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für Betreuer Demenz-Kranker

© Dr. Dr. Herbert Mück, Köln

Körperlich zuwenden

* * Auf regelmäßige körperliche Untersuchungen achten
* * Körperliche Erkrankungen im Blick behalten
* * Körperliche Klagen ernst nehmen
* * Regelmäßige Hausarztkontakte anstreben
* * Vorsicht vor Hausarztwechseln
* * Demenz nicht für alles verantwortlich machen
* * Unruhe als körperlicher Hilferuf
* * "Leise" Symptome beachten
* * Schmerzsignale erkennen
* * An Beeinträchtigungen der Schmerz verarbeitung denken
* * Medikamente anliefern lassen
* * Ordnungsgemäße Medikamenten-Einnahme gewährleisten
* * Zu Schönheit verhelfen
* * Hygiene unterstützen
* * Streßfrei Baden
* * Auf gesunde Lebensführung achten
* * Leibliches Wohlbefinden fördern
* * Das Gehirn ernähren
* * Genügend Flüssigkeit zuführen
* * Nächtlichen Imbiß anbieten
* * Bewegung ermöglichen
* * Bedürfnissen nach Zuwendung, Zärtlichkeit und Sexualität Rechnung tragen
* * Auf Schlafstörungen individuell eingehen
* * Harninkontinenz entgegenwirken
* * Seelische Ursachen einer Inkontinenz ausschließen
* * Sich mit dem Demenz-Kranken stationär aufnehmen lassen
* * Demenz-Kranke im Sterben begleiten

 
Auf regelmäßige körperliche Untersuchungen achten Eine Demenz beansprucht die Aufmerksamkeit der Betreuer oft übermäßig. Andere Begleiterkrankungen werden dann leicht übersehen oder unzureichend behandelt. Achten Sie deshalb darauf, daß der Demenz-Kranke regelmäßig gründlich ärztlich untersucht wird. Leidet der Patient unter weiteren chronischen Erkrankungen, müssen diese optimal behandelt werden! Mitunter kann sich bei einer guten Therapie dieser Leiden auch die Demenz merklich bes sern (Beispiele: Diabetes, Bluthochdruck, Depression).
   
Körperliche Erkrankungen im Blick behalten Verhaltensstörungen von Demenz-Patienten sind nicht zwingend eine Folge der Demenz. Sie können auch Ausdruck einer begleitenden psychischen Erkrankung sein (Depression, Psychose), mit einem internistischen Leiden zusammenhängen (Sepsis, Organversagen, Vergiftung), auf körperliches Unwohlsein hinweisen (Schmerzen, Verstopfung, Luftnot, Harndrang) oder auf das Konto von Sinnesbeeinträchtigungen gehen (Sehschwäche, Schwerhörigkeit). Besonders beim erstma ligen oder einem überraschenden Auftreten von Verhaltensstörungen lohnt sich die Ursachensuche.
   
Körperliche Klagen ernst nehmen Demenz-Kranke klagen häufiger über körperliche Störungen als über geistige Unzulänglichkeiten. Dies kann dazu verleiten, Äußerungen Demenz-Kranker über ihr körperliches Befinden nicht ernst zu nehmen. Die Patienten können körperliche Störungen aber sehr wohl wahrnehmen, lediglich die organische Zuordnung mißlingt oft.
   
Regelmäßige Hausarztkontakte anstreben Vereinbaren Sie mit dem Hausarzt des Kranken möglichst regelmäßige Gespräche. Diese optimieren nicht nur die körperliche Versorgung des Kranken, sie entlasten auch den Betreuer und strukturieren den Alltag des Kranken.
   
Vorsicht vor Hausarztwechseln Wechseln Sie den Hausarzt eines Demenz-Kranken nur nach sorgfältiger Abwägung von Vor- und Nachteilen. Durch die oft lebenslange Betreuung des Patienten ist dem Hausarzt dessen Geschichte und ursprüngliche Persönlichkeit so gut bekannt, daß Gedächtnis- und Kommunikationsstörungen des Kranken dann oft nicht so stark stören.
   
Demenz nicht für alles verantwortlich machen Führen Sie nicht alle Verhaltensweisen des Demenz-Kranken auf seine geistige Verfassung zurück. Wenn sich beispielsweise ein Patient mit Kot beschmiert, so "protestiert" keineswegs immer nur die Seele, sondern mitunter auch der Darm (Verstopfung!). Manchmal befreit schon ein Abführmittel Patient und Umwelt von dem leidigen Problem.
   
Unruhe als körperlicher Hilferuf Hinter der Unruhe eines Demenz-Kranken kann sich eine nonverbale Mitteilung oder eine Bitte um Hilfe verbergen. Schimpfen und Vorhaltungen steigern dann nur die Verwirrtheit und provozieren unnötige Aggressionen. Überprüfen Sie immer naheliegende Ursachen, wie Harn- oder Stuhldrang und Verstopfung. Führen Sie den Patienten sicherheitshalber lieber einmal zuviel als zuwenig zur Toilette.
   
"Leise" Symptome beachten Achten und reagieren Sie nicht nur auf sozial besonders auffällige und störende Symptome einer Demenz, unter denen vor allem die Umwelt leidet (wie Aggressivität, Unruhe, Lärm). Als Hinweise auf ein schlechtes Befinden des Kranken verdienen auch die "leisen" Zeichen Ihre Aufmerksamkeit, die besonders den Kranken belasten. Dazu gehören depressive Symptome (gedrückte Stimmung, Gefühl- und Antriebsarmut, Klagen, Weinen usw.). Im Gegensatz zur Grunderkran kung sprechen solche Symptome oft sehr gut auf Medikamente an.
   
Schmerzsignale erkennen Auch Demenz-Kranke können unter Schmerzen leiden, was angesichts der Kommunikationsschwierigkeiten häufig vergessen wird! Prüfen Sie notfalls, ob der Betreffende nach Einnahme eines Schmerzmittels ruhiger wird. Gemessen an der möglichen Qual des Kranken ist die einmalige Gabe einer Schmerztablette harmlos.
   
An Beeinträchtigungen der Schmerzverarbeitung denken Auch Demenz-Kranke reagieren auf körperliche Schmerzen. Allerdings scheinen sie Schmerzen emotional anders zu verarbeiten und Zusammenhänge zwischen potentiellen Gefahrenquellen und den von diesen ausgehenden Schmerzen nicht herstellen zu können. Rechnen Sie insbesondere immer dann mit einer Unfallgefahr, wenn der Kontakt mit der Gefahrenquelle neben einer reflektorischen Reaktion zusätzlich eine überlegte Handlung erfordert. So schreien zwar manche Demenz-Kran ke, wenn sie ein heißes Getränk im Mund spüren. Sie schlucken es aber dennoch, statt es auszuspucken.
   
Medikamente anliefern lassen Manche Demenz-Kranke kann man weder zum Einkaufen mitnehmen, noch sie längere Zeit alleine zu Hause lassen. Erkundigen Sie sich z.B. in ihrer Apotheke, ob diese Ihnen nicht die Medikamente kostenfrei zu Hause anliefern kann. Manche Apotheken bieten einen solchen Service. Entsprechendes gilt für Lebensmittel- oder Getränkehändler.
   
Ordnungsgemäße Medikamenten-Einnahme gewährleisten Diese Aufgabe benötigt relativ wenig Zeit. Wer hier spart, muß dafür später oft weitaus mehr Zeit investieren: Sei es, weil der Demenz-Kranke untertherapiert ist, sei es, weil er versehentlich zuviele der Medikamente eingenommen hat und nun vermehrt unter Nebenwirkungen leidet. Es gibt verschiedene Dosierungshilfen, die eine ordnungsgemäße Medikamenteneinnahme erleichtern (z.B. zeitgesteuerte Arzneimitteldosen).
   
Zu Schönheit verhelfen Es lohnt sich, das Äußere von Demenz-Kranken zu pflegen. Denn wer äußerlich attraktiv ist, dem schreibt die Umwelt oft auch andere positive Eigenschaften zu. So fördern Kosmetika und modische Kleidungsstücke möglicherweise die Wertschätzung des Kranken durch seine Umwelt und damit mittelbar auch das Selbstwertgefühl. Wer die Haut alter Menschen pflegt, verdeutlicht dem Betreffenden, daß sein Körper dies "wert" ist und weiterhin eine Quelle der Freude (nicht nur der Sorge) sein darf. Gepflegte Haut lädt auch eher dazu ein, berührt zu werden. Vorschläge: Haarwäsche, Haarfärben, Lippen- oder Wimpernstift.
   
Hygiene unterstützen Beispiele: Demenz-Kranke Männer sollten möglichst bald von Naß- auf Trockenrasur umsteigen. Bei Gebißträgern ist auf eine regelmäßige Reinigung der Prothese zu achten. Die Einführung zeitlich festgelegter Reinigungsrituale erspart mitunter unnötige Erklärungen (Warum gerade jetzt gebadet werden soll). Wenn es sich bei dem Demenz-Kranken um Ihren Partner handelt, können Sie eventuelle Waschwiderstände sanft umgehen, indem Si e einfach gemeinsam mit dem Partner duschen.
   
Streßfrei Baden Folgendes Vorgehen erleichtert es Demenz-Kranken, Hygienebäder zu genießen: 1. Wenden Sie sich dem Kranken während des Reinigungsvorgangs interessiert und aufmerksam zu und sprechen Sie entspannt mit ihm. 2. Lassen Sie das Wasser im Beisein des Kranken nur möglichst kurz aus dem Hahn oder dem Duschkopf fließen. 3. Geben Sie entkleideten Patienten zumindest ein großes Badetuch, damit sie sich bedecken können. 4. Verhelfen Sie dem Patienten zu einer möglichst angenehmen Umgebungs- und Körpertemperatur.
   
Auf gesunde Lebensführung achten Ein Nikotin- und Alkoholverzicht fördert mit hoher Wahrscheinlichkeit das geistige Leistungsvermögen. So kann das Blut von Rauchern weniger gut Sauerstoff transportieren, weil es mit dem schädlichen Kohlenmonoxid beladen ist. Das Gehirn wird dann schlechter mit Sauerstoff versorgt. Die leistungsbeeinträchtigende Wirkung von Alkohol ist hinreichend bekannt (auch im Hinblick auf das Erinnerungsvermögen). Ersparen Sie es dem Kranken, sich in verqualmten Räume n aufzuhalten. Lüften Sie häufiger die Zimmer. Vielen Demenz-Kranken gelingt es erstaunlich rasch, sich das Rauchen abzugewöhnen, wenn kein anderer in der Familie raucht und deshalb weder Zigaretten noch Zigarren im Haus herumliegen.
   
Leibliches Wohlbefinden fördern Bekannte Gerüche (Speisen, Düfte gewohnter Kulturartikel wie Parfüms, Rasierwasser oder Seifen), Lieblingsessen oder vertraute Musik können Atmosphären und Gefühle wecken, die mit vergangenen Lebensabschnitten verknüpft sind. Sie fördern das Wohlbefinden auch dann, wenn sich der Kranke nicht mehr konkret erinnern kann. Atmosphärisches, gefühlsmäßiges und leibliches Empfinden bleiben besonders lang erhalten.
   
Das Gehirn ernähren Auch ungünstige Ernährungsgewohnheiten können das geistige Leistungsvermögen beeinträchtigen (z.B. üppige Mahlzeiten oder eine Unterzuckerung nach zu langem Fasten). Mehrere kleine, über den Tag verteilte Mahlzeiten sorgen dafür, daß dem Gehirn ständig Energie zur Verfügung gestellt wird. Die Anlieferung von "Essen auf Rädern" heißt noch lange nicht, daß der Kranke dieses auch verzehrt! Servieren Sie Mahlzeiten in mehreren kleinen Gängen, um den Kranken nicht zu überfordern.
   
Genügend Flüssigkeit zuführen Eine im Alter oft erst spät erkannte Ursache von Konzentrations- und Orientierungsstörungen ist der Flüssigkeitsmangel. Er kommt zustande, weil das Durstgefühl im Alter nicht mehr so zuverlässig anzeigt, wann und wieviel Flüssigkeit ein Mensch braucht. Ältere Menschen müssen daher bewußt darauf achten, mindestens 1 bis 1,5 Liter Flüssigkeit täglich zu sich zu nehmen. Stark alkoholhaltige Getränke sind allerdings nicht zu empf ehlen. Einem eingefleischten Bierfreund können Sie versuchsweise alkoholfreies Bier anbieten.
   
Nächtlichen Imbiß anbieten Besonders in Pflegeheimen hat es sich bewährt, nachts umherirrenden Demenz-Kranken einen kleinen Imbiß oder zumindest ein Getränk in einem speziell dafür vorgesehenen Raum (mit Nachtwache) anzubieten. So lassen sich nicht nur allgemeine Krisensituationen bei Schlafstörungen und nächtlicher Unruhe entschärfen; diese Maßnahme wirkt besonders bei solchen Bewohnern, die aufgrund eines ausgeprägten nächtlichen Blutzuckerabfalls zu Schlafst örungen neigen.
   
Bewegung ermöglichen Wer sich vermehrt bewegt, verbessert die Gehirndurchblutung. Dafür genügt schon ein bloßer Spaziergang. Manche ältere Menschen können besser denken, nachdem sie sich bewegt haben. Wahrscheinlich fördert Bewegung auch die Aktivität des Gehirns. Außerdem kann sie die Stimmung anheben, was besonders für depressive Menschen von Vorteil ist. Nicht zuletzt sind bewegliche und kräftige Menschen weniger sturzgefährdet.
   
Bedürfnissen nach Zuwendung, Zärtlichkeit und Sexualität Rechnung tragen Denken Sie daran, daß auch demente Menschen Bedürfnisse nach Zuwendung, Zärtlichkeit und Sexualität haben, besonders wenn diese ein wichtiger Teil des Selbstbildes und Lebensinhaltes waren. Auch demente Menschen brauchen deswegen keine Scham- und Schuldgefühle zu entwickeln. Als Partner eines Demenz-Kranken können Sie dessen Wunsch nach sexuellem Kontakt als eine der wenigen ihm verbliebenen Möglichkeiten ansehen, Gefühle gegenüber einem Pa rtner auszudrücken. Sexualität kann auch dann weiter beiderseits befriedigen und verbinden, wenn einer der Partner an Demenz erkrankt.
   
Auf Schlafstörungen individuell eingehen Keineswegs alle Demenz-Kranke schlafen nachts länger und besser, wenn sie tagsüber weniger dösen und statt dessen aktiver sind. Beobachtungen haben gezeigt, daß tagsüber sehr aktive Patienten auch nachts weniger schlafen. Dagegen wurden Demenz-Kranke, die tagsüber öfter und länger dösten, auch nachts seltener wach. Offenbar gibt es Patienten, die sowohl tags wie auch nachts mehr Ruhe benötigen und umgekehrt solche, die zu beiden Zeiten wenig Bedürfnis zum Schlafen haben. Es ist deshalb wichtig, die individuellen Schlaf- und Wachmuster herauszufinden und ihnen Rechnung zu tragen. Scheuen Sie sich nicht, sich an eine Nachtpflegeeinrichtung zu wenden, wenn die Betreuer die Schlafzeiten des Patienten kaum tolerieren können.
   
Harninkontinenz entgegenwirken Einer Harninkontinenz bei Demenz-Kranken läßt sich entgegenwirken, indem man ihre Fitneß steigert und so die Beweglichkeit verbessert. Oft beeinträchtigen auch Betreuer die Mobilität des Kranken, indem sie diesen fixieren oder ihm müdemachende Medikamente verabreichen. Weitere Hilfen sind leicht zu öffnende Kleidungsstücke sowie deutlich ausgezeichnete, gut beleuchtete und behindertengerecht gestaltete Toiletten (Haltegriffe, erhöhte Toile ttensitze). Abends sollte man eher weniger, insbesondere keine harntreibenden Flüssigkeiten anbieten (z.B. kein Bier).
   
Seelische Ursachen einer Inkontinenz ausschließen Eine Inkontinenz muß nicht immer eine körperliche Ursache haben. Manchmal versuchen Kranke auf diesem Weg, Konflikte mit der Umwelt auszutragen. Nicht zuletzt kann eine Inkontinenz auch Ausdruck einer Depression sein: Depressive leiden oft unter einer Antriebshemmung, die den Gang zur Toilette erschwert.
   
Sich mit dem Demenz-Kranken stationär aufnehmen lassen Scheuen Sie sich nicht, vor (noch!) ungewöhnlich erscheinenden Vorgehensweisen: Lassen Sie sich gegebenenfalls als Begleiter eines Demenz-Kranken stationär in einem Krankenhaus aufnehmen, wenn der Betreute eine Krankenhausbehandlung benötigt (sog. Rooming-in, wie man es in Kinderkrankenhäusern schon lange kennt). So verhindern Sie, daß der Demenz-Kranke unnötig irritiert wird und wichtige Fähigkeiten verlernt (z.B. aufgrund des fremden Milieus oder e iner Überversorgung). Solche Folgen lassen sich nach der Entlassung aus dem Krankenhaus manchmal nicht mehr korrigieren.
   
Demenz-Kranke im Sterben begleiten Wenn Demenz-Kranke sterben, benötigen sie nicht weniger Zuwendung als ein geistig gesunder Mensch. Dies wird leider oft vergessen! Auch Demenz-Kranke darf man nicht allein lassen. Nichtsprachliche Kontakte (Hände halten, Schweiß abwischen, Hand auflegen, Streicheln, in die Arme nehmen, Anlächeln) sind von besonderer Bedeutung, da der Tastsinn als letzter aufhört zu funktionieren. Eine optimale körperliche Pflege bietet auch im Sterben die Chance zur mensc hlichen Begegnung. Bilden Sie gegebenenfalls mit dem Kranken eine "Atemgemeinschaft" (Dabei atmet man im Rhythmus des Kranken und macht das Ausatmen durch Summen, Tönen oder Singen hörbar).
   


Zusammengestellt von Dr. Dr. med. Herbert Mück und Horst Endreß (2. und wesentlich erweiterte Auflage, 8/1999)

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