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für Betreuer Demenz-Kranker

© Dr. Dr. Herbert Mück, Köln

Den Kranken respektieren

* * Genau beobachten und hilfreiche Unterschiede erkennen
* * Kleine Aufmerksamkeiten spendieren
* * Die Diagnose offen benennen
* * Diagnose schonungsvoll mitteilen
* * Eigenarten akzeptieren
* * Kränkungsfrei orientieren
* * Emotionale Kompetenz des Kranken wertschätzen
* * Entwicklungsmöglichkeiten erkennen
* * Fassade aufrechterhalten
* * Halt geben und achten
* * Großeltern nicht zu Kindern machen
* * Verbote durch Wahlmöglichkeiten ersetzen
* * Die Krankheit, nicht der Kranke kränkt
* * Fehlleistungen nie verallgemeinern
* * Auf ständiges Mahnen und Erinnern verzichten
* * Fotos aus "besseren Zeiten" erhalten den Respekt

 
Genau beobachten und hilfreiche Unterschiede erkennen Wer einen kranken Menschen genauestens beobachtet, ihn möglichst exakt und vollständig (also nicht nur die Defizite!) beschreibt, ist davor geschützt, in Verallgemeinerungen und Abwertungen zu verfallen (wie: Der Demente kann "nichts", ißt "nie", stürzt "immer", redet "nur" Kauderwelsch). Statt dem "hoffnungslosen Krankheitsfall" nimmt man dann wieder die individuelle Person wahr. Wer genau hinsieht und lange genug aufpaßt, registriert auch die unterschi edlichen Umstände, unter denen sich der Demenz-Kranke problematisch bzw. angemessen verhält. So zeigte sich in einem Fall, daß ein Patient seine Betreuerinnen nur dann schlug, wenn diese lange Haare trugen. Indem diese ihre Haare mit einer Haube bedeckten, lösten sie das Problem sofort.
   
Kleine Aufmerksamkeiten spendieren Soziale Gesten, wie "Hallo" oder "Bitte" sagen, sich Bedanken oder Anlächeln, entspannen und bereichern den Alltag Gesunder. Gönnen Sie auch dem Dementen diese kleine Aufmerksamkeiten. Dann kann er sich weiter als geschätztes Mitglied der Gesellschaft erleben. Viel zu oft muß er meist Kritik und Vorschriften hören.
   
Die Diagnose offen benennen Es ist nicht unbedingt "taktvoll", bei einer beginnenden Demenz den Betroffenen über die Natur seines Leidens im Unklaren zu belassen oder wohlmeinend darüber hinwegzusehen. Dies schürt nur unnötig falsche Ängste (etwa "verrückt" zu werden) und verhindert, daß der Kranke sich auf seine Zukunft vorbereitet. Oft ist eine klare (wenn auch unerfreuliche) Diagnose besser zu ertragen als jahrelange Unsicherheit.
   
Diagnose schonungsvoll mitteilen Noch ist die Einstellung verbreitet, daß es taktvoller sei, Demenz-Betroffenen nicht die Wahrheit zu sagen. Viele dieser im Unklaren belassenen Kranken befürchten dann aber oft jahrelang, verrückt zu werden und sind erleichtert, wenn sie endlich aufgeklärt werden. Menschen, die ihre Demenz lieber verleugnen, lassen sich auch durch die ärztliche Diagnose häufig nicht erschüttern.
   
Eigenarten akzeptieren Verzichten Sie darauf, Demenz oder Verwirrtheit beseitigen zu wollen. Gestehen Sie dem Demenz-Kranken seine Art zu leben zu. Respektieren Sie seine gewohnten Ordnungsvorstellungen. Verstehen Sie störende Verhaltensweisen nicht als "Angriff". Wenn der Patient einnäßt, tut er dies vermutlich nicht, um Sie zu ärgern. Er findet oder erreicht einfach die Toilette nicht. Machen Sie Demenz-Kranke nicht pauschal für alle neuen Verhaltensweisen verantwortlich. Manchmal spielen auch ihre veränderten Lebensumstände eine Rolle. Daran zu denken ist wichtig, da man hier (anders als bei der Grundkrankheit) manchmal korrigierend eingreifen kann.
   
Kränkungsfrei orientieren Ersparen Sie dem Kranken eine direkte Konfrontation mit seinen Defiziten. Statt ihn bewußt zu korrigieren, ist es hilfreicher, die richtige Information (z.B. Tageszeit und Datum) wiederholt beiläufig ins Gespräch einfließen zu lassen. Ein solches Vorgehen kränkt den Patienten weniger.
   
Emotionale Kompetenz des Kranken wertschätzen Vergrößern Sie Ihre Achtung gegenüber dem Demenz-Kranken, indem Sie vermehrt seine emotionale Kompetenz wahrnehmen. Gerade weil seine verstandesmäßigen Bewertungsmöglichkeiten der Umwelt abnehmen, wird der Demenz-Kranke oft besonders empfindsam im Erspüren von Gefühlen, die ihm entgegengebracht werden oder die in der aktuellen Situation aufkommen. Verdeutlichen Sie sich, daß es sich um eine Fähigkeit (!) handelt, über die selbst viele Gesunde nicht verfügen. Indem Sie dem Kranken auf der gleichen emotionalen Wellenlänge antworten (etwa durch freundliche Blicke, Lächeln, beruhigendes Berühren), bleiben Sie auch dann mit ihm in Kontakt, wenn Worte bereits versagen.
   
Entwicklungsmöglichkeiten erkennen Einem früher eher rein verstandesmäßig orientierten Menschen kann die Demenz sogar noch eine "Entwicklungsmöglichkeit" eröffnen, indem sie jetzt Schranken abbaut, die ihm zuvor das Äußern von Gefühlen erschwert haben. So werden viele Demenz-Kranke gefühlvoller. Zuneigung und Liebe zeigen sie gegenüber Angehörigen deutlicher als früher. Bei manchen Kranken sieht es zumindest so aus, als ob sie ihren "inneren Frieden" gefunden haben: Manche erscheinen ausgeglichener und fröhlicher.
   
Fassade aufrechterhalten Demenz-Kranke sind noch lange sensibel für soziale Umgangsformen, sittliche Werthaltungen und allgemeine Regeln des zwischenmenschlichen Umgangs. Halten Sie diese unbedingt ein und helfen Sie dem Patienten dabei, seine "Fassade" zu pflegen. Halten Sie sich vor Augen, daß die Demenz eine neue Beziehung zum Betreuten herstellt (z.B. indem Kinder für Vater oder Mutter Elternfunktionen übernehmen). Dies ist besonders dann schwierig, wenn der Betreute in Teilbereichen n och lebenstüchtig ist oder er die bisherigen Rollen beibehalten will (etwa indem er weiterhin kontrollieren oder Vorschriften machen will, er seine Möglichkeiten völlig überschätzt).
   
Halt geben und achten Verzichten Sie darauf, den Kranken durch unangebrachtes Duzen zu verkindlichen, ihn "nachzuerziehen" oder gar zu bestrafen". Geben Sie ihm Halt, indem Sie die Beziehung zuverlässig gestalten, die Betreuungspersonen nicht dauernd wechseln und auf häufiges Vertrösten verzichten. Gehen Sie keine "Bündnisse" gegen den Kranken ein.
   
Großeltern nicht zu Kindern machen Erhalten Sie das Selbstwertgefühl des Kranken. Wechseln Sie nicht wegen seiner Verwirrtheit plötzlich von der Anrede "Mutter" auf "Oma". Machen Sie aus der einer ursprünglichen Respektsperson kein Kind. Die bisherige Familienrolle (z.B. als Vater oder Mutter) trug wesentlich zur Identität des Patienten bei. Das Festhalten am vertrauten Status hilft, die Identität zu wahren. Rauben Sie dem Kranken diese Möglichkeit nicht. Kleine Kinder haben hier weniger Pr obleme, da sie die Identität von Demenz-Kranken selten in Frage stellen und weiterhin spontan mit diesen umgehen. Zeigen Sie dem Kranken, daß er trotz seines Leidens liebenswert ist (z.B. indem Sie ihn umarmen, ihn freundlich begrüßen oder ihm einen Wangenkuß geben).
   
Verbote durch Wahlmöglichkeiten ersetzen Demenz-Kranke stoßen ständig an Grenzen und Zurückweisungen. Diese Erfahrungen kränken und sind aufgrund der Erkrankung seelisch nur schwer zu verarbeiten. Sie helfen einem Kranken, wenn Sie an die Stelle eines nicht erfüllbaren Wunsches andere Vorschläge rücken, zwischen denen der Demente wählen kann. Solche Wahlmöglichkeiten unterscheiden sich vielleicht sprachlich stärker voneinander als ihrem Inhalt nach. Manchem Kranken vermitteln sie jedoch bereits kleine Erlebnisse von Freiheit und helfen ihm so über das zunächst geäußerte "nein" hinweg. Auch hier ist Ihre Phantasie gefordert.
   
Die Krankheit, nicht der Kranke kränkt Demenz-Patienten wollen mit ihrem Verhalten nicht kränken. Kommt es dennoch dazu, dann ist dies eine Folge der Krankheit und keine beabsichtigte Handlung. Vergegenwärtigen Sie sich, daß die geistige Leistungsfähigkeit der Patienten häufig schwankt. Ziehen Sie also aus "guten Tagen" nicht den Rückschluß, daß Ihnen der Kranke an "schlechten Tagen" etwas vorspielt.
   
Fehlleistungen nie verallgemeinern Verallgemeinern Sie "Fehlleistungen" nicht ("Immer das Gleiche", "Was hast Du wieder angestellt"). Versuchen Sie, den Vorgang als Ausnahme (und nicht als Regel) zu betrachten. Bieten Sie lieber freundlich Ihre Hilfe an. Trauen Sie dem Kranken etwas zu und beziehen Sie ihn in ihre Alltagsgespräche ein. Ersparen Sie ihm dabei schmerzliche Mißerfolgserlebnisse.
   
Auf ständiges Mahnen und Erinnern verzichten Ständiges Mahnen und Erinnern schaden oft mehr, als sie helfen. Sie führen dem Patienten sein häufiges Versagen vor Augen, erschüttern so sein Selbstwertgefühl und können ihn letztlich in einen Erregungszustand versetzen. Einfühlsamkeit und Beruhigung entlasten alle Beteiligten am ehesten. Übertreiben Sie es nicht mit der Wahrheitsliebe.
   
Fotos aus "besseren Zeiten" erhalten den Respekt Es fällt schwer, einen Kranken weiterhin liebevoll zu pflegen, wenn man von ihm laufend beschimpft oder geschlagen wird. Die Erinnerung an gemeinsame angenehme frühere Erlebnisse und Erfahrungen hilft allen Beteiligten, neue Kraft zu schöpfen. Daran denkt man eher, wenn im Zimmer des Patienten Fotos aus "besseren Zeiten" hängen. Diese Maßnahme hat sich auch in Krankenhäusern und Pflegeheimen bewährt! Ein Familienfoto unterstützt nicht zuletzt di e soziale Orientierung (Beispiel: Bild, das den Kranken im Kreis seiner Angehörigen zeigt).
   


Zusammengestellt von Dr. Dr. med. Herbert Mück und Horst Endreß (2. und wesentlich erweiterte Auflage, 8/1999)

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