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Einspruch gegen den Bescheid der Pflegeversicherung

BKK Pflegekasse Berlin
Marzahner Chaussee 207

12681 Berlin

Berlin, den 16. 11. 1995


Widerspruch gegen die Ablehnung des Antrages auf Leistungen der Pflegeversicherung



Sehr geehrte Frau M.,

im Auftrag meines Ehemannes Werner lege ich hiermit Widerspruch gegen die Ablehnung des Antrages auf Leistungen der Pflegeversicherung vom 6. November 1995 ein. Ich bin der Auffassung, daß der Gutachter des MDK die Pflegebedürftigkeit meines demenzkranken Ehemannes nicht sachgerecht beurteilt hat.


Begründung:
- Der Gutachter versäumte, mit mir ein Gespräch ohne Beisein des Kranken zu führen.
- Das Gespräch dauerte ca. 30 Minuten. Das ist viel zu kurz, um das Ausmaß des gesamten Hilfebedarfs aufnehmen zu können.
- Der Gutachter ging unangemessen vor, um die Beeinträchtigung zu erfassen. Beispielsweise fragte der Gutachter nur nach notwendiger Hilfe beim Waschen und der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Aus Scham gab mein Mann an, beim Essen und Toilettengang keine Hilfe zu benötigen. In der konkreten Gesprächssituation konnte ich den Sachverhalt nicht richtigstellen, da ich damit meinen Mann bloßgestellt hätte und sein angeschlagenes Selbstbewußtsein weiter demontiert hätte.
Das hätte seine Hilflosigkeit nur noch verstärkt.
Der Pflegealltag sieht tatsächlich folgendermaßen aus: Mein Ehemann muß ständig beaufsichtigt werden, um nicht sich, uns oder unser Hab und Gut zu gefährden. Zusätzlich braucht er aktive Hilfe bei einer Vielzahl von Verrichtungen des täglichen Lebens.
Beispielsweise kann mein Mann zwar allein zur Toilette gehen (wenn er sie findet!) oder essen (wenn man es mundgerecht zubereitet vor ihn hinstellt), jedoch den gesamten Handlungsablauf nicht selbständig ausführen. Beispielsweise muß ich darauf achten, daß er sich die Hose herunterzieht, wenn er sich aufs Klo setzt oder nicht sein Wasser im Schirmständer läßt.
Mein Mann kann zwar allein trinken, allein er tut es nicht bzw. nur äußerst unzureichend. Wieviel Zeit und Nerven kostet es mich täglich, ihn dazu zu überreden, seine 1,5 Liter Flüssigkeit zu sich zu nehmen, damit seine chronische Verwirrtheit nicht noch durch eine akute verstärkt wird!
- Folgende Krankheitssymptome erschweren meinen Pflegealltag:
- Schwierigkeiten beim Denken und Urteilen (Entscheiden)
- verminderte Aufmerksamkeit, Konzentration und Antrieb
- Orientierungsprobleme (vor allem nachts!) ich brauche ihm nur meinen Rücken zuzuwenden und schon fühlt er sich allein gelassen, wie ein Kind, das seine Mutter verloren hat
- seine Ängste auch vor ganz harmlosen Dingen, Niedergeschlagenheit und Verzagtheit
- Ruhelosigkeit am Tage und in der Nacht (Herumirren in der Wohnung)
- Verständigungsprobleme (zum Stottern, an dem mein Mann schon in den guten Jahren litt, kommen jetzt noch Wortfindungsschwierigkeiten hinzu)
- Die einzelnen Pflegetätigkeiten im Rahmen der Aufsicht, Anleitung und Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens wurden im Gespräch nicht angesprochen oder offensichtlich in seiner Beurteilung nicht durch ihn berücksichtigt.
- Die Pflegeleistung, die ich täglich erbringe, liegt weit über fünf Stunden. Daß der Gutachter nicht einmal die Pflegebedürftigkeit von 1,5 Std. täglich erkannt hat, zeigt deutlich, daß er das zugrundeliegende Krankheitsbild offensichtlich in keiner Weise erfaßt hat.

Mit freundlichem Gruß

 


BKK Pflegekasse Berlin
Marzahner Chaussee 207
12681 Berlin

Berlin, den 24. 7. 1996

Ergänzung zum Besuch des Gutachters im Widerspruchsverfahren GeschZ.:

Sehr geehrter Herr K.,

im o.g. Widerspruchsverfahren besuchte uns am 18. 7. 1996 der Gutachter des MDK, Herr Dr. G. W. Um einer wiederholten Fehleinschätzung vorzubeugen, hatte ich mir die Mühe gemacht, unseren typischen Tagesablauf mit Pflegezeiten aufzuschreiben. Ich wollte diese Aufstellung Herrn Dr. W aushändigen, jedoch verweigerte er die Annahme.

Da in dem Gutachtergespräch die darin genannten Tatsachen nicht annähernd erschöpfend gewürdigt werden konnten, muß ich mit einer erneuten Fehleinstufung rechnen. Ich übersende Ihnen hiermit meine Aufstellung und bestehe darauf, daß ihr Inhalt zur Kenntnis genommen und bei der Einstufungsentscheidung berücksichtigt wird.

Mit freundlichem Gruß

Anlage

 


Unser typischer Tagesablauf mit Pflegezeiten*

Bei allen Verrichtungen mit dem Kranken bemühe ich mich um eine "aktivierende Pflege", deren Zeitbedarf gemäß õ 14, Absatz 3 PflegeVG als auch nach den Begutachtungsrichtlinien zu berücksichtigen ist.

Den "gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens", die sich auf die Pflege beziehen, habe ich ein "K" für Körperpflege, "E" für Ernährung, "M" für Mobilität nachgestellt. Den hauswirtschaftlichen Tätigkeiten habe ich mit einem "H" vorangestellt. Bei Tätigkeiten, die bei der Ermittlung des Hilfebedarfs gemäß PflegeVG nicht berücksichtigt werden, habe ich einen Strich eingetragen.

Bei allen Pflegeverrichtungen muß ich berücksichtigen, daß mein Ehemann sehr langsam in seinen Bewegungen ist, und ich Aufforderungen für einzelne Handlungen, die er noch selbst kann, sehr häufig geben muß, bis er es dann auch tut. Oft versteift sich mein Ehemann auch, so daß sich bestimmte Bewegungen von Armen und Beinen, zum Beispiel beim An- und Ausziehen, nur sehr langsam durchführen lassen.

Hier nun meine regelmäßigen Pflegetätigkeiten während eines Tages und anschließend in größeren Abständen wiederkehrende Pflegetätigkeiten:

  • Beim Aufstehen muß ich meinen/m Ehemann:
10 Min.
- wiederholt zum Aufstehen auffordern
- helfen, sich auf das Bett zu setzen und aufzustehen
  • Bei der morgendlichen Inkontinenzpflege bzw. beim morgendlichen Toilettengang muß ich meinen/m Ehemann:
30 Min.
- frische Unterwäsche oder Inkontinenzeinlagen holen und zurechtlegen
- zum Toilettengang auffordern
- zur Toilette führen oder begleiten
- ausziehen und auf die Toilette setzen (Teilweise ist er uneinsichtig und schwer dazu zu bewegen.)
- während der Verrichtung nicht verlassen, um Fehlhandlungen zu vermeiden und um zu verhindern, daß mein Ehemann unvorhergesehen aufsteht
- den Intimbereich säubern und waschen
- Inkontinenzhilfen und Bekleidung anziehen
- aus der Toilette in ein anderes Zimmer führen oder begleiten
- Toilette spülen und säubern
- nach Einnässen das Bett neu überziehen
  • Bei der Morgentoilette (Waschen und Zahnpflege sowie beim Rasieren) muß ich meinen/m Ehemann:
30 Min.(K)
- das Waschzubehör bereitlegen und das Handwaschbecken herrichten
- zum Waschen auffordern
- helfen, seine Kleidung abzulegen
- beim Waschen anleiten, beaufsichtigen und unterstützen
- Gebiß reinigen
- Haare kämmen
- Fuß- und Fingernägel reinigen (ggf. schneiden)
- aus dem Bad in ein anderes Zimmer führen oder begleiten
  • Beim Ankleiden muß ich meinen/m Ehemann:
15 Min.(M)
- zum Ankleiden auffordern
- die passenden Kleidungsstücke aussuchen, aus dem Schrank nehmen und herrichten
- beim Anziehen helfen
  • Beim Frühstück richten (Kaffee kochen, Brot schneiden, Tisch decken) muß ich meinen/m Ehemann:
45 Min.(E)
- belegte Brote zubereiten und schmieren
- Nahrungsmittel zerkleinern
- Getränke einschenken, Speisen portionsgerecht auf den Teller tun
- in die Küche führen
- zum Essen und vor allen Dingen zum Schlucken auffordern, da er sonst die zerkaute Speise in den Backentaschen hamstert
- die Medikamente verabreichen (Die Tabletteneinnahme ist sehr schwierig, da mein Ehemann die Tabletten meist lutscht und später ausspuckt.)
- während der Nahrungsaufnahme beaufsichtigen, anleiten und helfen
- wiederholt zum Essen oder Trinken auffordern
- nach der Mahlzeit Hände und Gesicht abwaschen
  • Geschirr abwaschen
H
  • Hilfe beim Anziehen der Straßenschuhe und des Mantels
  • Spaziergang die Straße hinauf und zurück zur Vorbeugung von Gelenkversteifungen
  • Waschmaschine richten, staubsaugen, sonstige Hausarbeiten
H
  • Kartoffeln schälen, Gemüse putzen usw., kochen, Tisch decken
H
  • Beim Mittagessen muß ich meinen/m Ehemann:
45 Min.(E)
- die Speise zerkleinern
- Getränke einschenken und Speisen portionsgerecht auf den Teller tun
- in die Küche führen
- während der Nahrungsaufnahme beaufsichtigen, anleiten und helfen
- wiederholt zum Essen und Schlucken (!) auffordern
- die Medikamente verabreichen
- nach der Mahlzeit Hände und Gesicht abwaschen
  • Tisch abräumen, Geschirr spülen
H
  • Mittagsruhe ---
  • bügeln, Wäsche aufhängen
H
  • Kaffee kochen
H
  • Bei der Zwischenmahlzeit muß ich meinen/m Ehemann:
30 Min.(E)
- Kuchen/Obst servieren und Getränke einschenken
- in die Küche führen
- während der Nahrungsaufnahme beaufsichtigen, anleiten und helfen
- wiederholt zum Essen und Trinken auffordern
- immer wieder zum Schlucken auffordern
- nach der Mahlzeit Hände und Gesicht abwaschen
  • einkaufen
H
  • Abendessen richten (Tee kochen, Brot schneiden,Tisch decken)
H
  • Beim Abendessen muß ich meinen/m Ehemann:
45 Min.(E)
- belegte Brote zubereiten und schmieren
- Nahrungsmittel zerkleinern, die Rinde entfernen
- in die Küche führen
- Getränke einschenken, Speisen portionsgerecht auf den Teller tuen
- während der Nahrungsaufnahme beaufsichtigen, anleiten oder helfen (Mein Ehemann ißt sehr langsam, er kaut lange und schluckt nicht von alleine.)
- die Medikamente verabreichen
- wiedrholt zum Essen und Trinken auffordern
- immer wieder zum Schlucken auffordern
- nach der Mahlzeit Hände und Gesicht abwaschen
  • Tisch abräumen, Geschirr spülen
H
  • Bei der Abendtoilette (Waschen und Zahnpflege) muß ich meinen/m Ehemann:
50 Min.(K)
- das Waschzubehör bereitlegen und das Handwaschbecken herrichten
- zum Waschen auffordern
- ins Badezimmer führen
- helfen, seine Kleidung abzulegen
- beim Waschen anleiten, beaufsichtigen und unterstützen
- das Gebiß abspülen
- den Schlafanzug anziehen (Das Anziehen ist oft schwierig, da mein Ehemann anfängt, mit den Kleidungsstücken zu spielen, sich gegen das Anziehen wehrt oder sich versteift.)
- aus dem Bad ins Schlafzimmer führen
  • Beim Zubettgehen muß ich meinen/m Ehemann:
10 Min.(M)
- zum Bett begleiten oder führen
- die Inkontinenzversorgung sichern
- helfen, sich auf das Bett zu setzen, sich hinzulegen
  • zusätzlich muß ich meinen/m Ehemann:
7 - 8 mal täglich zur Toilette führen (davon 1 - 2 mal nachts), Hose öffnen/schließen und zum Händewaschen anleiten 75 Min.(K)
10 mal täglich ein Getränk reichen und meinen Ehemann zum Trinken auffordern. Da mein Ehemann zu wenig und ungern trinkt (meist nur kleine Mengen), muß ich ihm: 10 Min.(E)
- im Tagesverlauf immer wieder etwas einschenken und ihm zum Trinken anbieten.
- Ich muß ihn dabei mehrmals auffordern und überreden, damit er etwas trinkt.
365 Min.
  • Dazu kommen regelmäßig:
    jede Woche:
2 mal beim Baden bzw. Duschen meinen/m Ehemann: 140 Min.
- das Badezubehör bereitlegen und das Badewasser herrichten
- ins Badezimmer führen
- helfen, seine Kleidung abzulegen
- helfen, in die Badewanne zu steigen
- beim Waschen anleiten, beaufsichtigen und unterstützen
- helfen, aus der Wanne zu steigen, ihn abtrocknen und anziehen
- aus dem Bad in ein anderes Zimmer führen
  • Ein- bis zweimal pro Woche muß ich morgens auch das Bett frisch überziehen, wenn es durch die Inkontinenz des Kranken naß geworden ist.
20 Min.
  • Ich muß meinen Ehemann einmal zur Alzheimer-Betreuungsgruppe
40 Min.
- begleiten
- und
- danach abholen ("therapeutische" Förderung)
  • Jeweils einmal alle zwei Wochen Begleitung zum Arzt (50 Min.) und zur Apotheke (30 Min.) ergeben zusammen 80 Min. : 2 = 40 Minuten pro Woche
40 Min.
  • Rechnet man diese Zeiten auf einen Tag um (240 Min.
    : 7), ergibt dies noch einmal 35 Minuten täglich dazu.
35 Min.

  • Summe
400 Min.

Die durchschnittliche tägliche Pflegezeit liegt also bei 400 Minuten. Das sind 6 Stunden und 40 Minuten täglich.



- Berlin den 18. 07. 1996

Unterschrift der pflegenden Ehefrau

Zur Kenntnis und in Empfang genommen



_______________________________
Unterschrift des Gutachters des MDK

 


BKK Pflegekasse Berlin
Marzahner Chaussee 207

12681 Berlin

Berlin, den 2. 9. 1996

Ihr Bescheid vom 21. August 1996 GeschZ

Sehr geehrte Frau M.,

mit Schreiben vom 21.8.96 teilen Sie meinem Ehemann Werner H mit, daß er rückwirkend ab 1.2.96 Pflegegeld in der Pflegestufe II erhält.

Im Auftrag meines Mannes erhebe ich Widerspruch gegen den genannten Termin und verlange eine rückwirkende Zahlung ab dem 9.3.1995.

Begründung:*
Im Ablehnungsbescheid vom 9.11.1995 beziehen Sie sich auf den Antrag auf Pflegegeld vom 09.03.1995. Ihr jetztiger Bescheid geht auf das daraufhin fristgerecht erstellte Widerspruchsschreiben vom 16. 11. 1995 zurück. Die Festlegung auf den 01.02.1996 ist daher völlig willkürlich, zumal es zu diesem Zeitpunkt keinerlei Schriftverkehr zwischen uns gegeben hat. Ich bestehe daher auf eine rückwirkende Zahlung ab dem Datum der Antragstellung.



Mit freundlichem Gruß


- * Diese Aufstellung entstand mit Unterstützung der Angehörigen-Initiative Berlin.

- * Dieser Widerspruch entstand mit Unterstützung der Angehörigen-Initiative Berlin.

 

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