krankheit ist. Leider haben auch Entzündungshemmer bisher (noch?) keinen Durchbruch in der Alzheimer-Therapie gebracht.
Prof. Dr. Joachim Bauer |