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Papi

Das erste Mal, als ich mit Alzheimerkranken in Kontakt kam, war vor ca. 5 Jahren als mein Großvater daran erkrankte. Doch wurde unsere Familie und auch er davon verschont, langsam immer weniger Mensch zu sein. Ein Krebsleiden kam hinzu und nahm ihm vorzeitig das Leben.

Das zweite Mal wurde ich im August 99 mit Alzheimer konfrontiert, der Vater meines Freundes hat diese Krankheit und da er in Griechenland wohnhaft ist, lernte ich ihn erst dieses Jahr kennen und weiß seit da auch, was es bedeutet, einen Alzheimerkranken zu pflegen. Ich bewundere jede Person die das kann, bin mir aber auch bewußt, dass ich vielleicht auch mal in der Situation landen werde. Der Vater meines Freundes ist einer der wenigen Menschen, welche die Frueh-Alzheimer haben; er erkrankte im Alter von 57Jahren,- da wurde es das erste Mal diagnostiziert. Mein Freund ist als zu 50% gefährdet, ebenfalls an Alzheimer zu erkranken, ebenfalls ein Grund, dass ich mich intensiv mit der Krankheit auseinander setze.

Hier die Geschichte von Papi (wie ich ihn nenne):

Papi wurde in Griechenland geboren und ist in ganz jungen Jahren mit seiner Frau in die Schweiz ausgewandert. Jahrelang hat er in einem Großbetrieb gearbeitet wo ihn alle geschätzt haben, er aber eine monotone Arbeit ausfährte. 1963 kam sein Sohn in der Schweiz zur Welt. Die Familie lebte dann in der Schweiz und das Kind wuchs hier auf.

Im Alter von 55 Jahren beschlossen dann die Eltern (die Frau ist 5 Jahre älter) sich die Pensionskasse auszahlen zu lassen und nach Griechenland zurück zu gehen. Sie verkauften ihr gesammtes Hab und Gut und gingen auf den Rat des Sohnes hin zurück in ihr Heimatland.

Auf der Insel Evia hatten sie sich ein kleines Paradies errichtet, ein kleines Häuschen mit einem riesigen Garten, abseits von den anderen Häusern. Für die Mutter war es ihr ein und alles ihre Pflanzen zu pflegen,- sie erschufen sich ihre Traumwelt.

Kaum waren sie allerdings in Griechenland, begann der Vater vergeßlich zu werden. Zuerst führten sie dies darauf zurück. dass er nun den Arbeitsstreß nicht mehr hatte. Doch die Vergeßlichkeit nahm rapide zu und er fand auch den Weg zurück ins Haus ein paar Mal nicht mehr, so dass sie 1996 einen Arzt konsultierten. Die Diagnose Alzheimer wurde gestellt. In Griechenland wird nach wie vor noch nicht so offen über die Krankheit gesprochen wie hier,- an einigen Orten gilt es sogar noch als Schande. Das Geld, was zur Verfügung stand, wurde schnell aufgebraucht für Arztbesuche und Medikamente. Der Gesundheitszustand des Vaters nahm rapide ab und schon 1998 brauchte er Dauerpflege, welche von seiner Frau verübt wurde. Papi ist ein großer, robuster Mann, Mami hingegegen eher klein und bis vor kurzem zierlich. Ich kannte sie ja nicht bis diesen Sommer, aber Fotos welche ein Jahr alt sind, zeigen eine ganz andere Frau. Die Nachbarn halfen dann so gut es ging und fuhren auch mal zum Einkaufen.

Durch telefonischen Kontakt erfuhren wir jeweils vom Gesundheitszustand. Im Frühling dieses Jahres beschloß dann Mami nach Athen zu ziehen. Dies aus zwei Gründen:
1. konnte sie Papi nicht unbeaufsichtigt lassen und somit auch keine Erledigungen mehr machen und
2. brauchte sie Hilfe in der Pflege.

Mein Freund und ich unterstützten diese Entscheidung von der Schweiz aus, da wir einsahen, dass ein Leben auf dem Lande nicht mehr möglich war und in der Stadt eine Tante (die Schwester von Papi) wohnte, welche sich anerbot zu helfen. Diese Tante suchte dann auch eine Wohnung in der Nähe und fand eine in der gleichen Häuserreihe. Mami hatte keine Möglichkeit die Wohnung zuerst anzusehen, sie war auf der Insel gefangen. Im Juli dieses Jahr zogen sie dann um nach Athen. Wir wollten im August einen Monat auf Besuch kommen. Mir wurde viel über Papi erzählt und ich hab mich intensiv mit dem Thema Alzheimer auseinandergesetzt vor unserer Reise, so dass ich auf alles gefaßt war.

Am 4. Juli trafen wir in Athen ein. Auf dem Balkon saß ein weißhaariger Mann in einem Stuhl. Wenn ich nicht gewußt hätte dass er erst 61 Jahre alt ist, dann hätte ich geglaubt, er sei mindestens 75. Jedenfalls saß er da in seinem Stuhl ganz apathisch, in der einen Hand einen Ball, in der anderen ein leeres Zigarettenpacket. Er saß nur da und lächelte. Seinen Sohn hat er nicht mehr erkannt. In den vier Wochen sah ich, was es für Mami bedeuten muß, ihn zu pflegen. Ich bewundere und verfluche sie gleichzeitig, doch dazu später mehr. Bald wußte ich auch, warum er in beiden Händen etwas hielt. Denn ließ er mal etwas davon fallen, war immer jemand zur Stelle, der ihm die Dinge wieder in die Hand drückte. Denn hatte er nichts in den H„nden, gingen diese automatisch an die Windeln, welche er zu zerrupfen begann. Vermutlich störten sie ihn,- es war immerhin 40ø heiß und so hitzeerprobt sind die Eltern auch nicht, denn auf der Insel wehte immer ein kühler Wind.

Papi war eigentlich immer ruhig. Ab und zu hat er ein paar griechische Worte gesagt, wie Ela "gehen wir" oder die Zahl 1. Und auf Fragen konnte er keine Antwort geben. Komischerweise war er immer dann, wenn ich mit ihm alleine war, etwas gesprächiger. Aber dadurch, dass er ganz ganz leise sprach, verstand ich meistens nicht viel. In der Zeit, in der ich auf ihn aufpaßte, habe ich dann einfach mit ihm gesprochen und ihm Geschichten erzählt. Meine rotlackierten Zehennägel hatten es ihm besonders angetan und auch an seinen Sandalenschnellen spielte er rum. Ich ließ mir sagen, dass er ursprünglich Schuhmacher gelernt habe und dies vermutlich der Grund sei, dass Schuhe ihn anzogen. Auch hat er oft einfach auf Schuhe gezeigt. Manchmal merkte ich, wie er etwas sagen wollte, doch schon beim zweiten Wort kam er nicht weiter,- er hatte es einfach vergessen.

Das einzige, was Papi noch alleine machen kann, ist ein Glas Wasser halten, dieses zum Mund führen und kleine Schlückchen trinken, und mit dem Röhrchen trinken kann er auch noch. Ansonsten muß er gefüttert werden, gewaschen, gewickelt und angezogen. Eine ziemliche Strapaze für eine alte Frau. Sie hat aber keine andere Möglichkeit dort unten und auch das Geld fehlt ihr für eine Pflege. Uns hier fehlt wiederum auch das Geld um runter zu ziehen, damit wir helfen könnten, oder Geld zum Schicken. So macht sie alles selber, was ich einesteils hoch achte, all die Hingabe und Liebe, welche sie aufwendet. Andererseits verachte ich es, weil ich sehe, wie sie sich selber kaputt macht. Ohne Schlafmittel kann sie nicht mehr schlafen und oft muß sie Schmerzmittel zu sich nehmen, weil er sie wieder attackiert hat. Sie wohnen in einer sehr kleinen Wohnung. Das Badezimmer ist ebenfalls sehr klein und hat kein Fenster. Jedesmal wenn sie Papi waschen will, sträubt er sich ins Badezimmer zu gehen. Ist er dann mal endlich drinnen, kann es sein, dass er aus heiterem Himmel einfach ausschlägt oder sie packt. Alle paar Wochen ist wieder die ihre Brille kaputt, weil er sie gepackt hat. Er ist halt wie ein Baby, das sich nur noch so wehren kann, wenn ihm etwas nicht behagt,- aber mit der Kraft eines erwachsenen Mannes.

Wenn wir zum Einkaufen gefahren sind, haben wir manchmal Papi mitgenommen oder ich blieb mit ihm zu Hause. Eigentlich war ich gerne mit ihm zu Hause, auch wenn ich mir oft hilflos vorkam. Ich gab ihm zu trinken oder schnitt ihm eine Kiwi auf,- welche er sehr gerne aß.

Man merkte schnell welches Essen ihm schmeckte und was nicht. Alles was er nicht so gerne hatte, hat er oft minutenlang im Mund rumgewälzt, bevor er es runterschluckte.

Einmal als ich mit Papi alleine war und wieder nicht wußte, was ich machen sollte, habe ich ein Fotoalbum von früher rausgeholt. Es brauchte schon viel, dass er die Bilder überhaupt nur ansah. Bei einigen Bildern hat er mit den Fingern darüber gestrichen und unverständliches gemurmelt, diese Bilder mußten spezielle Bedeutungen haben. Als dann Mami zurück kam, fragte ich sie, welche Bilder in dem Album für ihn wohl spezielle Erinnerungen seien,- es waren genau diese Bilder!

Wenn wir gemeinsam zum Einkaufen fuhren, brauchten wir einen halben Tag. Nur schon alleine der Weg aus der Wohnung war eine Tortur. Da Papi nur noch sehr schleichend laufen kann,- ca. 1m pro Minute, dauerte es doch recht lang, bis wir beim Auto waren. Dazwischen war noch der Aufzug zu bewältigen,- ein kleiner, enger Raum, welcher ihm offensichtlich Angst machte. Meist mußten wir dann zu dritt sein, um ihn auf den Vordersitz zu kriegen. Aber einmal im Auto drinn, hat es ihm dann sichtlich gefallen, er war meist ganz ruhig und nicht nervös und hat gelächelt und aus dem Fenster geschaut. Im Einkaufszentrum hat dann jeweils einer von uns mit ihm gewartet und dann sind wir irgendwohin an einen schönen Ort gefahren, wo es etwas kühler war, und haben in einem Gartenlokal etwas getrunken. Wenn wir dann wieder zu Hause waren, war Papi immer sehr müde und ist gleich eingeschlafen. Überhaupt hat er sehr viel geschlafen. Wenn wir zu Hause blieben, gab es Tage, an denen er kaum wach war und einfach im Stuhl auf dem Balkon schlief. An anderen Tagen wirkte er aufmerksam und ab und zu hörte man sogar verständlich ein Wort, welches nicht geflüstert war. Trotz seinem sehr schlechten Zustand hab ich diesen Mann sofort in mein Herz geschlossen und es schmerzt mich sehr, wenn ich sehe, wie er leben,- ja dahin vegetieren muß und ich nicht groß helfen kann. Aber mehr tut mir beinahe Mami leid, welche ihre ganze Kraft für die Pflege aufwendet und oft überfordert ist und dem Zusammenbruch nahe.

Jede Woche telefoniere ich einmal mit Griechenland und jedesmal weint sie am Telefon,- ich fühle mich jedes Mal schrecklich. Ich versuche sie zu trösten, doch sie ist wohl schon zu sehr gebrochen und bringt auch die Kraft nicht mehr auf, etwas zu ändern zu versuchen. Im Dezember gehen wir wieder runter, diesmal werden meine Jungs mitkommen,- somit können wir wenigstens an Weihnachten etwas sinnvolles tun und versuchen sie zu entlasten und auf andere Gedanken als ihr Schicksal zu bringen. Ich freue mich trotz Papis schwerer Krankheit sehr auf den Besuch. Sein Zustand sei seit unserer Abreise unverändert,- eigentlich dauert dieser Zustand jetzt schon 1,5 Jahre an und ist seither beinahe stabil. Wenn man sein Alter betrachtet, dann kann er noch lange leben so. Ich hoffe es einesteils und andererseits hoffe ich auch das Gegenteil,- weil Mami mit jedem Tag mehr Kraft verliert und ich Angst um sie habe.

Nächsten Sommer wollen wir mit den Jungs (11j. und 14j) nach Griechenland fahren. Wir haben vor auf der Insel eine Wohnung zu mieten, damit die Mutter mal wieder aus Athen raus kommt und wieder mal in ihre geliebte Natur kann. Ich bin mir bewußt, dass dieser Urlaub für mich viel Arbeit und Geduld bedeutet, doch das ist mir eigentlich egal. Hauptsache, sie kann sich an etwas freuen und Papi kriegt sicher auch was mit und freut sich innerlich an der von ihm ebenfalls einmal geliebten Natur.

Auch haben wir schon mit dem Gedanken gespielt, die Eltern zurück in die Schweiz zu holen, doch nur schon der Transport wäre unmöglich. Und ich bin mir auch nicht sicher, ob das Klima hier das Richtige wäre.

So, nun habe ich meine Geschichte fertig geschrieben. Ich werde wohl noch viel über Alzheimer lesen müssen, bis ich alles weiß, was ich wissen will und manchmal, wenn mein Freund irgendwas vergißt, denke ich gleich an die Krankheit, weil ich weiß, dass bei ihm ein hohes Risiko besteht, zu erkranken.

Monica Kropf

Auf meiner Homepage unter Griechenland/Athen/Reisebericht ist ein Foto wo Papi, Mami die Tante und mein Freund drauf sind. Ich habe das Foto bei einem morgendlichen Einkauf gemacht. http://www.mokro.ch/monica

 

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