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Wichtige Punkte zur Podiumsdiskussion "Pflegeversicherung" am 7.5.99 in Tübingen

Hauptkritikpunkte:

  • Die Pflegeversicherung bzw. die Begutachtungskriterien sind zu wenig am tatsächlen Hilfebedarf orientiert
  • Sie fördert nicht die Umsetzung guter Konzepte, sondert verhindert sie eher
  • Sie erfordert einen hohen Verwaltungsaufwand und allgemein pflegefernen Aufwand (s.u.)
  • Die Übereinstimmung von Begutachtungsergebnissen und -richtlinien hat sich verbessert, weist aber nach wie vor Probleme auf (Person des Gutachters, Darstellungs- und Durchsetzungsfähigkeit pflegender Angehöriger)
  • Die Pflegemodule und deren Systematik stimmen nicht mit den Erfodernissen einer krankheitsangemessenen Pflege überein. Pflegeabläufe werden dysfunktional.
  • Die unterschiedlichen Systeme der Kostenträger verkomplizieren die Pflege enorm nach unfachlichen pflegefernen Gesichtspunkten

Gesamteinschätzung:

Die Pflegeversicherung ist in erster Linie technokratisch und nicht qualitätsorientiert.

- Die Einstufungskriterien sollen juristisch klar und nachprüfbar sein,
- Die Verteilung von Versicherungsleistungen soll kontrollierbar sein.

Die Bemühungen, das System Pflegeversicherung zu verbessern gingen bisher dahin, die Einstufungskriterien zu präzisieren, die Begutachtung aufwendiger zu machen und Gutachter zu qualifizieren.

Es wäre jedoch ein Fehlschluss zu glauben, dass dadurch die Pflegeversicherung an sich besser oder gerechter geworden sei.

Wirkungsgrad der Pflegeversicherung:

Zahl der Fehleinschätzungen (meist zu niedrig) geschätzt = 20-30%

nach Widerspruch und fachlicher Beratung = 10-15%

(Grund: fehlende Beratung; fehlende Kenntnisse, Darstellungsfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit Betroffener)
=> Beispiel "Frau K."

Die derzeitige Konzeption der PV bringt es mit sich, dass viele Menschen viel Zeit in pflegeferne Tätigkeiten investieren müssen:

  • Pflegefachkräfte - komplizierte Abrechnung und Dokumentation, Abrechnung je nach Kostenträger nach unterschiedlichen Systemen
  • Angehörige - Verstehen der komplizierten Regelungen, Dokumentieren, Widersprüche formulieren
  • Sozialberatungsstellen - eingehende zeitintensive Beratungen zu Widerspruchsformulierungen, Vorbereitung auf die Begutachtung
  • Gutachter - komplizierte Begutachtung, Bearbeiten von Widersprüchen
  • Pflegekasse - Verwaltung, Widerspruchsbearbeitung
  • Sozialgerichte - Bearbeitung von Klagen

Würde man diesen Gesamtaufwand plus der finanziellen Leistungen in Relation zur tatsächlich sinnvoll geleisteten Pflege aufgrund der Leistungen stellen, dürfte sich ein Wirkungsgrad von nicht mehr als 60% ergeben.

Es muß daß Ziel der Pflegeversicherung sein, ihren Wirkungsgrad zu erhöhen, das heißt, die eingesetzten Solidarleistungen müssen zu einem höheren Anteil direkt in sinnvolle und wirksame Pflege umgesetzt werden.

Mindestforderungen:

  • notwendige gerontopsychiatrische Pflegeleistungen müssen in den Sachleistungsumfang eingeschlossen werden
  • das Modulsystems muss neu überdacht und verändert werden
  • die Begutachtungspraxis muss weiter verbessert werden (insbes. bei Menschen, die den Hilfebedarf schlecht darstellen können, s.o.)
  • Betreuungsleistungen, die für das Überleben Demenzkranker im ersten Krankheitsstadium notwendig sind, müssen bei der Einstufung Berücksichtigung finden.
  • Besondere Pflegekonzepte für Demenzkranke im ambulanten und stationären Berich müssen belohnt und nicht bestraft werden.

Grundsätzliche Forderungen:

Die Pflegeversicherung ist in ihrer heutigen Form ein Erstversuch und Experimentierfeld, in dem aus vielen Fehlern gelernt werden kann.

Da sich aus noch so minutendifferenzierten und komplizierten Einstufungsregeln insgesamt keine gerechtere und auch keine sinnvollere Einstufungen ergeben haben, sollte das Augenmerk viel mehr auf die Fachlichkeit und den pflegerischen Sinn einer Einstufung gelegt werden. Die Notwendigkeit und der Umfang sinnvoller pflegerischer Unterstützung müssen im Mittelpunkt stehen. Es bedarf einer sehr qualifizierten fachpflegerischen Bewertung, welche Maßnahmen im Einzelfall sinnvoll, notwendig und auch durchführbar sind, weil entsprechende Angebote vorhanden sind. Eine solche Bewertung lässt sich nicht durch Minutenzählerei anstellen, sondern setzt ein eingehendes pflegerisches Fachwissen und Praxiserfahrung voraus. Begutachtungen mit dieser Kompetenz würden dazu führen, dass Leistungen wesentlich zielgerichteter verteilt werden.

in Stichpunkten:

  • hochqualifizierte pflegerische Begutachtung mit Beratung
  • flexible Einstufung nach inhaltlich-fachlichen Kriterien (kann ggf. in Einzelfällen auch zu niedrigeren Einstufungen als bisher führen oder häufiger als bisher zur reinen Sachleistungsgewährung)
  • Abkehr von Überbewertung der Minutenzählerei

Abkehr vom Modulsystem:

- Die Pflege Demenzkranker läßt sich nicht in körperliche Säuberungsaktionen zergliedern.

- Der Systematik liegt insgesamt ein rückschrittliches Pflegeverständnis zugrunde (satt-sauber)

- Das Modulsystem vermeidet sinnvolle Spezialisierungen von Diensten, z.B. auf Demenzkranke

=> Stattdessen:

  • Orientierung an der individuellen Pflegezeit und -qualität
  • regelmäßige pflegefachliche Qualitätskontrollen der Dienste
  • Liste mit Verbraucherinformationen über Dienste, auch Heime ("Pflegetest Aktuell")
  • Qualitätszirkel und Arbeitskreise unter qualifizierter pflegerischer Leitung mit Beteiligung von Betroffenen-/Angehörigenvertretungen ("Motorfunktion")

=> Diese hohe Qualität für Bewertungen, Beratungen und Begutachtungen ist nur durch speziell ausgebildete Fachkräfte leistbar

(z.B. auch ein Psychologe kann nicht durch ein paar Schnellkurse lernen, Medikamente zu verordnen, weil er im Studium etwas über Menschen gelernt hat. Im Pflegebereich wird jedoch oft von solchen Philosophien ausgegangen)

=> Vorschlag:

an Fachhochschulen für Pflege sollten Studienschwerpunkte für diesen speziellen Bereich und Anforderungen eingerichtet werden.

Die Absolventen (Pflegewirte) sollten folgende Voraussetzungen mitbringen, um im Bereich individuelle Pflegebegutachtung, Pflegeberatung, Qualitätsprüfung von Institutionen und Pflegeentwicklung tätig zu sein:

  • mehrere Jahre Pflegepraxis im ambulanten und stationären Bereich
  • Belegung von entsprechenden Schwerpunktfächern im Studium (Pflegebegutachtung, Pflegeberatung, Qualitätsprüfung von Institutionen und Pflegeentwicklung)
  • Spezialisierung in einem Krankheitsbereich (z.B. Demenz, psychische Erkrankungen, geistige Behinderungen usw.) mit Nachweis praktischer Erfahrungen in diesem Bereich und z.B. auch Kontakten zu Selbsthilfe-/Betroffenen-gruppen. Die Unterschiedlichkeit der Pflege je nach Krankheitsbild und die Vielfalt der entsprechenden notwendigen Kenntnisse für Beratung und Begutachtung legen einen spezialisierten Einsatz nahe.
  • Kenntnisse über wissenschaftliche Methoden und Pflegetheorien

 


 

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